Viren funktionieren zu ihrem eigenen Schutz die Zellen um

TITISEE (kat). Im Laufe der Jahrtausende währenden Koevolution von Krankheitserregern und ihren Wirtstieren sind die Abwehr- und Gegenabwehr-Mechanismen immer weiter verfeinert worden. So manche Infektion bleibt daher unentdeckt, da sich ein Gleichgewicht einstellt und die Infektion asymptomatisch verläuft. Einige spezielle Mechanismen, mit denen Viren die Immunantwort unschädlich machen, wurden bei der Internationalen Titisee Konferenz über Zellbiologie und Immunsystem beleuchtet.

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Proteine der MHC-Komplexes - also Teile der Gewebeverträglichkeitsantigene - sind für die Immunabwehr von großer Bedeutung. Hauptkomplexe sind die der Klasse I und der Klasse II. Die MHC-Klasse II ist bei der Abwehr bakterieller Infekte beteiligt. Die MHC-Klasse I warnt das Immunsystem vor viralen Eindringlingen und leitet deren Vernichtung ein. Im Gegenzug haben Viren Mittel und Wege gefunden, diese Abwehrstrategie zu umgehen, wie auf der Tagung des Boehringer Ingelheim Fonds berichtet wurde.

Zytomegalie-Viren blockieren den MHC-Verkehr in der Zelle

    HIV gewinnt Zeit, um Mutanten zu bilden, die sich vermehren können.
   

Normalerweise präsentieren MHC-Klasse-I-Proteine virale Fragmente den Zellen des Immunsystems und stoßen so die spezifische zelluläre und humorale Immunantwort - mit Antikörpern  - an. Bei einer Infektion mit Zytomegalie-Viren werden die MHC-Proteine in der Zelle einfach umgeleitet und können so ihre Funktion nicht ausüben, da sie gar nicht an die Zelloberfläche gelangen.

Zytomegalie-Viren bilden dazu zwei Glykoproteine, die in die Membran des Endoplasmatischen Retikulums (ER) - einem Membransystem in der Zelle - eingebaut werden und die Weiterleitung der MHC-Klasse-I-Moleküle an die Oberfläche unterbinden. Stattdessen wird den Proteinen der zelluläre Marker für Entsorgung - das Molekül Ubiquitin - angehängt.

Mit großem Aufwand entgehen Viren der Abwehr

Wie Proteine, die nicht korrekt gefaltet sind, werden sie über eine Zellorganelle, das Phagosom, abgebaut. Das heißt, Viren benutzen die zelluläre Entsorgungsmaschine für ihre Zwecke und führen funktionsfähige Proteine, die ihnen gefährlich werden sollen, gezielt dem Abbau durch zelluläre Komponenten zu.

Welch großen Aufwand diese Viren betreiben, um der Abwehr zu entgehen, ist schon daran abzulesen, daß nur 30 bis 40 Prozent ihrer genetischen Information für ihren Bauplan essentiell sind, während die restlichen 60 bis 70 Prozent der Kontrolle der Interaktion mit dem Wirt dienen.

Auch HIV haben einzigartige Mechanismen entwickelt, um der Immunabwehr zu entgehen oder zumindest ihre Effizienz einzuschränken. Dazu bedient sich HIV-1 des Nef-Proteins. Dieses schützt infizierte T-Zellen vor der Lyse durch zytotoxische T-Lymphozyten, indem es die Synthese von MHC-Klasse-I-Proteinen auf der Zelle vermindert.

Durch Anheften von Nef an das MHC-Klasse-I-Protein im ER und Ergänzung des AP-1-Proteins im Golgi-Apparat wird das MHC-Protein umgeleitet und über Cathepsin-abhängige Vesikel zur Entsorgung ins Phagosom transportiert. HIV gewinnt auf diese Weise Zeit, um sich in der infizierte T-Zelle zu vermehren und Mutanten zu erzeugen, die von den bereits gebildeten zytotoxischen T-Lymphozyten nicht erkannt werden.

Normalerweise sind Zellen, die nur wenige MHC-Klasse-1-Proteinen tragen, gefährdet, von natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) aufgelöst zu werden. Das Tückische an der Verringerung der Synthese der MHC-Klasse-I-Proteine ist nun, daß nur jene Eiweiße vermindert werden, die der Antigenpräsentation dienen, nicht aber jene, die die NK-Zell-vermittelte Lyse hemmen. So bleibt die infizierte T-Zelle am Leben.

Das Polio-Virus wählt eine drastische Variante dieser Umgehung des spezifischen Immunsystems. Das Virus schaltet kurzerhand die Proteinsekretion komplett ab. Denn da es für seinen Fortbestand keine Glykoproteine benötigt, ist diese Wirtsfunktion für den Polio-Erreger entbehrlich.

Mit einem Schlag sind alle Mechanismen der erworbenen Immunität außer Kraft gesetzt, denn zum Beispiel Antigenpräsentation und Zytokinproduktion sind von der Glykoprotein-Synthesemaschine abhängig. Das Virus selbst vermehrt sich in der Zwischenzeit in bestimmten Organellen der Zelle, in autophagosomalen Vesikeln.



STICHWORT

MHC

MHC steht für major histocompatibility complex (Haupthistokompatibilitäts-Antigene). Es gibt die Klassen I und II. Diese Eiweißstrukturen sind auf fast allen kernhaltigen Zellen vorhanden und dienen der Präsentation von fremden Strukturen den Zellen des Immunsystems. Das können Teile von Bakterien und Viren sein, die wie Antigene wirken, die zuvor von der Zelle aufgenommen und zerkleinert wurden. Die Strukturen des MHC - die HLA-Antigene - sind zudem Ursache dafür, daß Spenderorgane abgestoßen werden, wenn sie nicht mit denen des Empfängers übereinstimmen. Daher wird durch HLA-Typisierung geprüft, wie gut nach diesem Muster Spenderorgane und Empfängergewebe zueinander passen. Forscher prüfen auch, ob HLA-Moleküle eine Gentherapie erleichtern können.

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