HINTERGRUND

Für Säuglinge ist Pertussis lebensbedrohlich - wer mit Babys engen Kontakt hat, sollte deshalb geimpft sein

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:

Für die WHO ist Keuchhusten ein schlimmer Kinderkiller. In Frankreich heißt er Hahnenschrei, in England Großmutterhusten und in China 100-Tage-Husten - alle diese Bezeichnungen treffen zu, sagt Professor Christel Hülße aus Rostock. Nach ihren Angaben sterben weltweit jedes Jahr etwa 300 000 Kinder an Keuchhusten, davon über 90 Prozent in Entwicklungsländern.

In Deutschland ist Bordetella pertussis bei Kindern inzwischen durch Impfungen zurückgedrängt worden. Stark gefährdet sind aber weiterhin Säuglinge, die noch zu jung für die Impfung sind oder die nicht zeitgerecht geimpft werden. Bei ihnen kann Pertussis schwer und lebensbedrohlich verlaufen, auch weil es - anders als bei anderen Erregern - keinen Nestschutz gegen Pertussis gibt.

Immunität gegen Pertussis hält nur zehn bis 15 Jahre

Zudem gibt es gegen Keuchhusten keine lebenslange Immunität. Nach Impfung sind Menschen nur etwa zehn Jahre und nach durchgemachter Erkrankung nur 15 Jahre geschützt, wie Hülße bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie in Mainz berichtet hat. Das hat in Deutschland zu einer Altersverschiebung der Pertussis-Infektionen geführt. So seien in den neuen Bundesländern - wo es eine Meldepflicht für Keuchhusten gibt - von den 1576 im Jahr 2003 gemeldeten Pertussis-Patienten 80 Prozent älter als 15 Jahre gewesen, sagte die Direktorin des Landesgesundheitsamtes Mecklenburg-Vorpommern. 1980 hingegen seien weniger als fünf Prozent der gemeldeten Keuchhusten-Patienten älter als 15 Jahre gewesen.

Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt daher nach dem Basisschutz mit vier Impfungen im ersten Lebensjahr allen Kindern und Jugendlichen zwischen neun und 17 Jahren eine Auffrischimpfung. Gerade bei älteren Kindern und Jugendlichen gibt es viel Nachholbedarf: Nach Schätzungen fehlt 85 Prozent der sieben- bis 18jährigen der Basisschutz gegen Pertussis und nur zehn Prozent nehmen bisher die Auffrischimpfung wahr.

In der STIKO wird zudem seit einigen Jahren diskutiert, ob nicht empfohlen werden sollte, auch alle Erwachsenen alle zehn Jahren gegen Pertussis zu impfen. Dadurch ließen sich vor allem auch die Infektionsketten unterbrechen: Die stark gefährdeten Säuglinge könnten nicht mehr durch infizierte Erwachsene - vor allem die Eltern - angesteckt werden. Bereits jetzt empfiehlt die STIKO die Impfung etwa dem Personal in Kindergärten, -horten und -heimen . Außerdem sollte Personal in Einrichtungen der Pädiatrie, der Schwangerenbetreuung und der Geburtshilfe geimpft werden. Bisher würden die Impfungen allerdings noch nicht ausreichend angenommen. Nach einer Umfrage des Deutschen Grünen Kreuzes seien zum Beispiel nur 20 Prozent der Allgemeinärzte und nur 25 Prozent der Kinderärzte selbst gegen Pertussis geimpft.

Zum Schutz für Säuglinge hat die STIKO jetzt ganz neu auch eine Kokon-Strategie beschlossen. "Überall wo ein Baby geboren wird, sollten sich alle Haushaltskontakte wie Eltern, Großeltern, Tagesmütter, Babysitter und Geschwister vorher gegen Keuchhusten impfen lassen", berichtete Hülße. Diese neuen Empfehlungen werden im August im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht.

Erwachsenen selbst kann die Impfung außerdem wahrscheinlich erhebliche Krankheitssymptome ersparen. So berichtete Hülße von einem Kollegen, der wegen ständiger Hustenattacken über ein halbes Jahr mehrere Ärzte und eine Lungenklinik aufgesucht hatte. Erst dann sei er auf Pertussis untersucht und die Krankheit diagnostiziert worden. Mehr als 14  000 DM habe der Mann bis dahin bereits der privaten Krankenversicherung gekostet. "Bei langandauerndem Husten und vor allem nächtlichen Hustenattacken sollte bei Erwachsenen immer auch an Keuchhusten gedacht werden", betont Hülße.

Jeder zehnte Erwachsene mit längerem Husten hatte Pertussis

Wie häufig Keuchhusten nun tatsächlich bei Erwachsenen ist, wird derzeit in Krefeld und Rostock untersucht (wir berichteten). In Arztpraxen bekommen Patienten über 18 Jahre, die länger als sieben Tage husten, und die keine chronische Krankheit der Atemwege haben, Nasen-Rachenabstriche und Blutproben genommen.

Inzwischen liegen die Daten von 809 Patienten vor: anhand der Serologie und der Erregernachweise war Keuchhusten nach Respiratorischem Syncytial Virus (RSV), Chlamydien und Adenoviren die vierthäufigste Ursache des Hustens, berichtete Hülße. Bei elf Prozent der Patienten wurde eine Infektion mit Bordetella pertussis belegt. Die Keuchhustenpatienten hatten dabei im Mittel 44 Tage lang gehustet, und der längste Husten hatte 72 Wochen gedauert.



STICHWORT

Impfung gegen Keuchhusten

Alle Säuglinge brauchen den Basisschutz mit vier Impfungen ab dem vollendeten zweiten Lebensmonat. Die STIKO rät dabei vorzugsweise zu einer Kombivakzine. Weiter soll der Schutz bei allen Kindern und Jugendlichen zwischen neun und 17 Jahren aufgefrischt werden. Hierzu gibt es zwei Kombivakzinen, die die vier in diesem Alter empfohlenen Auffrischungen gegen Tetanus, Diphtherie, Polio und Pertussis abdecken: Boostrix® Polio und Repevax® . Ebenso gibt es Dreier-Kombinationen gegen Tetanus, Diphtherie und Pertussis (Boostrix® und Covaxis®).

Die Kombivakzinen sind für Kinder und Jugendliche, die als Säuglinge die Impfungen gegen Keuchhusten versäumt haben, nicht geeignet. Sie brauchen einen Basisschutz, für den es in diesem Alter nur den monovalenten Impfstoff Pac Mérieux® gibt.

Kinder bis 14 Jahre brauchen drei Impfungen im Abstand von vier bis acht Wochen und eine Impfung sechs bis zwölf Monate später. Im Alter von 14 bis 18 reichen zwei Impfungen im Abstand von vier bis acht Wochen. Bei Erwachsenen reicht für die Grundimmunisierung eine einzige Impfung, wobei auch die Kombivakzinen verwendet werden können. Der Schutz sollte alle zehn Jahre aufgefrischt werden. (eis)

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