SPRINT-Studie

Was bedeutet sie für den Praxisalltag?

Welcher Grenzwert gilt nach SPRINT? Auch beim Internistenkongress wird diese Frage wieder mehrfach aufgeworfen.

Von Veronika Schlimpert Veröffentlicht:

Nach Veröffentlichung der SPRINT-Ergebnisse 2015 haben viele Experten eine Änderung der Leitlinien hin zu einer strengeren Blutdruckkontrolle kommen sehen. In der Studie wurden ja Vorteile einer intensiven Blutdrucksenkung auf unter 120 mmHg im Vergleich zur Standardtherapie (< 140 mmHg) belegt. Doch Kritiker argumentieren, dass die Ergebnisse nicht einfach auf die Praxis zu übertragen seien.

Grund ist die in SPRINT verwendete Messmethode. Besonders daran war, dass die Messung automatisch dreimal wiederholt wurde, unbeobachtet, also ohne ärztliche Aufsicht, stattfand und erst begann, nachdem die Patienten fünf Minuten in Ruhe gesessen hatten. Mit dieser Methode der automatischen "unbeobachteten" Messung in Ruhe wollten die Studienautoren Verfälschungen durch einen Weißkitteleffekt ausschließen.

Ungewöhnliche Messmethode

Experten wie der Hypertensiologe Dr. George Bakris sind aber der Ansicht, dass diese Art der Blutdruckmessung womöglich zu niedrigeren Blutdruckwerten geführt hat, als sie im Praxisalltag gemessen werden. Und auch die Hochdruckliga hat auf ihrer Tagung Ende 2016 die Messmethode in der SPRINT-Studie als Argument dafür herangezogen, die deutschen Leitlinien bezüglich des Blutdruckzielwertes vorläufig nicht ändern zu wollen.

Eine neue Studie von Dr. Rajiv Agarwal scheint der Argumentation der Fachgesellschaft zunächst Recht zu geben (JAHA 2017 DOI: 10.1161/JAHA.116.004536). Der Mitarbeiter der nephrologischen Abteilung der Indianapolis University, Indiana, hat unterschiedliche Blutdruckmessverfahren – nämlich die in SPRINT verwendete "wissenschaftliche"Methode, die übliche Praxismessung und die 24-Stunden-Messung – an 275 Patienten angewandt und analysiert, inwieweit die gemessenen Werte voneinander abweichen.

Die Unterschiede waren tatsächlich beträchtlich: Der "wissenschaftlich" gemessene systolische Blutdruck lag im Mittel um 12,7 mmHg niedriger als der Wert bei der üblichen Praxismessung, und um 7,9 mmHg niedriger als der Wert in der ambulanten 24-h-Messung – und das, obwohl die Praxismessung und die "wissenschaftliche" Messung am selben Tag erfolgten. Der diastolische Wert wich um 12,0 und 11,7 mmHg ab. Die Größe des Übereinstimmungsbereichs zwischen den Messwerten variierte allerdings deutlich (–46,1 bis 20,7 mmHg systolisch, –34,2 bis 10,1 mmHg diastolisch). Ein Patient, dessen Blutdruck "wissenschaftlich" mit der SPRINT-Methode gemessen wird, kann demnach in der Praxis einen um 46,1 mmHg niedrigeren, aber auch einen um 20,7 mmHg höheren Wert haben.

Agarwal hält es daher für ein "naives Vorgehen", die Differenz von 12,7 mmHg einfach zum Zielwert der SPRINT-Studie zu addieren und diesen Wert dann als "Praxisblutdruckzielwert" festzulegen. Mit dieser Handhabe hatte die Hochdruckliga jüngst versucht, die in den aktuellen Leitlinien empfohlenen Blutdruckzielwerte zu verteidigen: Auf die im SPRINT-Interventionsarm im Schnitt erreichten 121 mmHg – diese Blutdrucksenkung ging mit einer signifikanten Reduktion der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität einher – wurden 15 mmHg dazu addiert, um auf den vermeintlichen Praxiswert zu kommen. Der resultierende Wert von 136 mmHg entspreche wiederum der aktuellen Leitlinienempfehlung, so die Hochdruckliga.

"Anstatt mit einer solchen rechnerischen Korrektur auf den Praxiszielwert rückzuschließen, sollte die SPRINT-Messmethode besser als Blutdruckmessmethode angewendet werden, um die Ergebnisse der Studie auf Bevölkerungsebene übertragen zu können", äußert sich Agarwal kritisch gegenüber diesem Vorgehen.

Allerdings ließen sich weder mit der "wissenschaftlichen" Messmethode noch mit der Praxismessung die Werte der ambulanten 24-Stunden-Blutdruckmessung akkurat einschätzen. Folglich stelle keines der beiden Messverfahren einen angemessenen Ersatz für die ambulante Blutdruckmessung dar. Alle Teilnehmer der Studie Agarwals hatten unter einer Medikation mit im Mittel 3,1 Antihypertensiva einen Blutdruck unter 140/90 mmHg; sie waren diesbezüglich mit den SPRINT-Patienten vergleichbar (im Mittel nahmen diese 2,8 Medikamente ein).

Weitere Informationen zur Kardiologie: www.springermedizin.de

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