HINTERGRUND
Geschlechtskrankheiten nehmen wieder zu - Experten setzen auf Aufklärung und Safer Sex
Es sah schon einmal so aus, als bräuchte man Geschlechtskrankheiten bald nicht mehr zu fürchten. In den 80er Jahren sanken die Infektionsraten, da sich aus Furcht vor Aids die Menschen mehr als je zuvor beim Sex mit Kondomen schützten. Doch diese Vorsicht ebbt nach und nach ab.
"Viele sexuell übertragbare Krankheiten werden heute unterschätzt", sagt Professor Gerd Gross von der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie des Universitätsklinikums Rostock. Seit einigen Jahren nimmt die Zahl der Erkrankungen an Syphilis, Gonorrhö, Chlamydien und Genitalherpes in Westeuropa wieder zu, besonders in Großbritannien und Skandinavien.
Meldesystem zeigt Trends bei Geschlechtskrankheiten an
In Deutschland hat sich die Zahl der Erkrankungen scheinbar auf einem hohen Niveau stabilisiert. Im Jahr 2005 wurden 3210 Syphilis-Erkrankungen registriert und damit etwa so viele wie 2004. Ein Anstieg der Zahl der Erkrankungen um 30 Prozent wurde allerdings aus Sachsen gemeldet.
"Syphilis ist eine Marker-Erkrankung. Wenn sie sich ausbreitet, gilt das auch für andere Geschlechtskrankheiten", erklärt Dr. Martin Hartmann, Mediziner an der Universitätsklinik in Heidelberg. Wichtige Indizien liefert für solche Trends seit 2003 das bundesweite Sentinel zu STD (sexual transmitted diseases).
Seit 2004 mehren sich in Aachen Syphilis-Erkrankungen
Jede zweite unfruchtbare Frau ist durch Chlamydia steril. | |
Bei diesem Meldesystem übermitteln etwa 265 Gesundheitseinrichtungen wie Praxen, Gesundheitsämter und Fachambulanzen alle diagnostizierten Neuerkrankungen an das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin, um Ausbrüche rechtzeitig zu lokalisieren. Jedes Jahr werden im Meldesystem etwa 80 000 Untersuchungen von Patienten dokumentiert. Im Mittel werden jährlich bei 760 von ihnen Chlamydien gefunden, bei 390 lautet die Diagnose Gonorrhö und bei knapp 400 Syphilis. "Die bisherigen Resultate weisen darauf hin, daß sexuell übertragbare Erkrankungen in Deutschland häufig vorkommen", berichtet das RKI.
Seit 2004 wurde zudem in Aachen ein Ausbruch der Syphilis registriert. "Vorher trat die Krankheit dort nur sporadisch auf. Dann hatten wir in kurzer Zeit 150 Infizierte", berichtet Dr. Ulrich Marcus vom RKI. "Der Ausbruch begann auf dem Beschaffungsstrich bei drogengebrauchenden Prostituierten." Das RKI rät, Betroffene über Aufklärungskampagnen, durch Sozialarbeiter und über die Presse auf die Gefahr hinzuweisen. Ein durchschlagender Erfolg blieb allerdings aus.
Generell nehmen die Geschlechtskrankheiten in Großstädten und an den Landesgrenzen am stärksten zu. "In den Grenzgebieten zu Polen, der Slowakei und zu anderen Ländern begünstigt die angespannte wirtschaftliche Situation die Prostitution", sagt Diplom-Psychologe Klaus Jansen vom RKI. Das wiederum fördert die Ausbreitung der Infektionen. Hinzu kommt, daß die Gesundheitsversorgung dort oft dürftig ist. "Wenn Sie 200 Kilometer fahren müssen, um in die nächste Klinik zu kommen, ist das ein Problem", veranschaulicht der Experte. In einem EU-Projekt wird deshalb nun auch für vier Grenzregionen zwischen den neuen und alten EU-Mitgliedsstaaten ein Meldesystem aufgebaut.
"Die mit Abstand häufigsten Geschlechtskrankheiten sind Chlamydien-Infektionen", betont Jansen. "Sie verlaufen bei zwei Dritteln der Infizierten ohne Symptome und bleiben deshalb leider oft unerkannt." Daher dürften die Zahlen im Meldesystem auch nur die Spitze des Eisberges ergeben. In einer Untersuchung an Berliner Schulen wurden die Bakterien fast bei jedem zehnten Mädchen gefunden. Es wird vermutet, daß sich jährlich 300 000 Menschen in Deutschland neu anstecken. Im schlimmsten Fall ist eine Eileiter-Entzündung die Folge. Beim Abheilen entstehen wulstige Narben, die den Eileiter unter Umständen so verengen, daß befruchtete Eizellen nicht mehr in die Gebärmutter gelangen. Die Hälfte der ungewollt kinderlosen Frauen ist so durch eine langjährige Infektion unfruchtbar geworden.
Kondome verhindern Schmierinfektionen nicht völlig
RKI-Experte Jansen setzt auf Aufklärung: "Chlamydien aber auch Gonorrhö und Syphilis werden als Schmierinfekte übertragen. Kondome bieten daher keinen 100prozentigen Schutz, es kann schon beim Vorspiel passieren." Menschen muß eingeschärft werden, bei Jucken, Brennen oder Rötungen an den Genitalien sofort zum Arzt zu gehen. Gegen Chlamydien-Infekte, Syphilis und Gonorrhö helfen problemlos Antibiotika.
Gegen Genitalherpes oder Genitalwarzen kann jedoch in der Regel nur symptomatisch behandelt werden. Die Viren bleiben zeitlebens im Körper. Ganz zu schweigen von HIV. "Deshalb ist es so wichtig, daß man sich vorher überlegt, was man macht", mahnt Hartmann und wiederholt: "Safer Sex bietet den größten Schutz vor Geschlechtskrankheiten." (ddp)
STICHWORT
Meldepflichtige Geschlechtskrankheiten
Syphilis: Bis 2000 mußten Treponemen-Infektionen vom behandelnden Arzt gemeldet werden. Seit 2001 sind Laborleiter, in deren Verantwortungsbereich eine akute oder eine zuvor nicht erkannte Infektionen fällt, zur nichtnamentlichen Meldung verpflichtet.
HIV: Namenlose Meldepflicht für den Nachweis einer HIV-Infektion durch den Laborarzt.
Gonokokken/Chlamydien: Beide Infektionen sind seit Einführung des Infektionsschutzgesetzes 2001 nicht mehr meldepflichtig. (eb)