INTERVIEW

"Noch fehlen H5N1 entscheidende Mutationen, um eine Influenza-Pandemie bei Menschen auszulösen"

Zwar würde eine einzige Mutation genügen, damit das H5N1-Virus Menschen leicht infizieren kann, berichtet der Virologe Professor Hans Wilhelm Doerr. Aber für eine Pandemie sind offenbar noch weitere Anpassungen des Virus nötig, so der Direktor der Institutes für Medizinische Virologie an der Universität Frankfurt am Main im Gespräch mit Thomas Müller von der "Ärzte Zeitung".

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Ärzte Zeitung: Die Vogelgrippe ist bisher eine reine Tierseuche, doch Menschen mit intensivem Kontakt zu Geflügel können auch daran erkranken. Warum können sich Menschen überhaupt mit dem Vogelvirus infizieren?

Professor Hans Wilhelm Doerr: Um in Zellen einzudringen, muß das H5N1-Virus mit seinem Hämagglutinin-Protein an einen Rezeptor auf den Zelloberflächen binden. Es handelt sich um eine Sialinsäure. Das H5N1-Hämagglutinin paßt dabei genau auf die Sialinsäure von Vogelzellen, weniger auf die modifizierte Sialinsäure von Säugerzellen. Da die Rezeptoren bei Vögeln und Säugetieren aber eine gewisse Ähnlichkeit haben, schaffen es einige Viren, an menschliche Zellen zu binden und Menschen zu infizieren, wenn die Virendosis groß ist.

Ärzte Zeitung: Beim H1N1-Virus, das 1918 die verheerende Grippe-Pandemie auslöste, war im Hämagglutinin nur eine Aminosäure anders als bei H1N1-Vogelgrippeviren. Würde beim H5N1 also eine einzige Punktmutation genügen, damit es menschliche Zellen leichter infizieren kann?

Doerr: Ja, am viralen Hämagglutinin muß offenbar nur eine einzige Aminosäure ausgetauscht werden. Das würde reichen, damit das Virus besser an menschliche Zellen bindet und sie leichter infiziert.

Ärzte Zeitung: Man wundert sich, weshalb diese Mutation nicht schon längst geschehen ist.

   
"Die Massentierhaltung bietet hochaggressiven Viren Vorteile."
 
Professor Hans Wilhelm Doerr
   

Doerr: Wahrscheinlich handelt es sich um eine Mutation, die nicht so leicht passiert. Vielleicht ist sie schon vorgekommen, und ein Mensch ist erkrankt und gestorben, aber er hat das Virus nicht übertragen, weil die Kontaktpersonen aufgepaßt haben und sich mit Mundschutz und Handschuhen geschützt haben. Denken Sie etwa an den Sars-Ausbruch: Da sind zu Beginn viele Ärzte und Pfleger erkrankt und gestorben, bis sie gemerkt haben, da muß ich mich schützen. Danach ist keiner mehr durch Ansteckung im Krankenhaus gestorben. Damit H5N1 eine Pandemie auslösen kann, sind aber noch andere Mutationen nötig. So gab es beim Virus von 1918 auch Veränderungen bei der Neuraminidase, diese fehlen bei H5N1.

Ärzte Zeitung: Wenn einzelne Menschen erkranken, warum können sie das Virus nicht weitergeben?

Doerr: Das ist ein Frage der Virus-Dosis. Menschen scheiden offenbar das Virus bei weitem nicht in der Menge aus wie Hühner. Man kann sich vorstellen, daß erkrankte Menschen auch Viren aushusten. Doch die Menge reicht nicht, um andere Menschen anzustecken. Bei Hühnern sind die Viren in sehr hohen Dosen in Kot und Sekreten - die Tiere können sich so leicht untereinander anstecken.

Ärzte Zeitung: Wie kann man klinisch unterscheiden, ob ein Mensch Vogelgrippe oder eine Human-Influenza hat?

Doerr: Es gibt keine ganz klaren Unterschiede, aber wenn jemand die üblichen Grippesymptome plus Durchfall hat, dann ist dies verdächtig, wenn zusätzlich Kontakt zu Hühnern besteht. Etwa die Hälfte der Menschen, die bisher an Vogelgrippe erkrankt sind, hatten massiven Durchfall.

Ärzte Zeitung: Woran sterben die Erkrankten?

Doerr: Die Infizierten sterben an einer Pneumonie. Das Virus löst eine sehr starke Lungenentzündung aus. Das ist oft eine hämorrhagische Pneumonie, so war das auch bei den großen Grippe-Epidemien in der Vergangenheit. Die Lunge wird durch Entzündungsflüssigkeit funktionsunfähig, dann klappt die Ventilation nicht mehr. Es kommt zu einem Sturm der Zytokine, ganz ähnlich wie bei der Sars-Lungenentzündung. Die Entzündung verläuft so heftig, daß die Leute daran ersticken. Daher ist es wichtig, möglichst früh mit Steroiden die Entzündung zu dämpfen, gleichzeitig Neuraminidase-Hemmer zu geben und zu beatmen. Der Verlauf ist immungenetisch disponiert, der eine reagiert ganz heftig, der andere weniger.

Ärzte Zeitung: Bei Hühnern befällt das Virus unterschiedliche Organe. Ist das bei Menschen auch so?

Doerr: Ja, das kann auch bei Menschen so sein. Bisher konzentriert sich H5N1 bei Menschen auf die Lunge. Es gibt aber auch einige der 170 Erkrankten, die keine massive Pneumonie hatten. Einige sind nicht an der Pneumonie, sondern an Kreislaufversagen gestorben. Es ist ähnlich wie bei Hühnern: Es kann durch Hämorrhagien, etwa in Lunge und Gehirn, zu einem Schock kommen. Wieder andere Erkrankte hatten eine Enzephalopathie.

Ärzte Zeitung: Weshalb ist H5N1 so aggressiv und kann sich in anderen Organen ausbreiten?

Doerr: Dockt das Virus an Zellen an, muß der Andock-Anker, also das Hämagglutinin, in einem weiteren Schritt erst aktiviert werden, damit das Virus in die Zellen eindringen kann. Das geschieht über zelluläre Proteasen. Human-Influenzaviren haben Protease-Bindestellen, die nur in respiratorischen Zellen vorkommen. H5N1 hat auch Bindestellen für Proteasen aus ganz verschiedenen Zellen. Damit kann das Hämagglutinin des Virus auch an anderen Zellen aktiviert werden. Beim Pandemie-Virus von 1918, einem H1N1-Virus, war das anfangs ähnlich. Inzwischen ist es aber rückmutiert, hat weniger Schnittstellen für die Proteasen und ist dadurch harmloser geworden.

Ärzte Zeitung: Einige Experten behaupten, H5N1 ist durch die Massentierhaltung so pathogen geworden. Wenn genug Tiere auf engem Raum sind, hat ein aggressives Virus Vorteile.

Doerr: Das ist eine Vermutung. Ich kann es mir aber nicht anders vorstellen. Klar ist, jedes Virus mutiert und hat Nachkommen. Die, die schnell wachsen, die hochaggressiven, haben nur dann einen Vorteil, wenn die nächsten Wirtstiere in der Nähe sind, sonst würden sie mit ihrem Wirt sterben. Wenn nur wenige Tiere da sind, wird nur das langsam wachsende Virus überleben, welches sein Wirtstier länger schont.

Ärzte Zeitung: 1918 war Krieg und viele Soldaten lebten dicht beieinander. Manche glauben, das war ein Grund, weshalb das Pandemie-Virus damals so pathogen war. Heute leben sechs Milliarden Menschen auf der Erde, viele davon in Millionenstädten. Sind das nicht optimale Bedingungen für ein aggressives Virus?

Doerr: Das Virus hat sich 1918 auch außerhalb der Kasernen verbreitet. So ganz stimmt die Hypothese also nicht. Sie hat aber etwas für sich. Wenn sich ein neues Virus an Menschen anpaßt, wird die Pathogenität zwangsläufig nachlassen. Allerdings kann es einige Zeit dauern. Anfangs wird die Pathogenität hoch sein, danach immer niedriger.



ZUR PERSON

Professor Hans Wilhelm Doerr

Professor Hans Wilhelm Doerr zählt zu den Mitentdeckern des Sars-Virus, an dem bei einem Ausbruch vor drei Jahren über 8000 Menschen erkrankten. Der 1945 in Thüringen geborene Virologe und Facharzt für Labormedizin leitet das Institut für Medizinische Virologie der Universität Frankfurt am Main. Doerr ist Mitglied im Beirat des Paul-Ehrlich-Instituts in Langen und Mitherausgeber der Zeitschriften "Infection", "Medical Microbiology and Immunology" sowie Herausgeber der Zeitschrift "Monographs in Virology".

Lesen Sie dazu auch: "Zur Infektion müssen Sie mit dem Vogel zu Bett gehen" Nächste Pandemie durch H2-Virus?

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