"Zukunft menschenwürdig gestalten - wir Ärzte sind bereit, unseren Beitrag zu leisten"

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"Wir brauchen ein neues Denken für die Organisation ärztlicher Arbeit. Und da sind die Klinikträger ebenso aufgerufen wie die Kassenärztlichen Vereinigungen. Wir müssen die alten Strukturen in Frage stellen und neue Modelle entwickeln." (Professor Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer) © Lösel

"Wir brauchen ein neues Denken für die Organisation ärztlicher Arbeit. Und da sind die Klinikträger ebenso aufgerufen wie die Kassenärztlichen Vereinigungen. Wir müssen die alten Strukturen in Frage stellen und neue Modelle entwickeln." (Professor Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer) © Lösel

© Lösel

Der Präsident der Bundesärztekammer Professor Jörg-Dietrich Hoppe hat gestern bei der Eröffnung des Deutschen Ärztetags in Dresden einen Sozialpakt gefordert, um künftige Herausforderungen in einer "Gesellschaft des langen Lebens" gemeinsam zu stemmen. Wir dokumentieren Auszüge aus Hoppes schriftlichem Redemanuskript.

Von Professor Jörg-Dietrich Hoppe

Es muss wieder um den Menschen und nicht um Macht, es muss wieder um den Patienten und nicht nur um Politik gehen. Wir haben deshalb hoffnungsvoll zur Kenntnis genommen, dass im Koalitionsvertrag eine neue Dialogkultur für das Gesundheitswesen angekündigt wurde. Nach einem halben Jahr der Zusammenarbeit kann ich nur bestätigen, Herr Minister Rösler, dass Sie Ihre Ankündigung wahr gemacht haben und dass wir die Probleme gemeinsam angehen. Zu allen wichtigen Themen gibt es kontinuierliche Gespräche. Wir reden wieder miteinander und das ist auch gut so.

Wir können nur dann attraktivere Arbeitsbedingungen schaffen, wenn wir genau über die Sorgen und Nöte der jungen Ärztinnen und Ärzte bescheid wissen. Wir haben deshalb Ärzte in Weiterbildung und deren Weiterbildungsbefugte konkret über deren Arbeitssituation und die Qualität der Weiterbildung befragt. Geantwortet haben uns fast 30 000 Ärztinnen und Ärzte. Im Ergebnis sind die Weiterzubildenden deutschlandweit grundsätzlich mit ihrer Weiterbildungssituation in Klinik und Praxis zufrieden. Aber die Umfrage hat auch gezeigt, dass der ökonomische Druck im Arbeitsalltag der jungen Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung zu einer enormen Belastung geworden ist. Leistungsverdichtung bei verkürzten Liegezeiten und bei einer Reduzierung der Stellen im ärztlichen Dienst führen zu extrem hoher Arbeitsbelastung. Es ist schon erstaunlich, dass die Personalkosten unserer Krankenhäuser von 65,2 Prozent im Jahr 2002 auf 60,5 Prozent im Jahr 2008 zurückgegangen sind.

Zunehmend auch werden gerade junge Ärztinnen und Ärzte durch den ausufernden Bürokratismus immer stärker mit nicht-ärztlichen, organisatorischen administrativen Tätigkeiten beansprucht. Diese Zeit fehlt dann in der medizinischen Versorgung und das spüren die Ärzte, die Weiterbilder, vor allem die Patientinnen und Patienten.

Die Befragung hat einmal mehr deutlich gemacht, dass wir ein neues Denken für die Organisation ärztlicher Arbeit brauchen. Und da sind die Klinikträger ebenso aufgerufen, wie die Kassenärztlichen Vereinigungen. Wir müssen die alten Strukturen in Frage stellen und neue Modelle entwickeln. Wir müssen die Arbeitsbedingungen der Lebenswelt der jungen Ärzte und vor allem der jungen Ärztinnen anpassen. Deshalb auch haben wir Herrn Minister Rösler vorgeschlagen, einen bundesweiten Gipfel zu Arbeitszeitmodellen mit allen Beteiligten zu organisieren. Wir müssen über diese Probleme reden - nur dann können wir gemeinsam handeln.

Aber wir haben nicht nur Probleme beim Übergang vom Studium in die kurative Medizin, wir müssen auch das Medizinstudium selbst durchlüften. Das Studium der Medizin muss endlich praxistauglich werden. Der Patient darf nicht länger eine theoretische Größe sein. Die angehenden Ärztinnen und Ärzte müssen näher und früher an die Patienten herangeführt werden. Sie müssen sehen, was es heißt, später als Arzt zu arbeiten und sie müssen erleben, wie erfüllend es ist, Patienten zu helfen und zu heilen. Und das nicht nur mit hochspezialisierten Methoden, sondern auch und gerade mit denen der hausärztlichen Versorgung durch die Allgemeinmedizin.

Soziale Kompetenz und soziale Verantwortung sind für mich die entscheidenden Determinanten einer gesellschaftlichen Entwicklung. Wir Ärzte können zwar nicht die Gesellschaft in toto analysieren, geschweige denn verändern, aber wir sehen die einzelnen Menschen mit ihren Nöten, mit ihren Sorgen, mit ihren Krankheiten.

Wir sehen die Symptome, wenn die Gesellschaft erkrankt. Wir sehen, wie Mangelernährung unter Kindern und Alkohol- und Drogenkonsum unter Jugendlichen zunimmt. Wir sehen die psychische Belastung alleinerziehender Mütter, die Zunahme von Burnout am Arbeitsplatz und die Einsamkeit alter Menschen. Wir können viele Faktoren erkennen, die zu Krankheit führen. Aber uns fehlen die Mitmenschen, die uns beim Heilen helfen. Das Soziale droht in unserer wachsenden Singlegesellschaft verloren zu gehen. Und das können wir weder als Ärzte kompensieren, noch können das Politiker durch Gesetze administrieren.

Eine Gesellschaft des langen Lebens erfordert neues Denken, erfordert ein Zusammenwirken all ihrer Kräfte für ein größeres soziales Engagement der Menschen untereinander.

Eine Gesellschaft ist mehr als nur die sie umgebende Staatsform. Eine Gesellschaft wird maßgeblich geprägt durch ihre Kultur, durch den Umgang der Menschen miteinander.

Gesundheit kann die große Frage des 21. Jahrhunderts werden und die Antwort liegt gewiss nicht allein bei Ärzten und Pflegern. Eine Gesellschaft des langen Lebens erfordert einen neuen Gesellschaftsvertrag.

Wir können unsere Zukunft nur menschenwürdig gestalten, wenn wir uns rückbesinnen auf den Menschen als soziales Wesen. Wir brauchen endlich ein neues Signal aus der Mitte der Gesellschaft, wir brauchen einen Sozialpakt für die Zukunft. Wir Ärztinnen und Ärzte in Deutschland sind bereit, unseren Beitrag zu leisten.

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