"Ein Kongress, der Interdisziplinarität fördert"

Ohne Interdisziplinarität funktioniert die Innere Medizin nicht, sagt Professor Rainer Kolloch, der Präsident des Internistenkongresses. Der Kongress in Wiesbaden bietet eine solche Interdisziplinarität. Das ist gerade für junge Kollegen attraktiv.

Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Patientenbetreuung zu fördern und dabei besonders die integrative Rolle der Internisten: Das sind für Sie, Herr Professor Kolloch, klare Vorgaben an den diesjährigen Internistenkongress ...

Professor Rainer Kolloch: ... ja, denn ohne interdisziplinär zu denken und vernetzt zu arbeiten, funktioniert die ganze Innere Medizin nicht.

Neu veröffentlichte Studien und Forschungsergebnisse machen dabei immer wieder aufs Neue deutlich, wie wichtig die Vernetzung der einzelnen Schwerpunktgebiete, wie komplex die ganze Innere Medizin ist. Die behandelnden Kollegen müssen Zusammenhänge mehrerer Erkrankungen bei Multimorbidität im Auge haben, und, etwa bei Hochdruck-Patienten, eventuell schon existente, oft aber noch subklinische Endorganschäden.

Die integrative Rolle der Internisten verstehe ich dabei so, dass Internisten nicht alles selbst beherrschen und selbst machen können, aber zumindest darauf aufmerksam machen und dafür sorgen müssen, dass zum Beispiel bestimmte Kontrolluntersuchungen überhaupt durchgeführt werden, und dass sie gemeinsam mit den Schwerpunktinternisten die Langzeitbetreuung koordinieren.

Ärzte Zeitung: An welche neuen Studien und Forschungsergebnisse denken Sie etwa, wenn es um Interaktionen bei Multimorbidität geht?

Kolloch: Ein Beispiel ist hier eine neue Studie zu Patienten, die eine KHK haben und zudem eine Schlafapnoe. In dieser Studie wurden etwa 400 KHK-Patienten auf eine Schlafapnoe untersucht. Diese Begleiterkrankung lag etwa bei jedem zweiten vor. Zudem wurde zehn Jahre lang ermittelt, ob die Patienten einen Schlaganfall hatten. Das Ergebnis war eindeutig: Bei dem Teil der Patienten mit Schlafapnoe war die Rate der Schlaganfälle verdreifacht im Vergleich zu denen ohne Schlafapnoe. Damit ist zum ersten Mal belegt, dass Schlafapnoe bei Patienten mit KHK ein unabhängiger Risikofaktor für einen Schlaganfall ist.

Die praktische Konsequenz dieser Studie liegt auf der Hand: Bei Patienten mit KHK sollte überprüft werden, ob sie eine Schlafapnoe haben. Werden sie deswegen behandelt, bedeutet dies eine Prävention von Schlaganfällen.

Ärzte Zeitung: Und ein Beispiel zur Herausforderung durch - oft noch subklinische - Endorganschäden, etwa bei Hypertonie...?

Kolloch: Ein ganz zentrales Thema ist hier für mich die Forschung zu den Zusammenhängen von kognitiven Funktionen und Bluthochdruck.

Natürlich werden bei älteren Menschen - bedingt durch das Altern - kognitive Funktionen, also Konzentrationsfähigkeit, Gedächtnisleistung und Schnelligkeit des Denkens schlechter. Bei einer Hypertonie, und das wird immer klarer, verlaufen diese Prozesse aber beschleunigt. Offenbar steigt das Risiko für eine Demenz mit den Blutdruckwerten. Und das entscheidet sich zudem relativ früh. Es gibt Daten, dass sich - bezogen auf den Blutdruck - im mittleren Lebensalter entscheidet, welche kognitiven und intellektuellen Fähigkeiten man im Alter von 75 Jahren noch hat.

Solche Daten müssen uns nachdenklich stimmen. Ein Schlaganfall etwa ist von einem Moment auf den anderen da! Durch Hypertonie bedingte Störungen etwa der kognitiven Funktionen entwickeln sich dagegen schleichend.

Ärzte Zeitung: Betrifft diese langsam fortschreitende Schädigung der Organe durch Hypertonie, in diesem Fall des Gehirns, eher die Erwachsenen und die Älteren, sind am anderen Ende der Skala die Kinder und Jugendlichen mit Hypertonie...

Kolloch: ... ja, da sprechen Sie ein ernstes Problem an. Der Anstieg der Zahl von Kindern und Jugendlichen mit Hypertonie, aber auch mit Typ-2-Diabetes wird ja dem parallelen Anstieg der Zahl von Kindern mit Übergewicht und Adipositas zugeschrieben. Hier müssen wir dringend was tun, um eine Lawine von Hochrisikopatienten in den nächsten 20 bis 30 Jahren abzuwehren

Ärzte Zeitung: In die Vernetzung der Internisten sind für Sie auch Zahnärzte integriert? Oder wie ist ein Symposium beim Internistenkongress mit dem Titel "Zahnarzt trifft Internist" zu verstehen?

Kolloch: Auch zwischen Internisten und Zahnärzten gibt es immer wieder Berührungspunkte.

Es gibt zum Beispiel neue, gute Studien aus 2008, in denen wieder der schon länger diskutierte Zusammenhang zwischen Peridontitis und erhöhtem kardiovaskulären Risiko unter die Lupe genommen worden ist. Festgestellt wurde durch aufwendige Messungen, dass bei Peridontitis - sowohl bei Gesunden, besonders aber bei Hypertonikern - eine ausgeprägte endotheliale Dysfunktion vorliegt. Das wäre dann der Link, wie Peridontitis über Gefäßmechanismen das kardiovaskuläre Risiko erhöhen kann.

Ärzte Zeitung: Damit bietet der Internistenkongress also eine Interdisziplinarität, die andere Kongresse nicht haben ...

Kolloch: Ja, das ist de facto so. Diese Interdisziplinarität ist auch etwas, was gerade für die jungen Kollegen besonders attraktiv ist. Die jungen Kollegen wollen sich in der Regel ja erst einen Überblick über die Innere Medizin verschaffen, bevor sie sich für eine Spezialisierung entscheiden. Das sehe ich auch als Klinikchef bei Bewerbungen. Einen solchen umfassenden Überblick bekommen sie beim Internistenkongress perfekt präsentiert.

Hier kriegen sie in kurzer Zeit und auf hohem Niveau das gesamte Spektrum zu alltagsrelevanten Themen geboten. Die Besten aus den jeweiligen Schwerpunkten referieren die neuen Daten, kommentieren sie und ordnen sie für die Praxis ein. Ergänzt werden die Angebote für junge Kollegen etwa durch die Veranstaltung "Chances", wo es um Themen wie Praxisniederlassung, integrierte Versorgung oder um andere aktuelle berufspolitische Fragen geht.

Ärzte Zeitung: Angenommen, Sie hätten drei Wünsche an die "gute Kongress-Fee" frei...!

Kolloch: ... dann wünsche ich mir erstens viele Besucher, zweitens, dass diese Wiesbaden nach dem Kongress nicht nur zufrieden, sondern begeistert verlassen, und drittens, dass das auf dem Kongress Gebotene letztlich jedem einzelnen Patienten zugute kommt - eigentlich das Hauptziel des Kongresses!

Das Interview führte Marlinde Lehmann

Infos zum Internistenkongress gibt‘s im Web unter www.dgim2009.de

Professor Rainer Kolloch

Als Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM) ist Professor Rainer E. Kolloch zugleich Präsident des 115. Internistenkongresses. Kolloch leitet seit 2006 das EVKB, Akademisches Lehrkrankenhaus der Uni Münster. Seit 1994 ist er dort Chefarzt der Betheler Klinik für Innere Medizin, Kardiologie, Nephrologie und Pneumologie. Kolloch ist Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde und Allergologie. Seine klinische und wissenschaftliche Ausbildung absolvierte er an der Uniklinik Bonn und an der University of Southern California in Los Angeles.

Internistenkongress 2009

Der 115. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin findet vom 18. bis 22. April in Wiesbaden statt. Er ist eine gute Chance, vor dem Stichtag Ende Juni das eigene CME-Punkte-Konto zu füllen. Schwerpunkte sind Komorbiditäten, Besonderheiten der Diagnostik und Therapie bei Älteren, Gefäßmedizin, Hypertonie und Schlaganfall. Kurse, Sitzungen, Symposien und Vorträge sind wieder fünf "Pfaden" zugeordnet. Der Pfad "Chances - Forum für junge Mediziner" etwa unterstützt den medizinischen Nachwuchs. Ein Patiententag findet am 18. April statt.

Schlagworte:
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Ambulantisierung

90 zusätzliche OPS-Codes für Hybrid-DRG vereinbart

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“

Lesetipps
Der Patient wird auf eine C287Y-Mutation im HFE-Gen untersucht. Das Ergebnis, eine homozygote Mutation, bestätigt die Verdachtsdiagnose: Der Patient leidet an einer Hämochromatose.

© hh5800 / Getty Images / iStock

Häufige Erbkrankheit übersehen

Bei dieser „rheumatoiden Arthritis“ mussten DMARD versagen