Interview

"Therapie ist der Lebensphase anzupassen "

"Lebensphasen" ist Leitthema des Internistenkongresses. "Damit soll auch bewusst gemacht werden: Diagnostik und Therapie müssen an das Lebensalter und an die Lebensphasen angepasst sein", so Kongresspräsident Professor Hendrik Lehnert zur "Ärzte Zeitung". Fetale Programmierung, Transition, Multimorbidität im Alter -das alles sind Stichworte in diesem Zusammenhang.

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Professor Hendrik Lehnert

Aktuelle Position: Professor Hendrik Lehnert ist seit 2007 Direktor der 1. Medizinischen Klinik, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck.

Werdegang/Ausbildung: Studium der Psychologie und der Humanmedizin in Münster. Nach dem Hauptdiplom in klinischer Psychologie schloss Lehnert 1980 ebendort Medizinstudium und Dissertation ab.

Karriere: 1988: Facharztanerkennung für Innere Medizin; 1989 bis 1993: Oberarzt an der Uni-Klinik Mainz; 1991: Habilitation; 1994 bis 2005: Direktor der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen der Uni Magdeburg; für drei Jahre Direktor des Zentrums für Innere Medizin der Universität Magdeburg. 2005 bis 2007: Chair of Medicine, Warwick University Medical School, Coventry.

Ärzte Zeitung: Herr Professor Lehnert, als erster Präsident eines Internistenkongresses haben Sie außer vier Hauptthemen auch ein Leitthema definiert. Es heißt "Lebensphasen". Warum dieses Leitthema? Welches Signal wollen Sie mit diesem Leitthema setzen? Welche Absichten verknüpfen Sie damit?

Professor Hendrik Lehnert: Mit diesem Thema wollen wir die Breite der Inneren Medizin aufzeigen und in unterschiedlichsten Vorträgen und Symposien belegen, dass die Grundlagen für internistische Erkrankungen weit vor Eintritt in das Erwachsenenalter gelegt werden.

Ein Stichwort ist hier das der fetalen Programmierung. Zum anderen geht es auch darum, dass diagnostische und therapeutische Maßnahmen an die unterschiedlichen Lebensalter und Lebensphasen angepasst werden müssen. Ein prominentes Beispiel ist hierzu die Behandlung von schwerwiegenden Erkrankungen, zum Beispiel Tumorerkrankungen, in hohem Lebensalter.

Ärzte Zeitung: Mit dem Leitthema "Lebensphasen" verknüpft ist ja auch der Begriff der "Transition". Was ist darunter zu verstehen?

Lehnert: Unter dem Begriff der Transition verstehen wir grundsätzlich den Übergang von einer Phase, also auch einer Lebensphase, in die andere; im engeren Sinne ist hier der Übergang von der Jugend in das Erwachsenenalter gemeint.

 Heute erreichen sehr viel mehr Kinder als noch vor 20 oder 30 Jahren das Erwachsenenalter. Typische Beispiele sind der Typ 1-Diabetes oder die Mukoviszidose: Hier erreichen nahezu alle Kinder das Erwachsenenalter, während es vor 30 bis 40 Jahren etwa 80 oder auch nur 50 Prozent waren.

Der Begriff Transition soll darüber hinaus verdeutlichen, dass wir als Internisten damit auch vor neuen Herausforderungen stehen und uns Erkrankungen zuwenden müssen, die früher überwiegend vom Pädiater gesehen wurden.

Ärzte Zeitung: In diesem Zusammenhang plädieren Sie ja auch dafür, dass möglichst rasch neue Strukturen geschaffen oder bereits bestehende verbessert werden, um die kontinuierliche Betreuung chronisch kranker Kinder und Jugendlicher zu sichern. Wie könnte man sich solche Strukturen vorstellen?

Lehnert: Hier ist es natürlich besonders wichtig, funktionierende Strukturen zu schaffen, in denen sozusagen ein Transfer von chronisch kranken Kindern in die Erwachsenenmedizin geschehen kann. Idealerweise geschieht dies im Rahmen einer gemeinsamen Transitionssprechstunde, in der Pädiater und Internist gemeinsam den Patienten sehen, den Erkrankungsverlauf besprechen und den weiteren Therapieplan diskutieren.

 Solche Transitionssprechstunden sind an zahlreichen - lange aber noch nicht allen - Unikliniken etabliert. Sinnvoll und wünschenswert sind solche Transitionssprechstunden vor allen Dingen für Erkrankungen wie Diabetes, kongenitale Herzerkrankungen, Mukoviszidose oder auch Wachstumshormonmangel.

Ärzte Zeitung: Eine Lebensphase, der ja zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist die des Alters. Stichworte sind hier Multimorbidität, fehlende Leitlinien speziell für alte Patienten. Welche neuen Erkenntnisse für Patienten in der Lebensphase "Alter", etwa aus den Bereichen der Stoffwechselmedizin und der Endokrinologie, werden beim Kongress vorgestellt?

Lehnert: Es zeichnet sich immer mehr ab, dass für den geriatrischen Patienten andere Therapieleitlinien bestehen als für Patienten jüngeren und mittleren Lebensalters. Aber auch da, wo die Leitlinien identisch sind - etwa in der Behandlung von Herz-Kreislauferkrankungen - müssen natürlich Grundsätze der Pharmakokinetik und die Medikation im höheren Lebensalter besonders gründlich überprüft werden.

Ein Beispiel für einen Paradigmenwechsel in der Behandlung älterer Menschen ist die Notwendigkeit oder besser Nicht-Notwendigkeit einer Gewichtsreduktion.

 In einer Reihe von ersten Untersuchungen - besonders lesenswert in diesem Zusammenhang sind die Arbeiten von Villareal, veröffentlicht in den Archives of Internal Medicine 2006 - zeichnet sich ein neuer Konsens ab hinsichtlich der Behandlung von Übergewicht und metabolischem Syndrom im höheren Lebensalter, etwa oberhalb von 70 Lebensjahren.

Denn Mortalitätsstudien legen eine Gewichtsstabilität für Personen nahe, die nach dem 65sten Lebensjahr übergewichtig werden - klinisch relevante Vorteile eines Gesichtsverlustes bestehen ausschließlich für Knochen- und Gelenkbeschwerden, für den Erhalt der körperlichen Leistungsfähigkeit, und nur fraglich für die Einstellung des Typ 2-Diabetes und die Behandlung bei KHK.

Für viele ältere Menschen wird daher die beste Empfehlung die der Gewichtsstabilität sein, ganz im Gegenteil zu den Empfehlungen, die wir für jüngere Erwachsene aussprechen.

Ärzte Zeitung: Zu den Lebensphasen gehört auch die Pränatalphase. Können Sie uns ein Beispiel für neue Erkenntnisse in diesem Bereich geben, die Kongressbesucher mit nach Hause nehmen können?

Lehnert: Ein Kongressthema wird auch sein, wie Aspekte der Pränatalphase und hier insbesondere das Prinzip der fetalen Programmierung von Bedeutung für Erkrankungen im späteren Lebensalter sein werden.

 Ein klassischer Befund in diesem Zusammenhang ist, dass Minderernährung in der Fetalphase und ein niedriges Geburtsgewicht deutlich häufiger mit Adipositas, Typ 2-Diabetes oder Herz-Kreislauferkrankungen in höherem Lebensalter assoziiert sind. Dies hat auch für den Internisten eine hohe Bedeutung in der Etablierung präventiver Maßnahmen.

Interview: Marlinde Lehmann

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