Studie

Pupillenweite verrät Unsicherheit bei Entscheidung

Einem anderen Menschen in die Augen schauen und wissen, was in seinem Kopf vorgeht: Hamburger Wissenschaftler haben jetzt interessante Messmethode entdeckt.

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HAMBURG. Sollte ein Spieler beim Pokern seinem Gegenüber in die Augen schauen? Wer auf die Pupillenbewegungen achtet, könne auf den inneren Zustand seines Gegenspielers rückschließen, meint der Hamburger Neurowissenschaftler Tobias Donner. Der Professor am Universitätsklinikum Eppendorf hat zusammen mit zwei Kolleginnen die Veränderung der Pupillen bei Menschen untersucht, die gerade eine Entscheidung getroffen haben. Dafür ließ er seine Versuchsteilnehmer auf einen Bildschirm schauen, über den zwei Wolken von Punkten zogen. Die 27 Männer und Frauen sollten angeben, welche der beiden Wolken-Bewegungen stärker war. Während des Entscheidungsprozesses vermaßen die Wissenschaftler die Pupillen mit einer Videokamera.

Das Ergebnis: War sich ein Teilnehmer seiner Entscheidung unsicher, weitete sich seine Pupille unmittelbar danach. Mit dieser Weitung stieg auch die Wahrscheinlichkeit, dass er die nächste Entscheidung anders treffen würde, wie das Team im Fachblatt "Nature Communications" schreibt.

Die Pupillengröße sei eng mit der Aktivität autonomer Zentren im Hirnstamm verknüpft, erklärt Donner. Diese Teile des Gehirns seien wichtig, um bei Unsicherheit in einer Entscheidung unser Verhalten unbewusst anzupassen - etwa dass wir beim nächsten Mal genauer auf die Fakten achten. Donner und Kolleginnen konnten die Unsicherheit der Teilnehmer anhand der Größe ihrer Pupillen berechnen. "Dass die Weite der Pupillen den allgemeinen Erregungszustand widerspiegelt, war bekannt", sagt Donner. "Neu ist, dass das an dieses ganz präzise mathematische Maß von Entscheidungsunsicherheit gekoppelt war."

Die Pupille sei ein indirektes Maß um zu erfahren, was im Hirnstamm passiere, sagt der Forscher. An der Findung von Entscheidungen seien nicht nur die höheren Bereiche des Gehirns beteiligt, sondern auch evolutionär sehr alte und autonome Hirnstammzentren. Der Neurowissenschaftler hofft, dass seine Erkenntnisse bei der Behandlung von Depressionen und anderen psychiatrischen Krankheiten helfen könnten, bei denen Hirnstammzentren gestört zu sein scheinen.

Über die Pupille steuert das Auge die Stärke des Lichteinfalls auf die Netzhaut. Dass sich die Pupille nicht nur durch Lichtreize verändert, ist schon seit Jahrhunderten bekannt. Der Neurophysiker Wolfgang Einhäuser-Treyer von der Technischen Universität Chemnitz weist darauf hin, dass die Tollkirsche wegen ihrer Pupillen-weitenden Wirkung den lateinischen Namen Atropa belladonna ("schöne Frau") bekommen habe. Frauen mit größeren Pupillen galten als attraktiver, weswegen gern mit dem Atropin der Tollkirsche nachgeholfen worden sei. Seit den 1960er Jahren wisse man, dass sich die Pupille auch bei Entscheidungsprozessen weite. Ein Faktor dabei sei Unsicherheit.

Die Studie von Donner zeichnet sich nach Ansicht von Einhäuser-Treyer durch den Versuchsaufbau aus und dadurch, dass sie den Fokus auf die Wechselwirkungen zwischen aufeinanderfolgenden Entscheidungen lege. "Die Verknüpfung erscheint mir recht elegant und könnte das Feld einen wichtigen Schritt voranbringen", sagt er. Entscheidungsprozesse zu verstehen, sei von grundlegender Bedeutung. "Auf lange Sicht kann ein besseres Verständnis der Grundlagen des Entscheidens (...) helfen, Fehlentscheidungen und systematische Trugschlüsse besser zu verstehen und gegebenenfalls zu vermeiden."

Könnte ein "Eye-Tracker", ein Messgerät für Augenbewegungen, einem Pokerspieler oder sogar einem Kriminalisten, der von einem Verdächtigen die Wahrheit wissen will, weiterhelfen? Donner wäre da vorsichtig, denn ein guter "Lügendetektor" müsse schon bei einer einzelnen Messung nahezu hundertprozentig funktionieren: "Ich würde aber auf jeden Fall raten, die Pupillengröße mitzumessen." (dpa)

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