Interview

ABDA-Präsident verteidigt Arzneikatalog

Das ABDA-KBV-Konzept wird von Hausärzten, Kassen und Industrie harsch kritisiert. Vieles davon sei nur Polemik, schießt ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf im Interview zurück.

Veröffentlicht:
Heinz-Günter Wolf, ABDA-Präsident und Mitglied des Vorstands des Deutschen Apothekerverbands (DAV)

Heinz-Günter Wolf, ABDA-Präsident und Mitglied des Vorstands des Deutschen Apothekerverbands (DAV)

© ABDA

ApothekerPlus: Apotheker sollen künftig gemeinsam mit Ärzten ein Medikationsmanagement betreiben. Das ist ein neues Terrain. Wie soll das genau funktionieren?

Heinz-Günter Wolf: Gemeinsam mit dem Arzt ist der Apotheker Ansprechpartner des Patienten. Der Apotheker oder der Arzt - das darf der Patienten bestimmen - beginnt mit einer Bestandsaufnahme und Bewertung aller Arzneimittel, die der Patient einnimmt - sowohl verschriebene als auch selbst gekaufte.

Dann erfolgt die gemeinsame Absprache zwischen behandelndem Arzt und Apotheker: eine Prüfung auf Doppelverordnung und Wechselwirkungen, die Erstellung eines Medikationsplans und ein Gespräch mit dem Patienten. Auch die weitere Betreuung erfolgt gemeinsam durch Arzt und Apotheker.

ApothekerPlus: Was haben Ärzte und Apotheker davon - außer eventueller Beteiligung an Einsparungen?

Heinz-Günter Wolf: Sie machen einen gemeinsamen Schritt nach vorne, indem ihre Zusammenarbeit systematisiert wird. Für beide freiberuflichen Heilberufler ist dies ein längst überfälliger Schritt, um die Versorgungsqualität weiter zu verbessern. Sie lernen zudem mehr über ihre Patienten - und auch mehr über die Arbeit des anderen Heilberuflers.

ApothekerPlus: Gerade der Hausärzteverband, der einen großen Teil der Kooperationspartner vertritt, zeigt daran aber bisher wenig Interesse. Wie will die ABDA die Ärztebasis zum Mitmachen motivieren?

Heinz-Günter Wolf: Wir suchen weiter das Gespräch, wehren uns allerdings gegen jegliche verbandspolitische Polemik. Denn die geht an der wirklich guten Zusammenarbeit vor Ort völlig vorbei. Übrigens hat inzwischen auch der Deutsche Hausärzteverband die gute Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und Apothekern vor Ort öffentlich bestätigt.

ApothekerPlus: Was halten Sie der Kritik entgegen, dass hier Listenmedizin praktiziert wird?

Heinz-Günter Wolf: Eine evidenzbasierte Medizin benötigt eine Systematisierung auch der Arzneimittel. Dennoch gibt der Medikationskatalog nur Empfehlungen, von denen der Arzt natürlich abweichen kann. Eine Positivliste ist dagegen etwas völlig anderes.

Der Medikationskatalog braucht daher weder Patienten zu beunruhigen, dass sie ein notwendiges, aber nicht im Katalog enthaltenes Arzneimittel künftig selbst bezahlen müssen, noch Ärzte, dass sie ihre Therapiehoheit verlieren. Im Gegenteil: Jeder soll mit einem Medikament aus dem Medikationskatalog sprichwörtlich auf der sicheren Seite sein.

ApothekerPlus: Allein durch die verbesserte Compliance sollen stolze 1,8 Milliarden Euro eingespart werden. Doch wie soll etwas, dass nicht eintritt - nämlich Folgekosten durch Noncompliance - quantifiziert werden?

Heinz-Günter Wolf: Die 1,8 Milliarden Euro werden jährlich allein durch das Medikationsmanagement eingespart, wenn nach unseren Vorstellungen ab dem Jahr 2014 das Komplettmodell deutschlandweit und kassenübergreifend läuft.

Wenn dann die Non-Compliance-Quote, die zum Beispiel die Ursache von 50 Prozent der Therapieversager bei Hypertonie ist, deutlich gesenkt werden kann, sind einfach enorme Einsparungen durch nicht eintretende Folgen und Notfallmaßnahmen zu erwarten.

ApothekerPlus: Ein weiterer Punkt beim Apothekertag ist das Entwicklungspotenzial von Apotheken. Wo sehen Sie da noch Spielraum?

Heinz-Günter Wolf: Es bleibt dabei: die Zukunft der Apotheken wird über pharmazeutische Leistung und Qualität entschieden. Als Entwicklungspotenzial im pharmazeutischen Sinne habe ich beispielhaft das ABDA-KBV-Modell genannt.

Entwicklungspotenzial im wirtschaftlichen Sinne muss zudem dringend durch eine Dynamisierung der Honorare geschaffen werden, die seit Langem überfällig ist.

ApothekerPlus: Viele Apotheker führen ihre wirtschaftlich angespannte Situation auch auf den hohen Kassenabschlag zurück. Um verlässliche Zahlen zur wirtschaftlichen Situation als Basis für neue Verhandlungen zum Kassenabschlag 2013 zu bekommen, schreibt das AMNOG vor, stichprobenartige Betriebsprüfungen vorzunehmen. Wer macht die und gibt es schon erste Zahlen?

Heinz-Günter Wolf: Der hohe Kassenabschlag ist tatsächlich ein Problem: Hinzu kommt, dass jeder Schiedsspruch zur Anpassung des Abschlags durch die Kassen beklagt wird. Rabattverträge über nicht lieferbare Arzneimittel sind ein weiteres Problem.

Trotzdem wird von uns Apothekern jeder Patient ordentlich versorgt. Der Umgang mit den Berechnungen für die Abschlagsbasis 2013 ist aber noch in Arbeit. Das macht der DAV.

ApothekerPlus: Derweil suchen Apotheken nach neuen Erfolgsmodellen: Mit dem geplanten Roll-out des Vorteil-24-Modells von Linda würden zum Beispiel erstmals in großem Stil Einkaufvorteile in den Niederlanden für ein neues Marketingkonzept genutzt. Hinkt die ABDA mit Ihrem Apothekenbild da nicht der Realität hinterher?.

Heinz-Günter Wolf: Alle Apotheken, die auf deutschem Staatsgebiet nach holländischem Recht arbeiten wollen, werden nach meiner Überzeugung ihrem Versorgungsauftrag nicht gerecht. Sie gefährden auch unsere Arzneimittelpreisverordnung in erheblichem Maß und werden dann die ersten sein, die sich darüber beklagen, wenn es hier Änderungen gibt.

Immerhin hat sich der Bundesgerichtshof vor fast genau einem Jahr - im September 2010 - ausdrücklich für eine klare Geltung der Arzneimittelpreisverordnung ausgesprochen.

Die Fragen stellte Ruth Ney

Lesen Sie dazu auch: Westfalen-Lippe in Poleposition

Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Umstellung auf Living Guideline

S3-Leitlinie zu Pankreaskrebs aktualisiert

Lesetipps
Gefangen in der Gedankenspirale: Personen mit Depressionen und übertriebenen Ängsten profitieren von Entropie-steigernden Wirkstoffen wie Psychedelika.

© Jacqueline Weber / stock.adobe.com

Jahrestagung Amerikanische Neurologen

Eine Frage der Entropie: Wie Psychedelika bei Depressionen wirken

Gesundheitsminister Lauterbach hat angekündigt, den Entwurf für die Klinikreform am 8. Mai im Kabinett beraten lassen zu wollen. 

© picture alliance / Geisler-Fotopress

Großes Reformpuzzle

So will Lauterbach den Krankenhaus-Sektor umbauen