Gewebe und Organe aus eigenen Zellen sollen Transplantate ersetzen

LEIPZIG (dpa). Hüftgelenk aus Titan, Herzklappen aus Plastik, Dialyse bei Niereninsuffizienz. So weit die Medizintechnik auch fortgeschritten ist, nie kommen diese Krücken an das Original heran. Forscher beschäftigen sich daher seit Jahren mit der Züchtung menschlicher Zellstrukturen im Labor, um geschädigte Gewebe und Organe ersetzen zu können.

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Dieses Tissue Engineering hat unter anderem den Vorteil, daß das Immunsystem die aus körpereigenen Zellen gezüchteten Implantate erkennt und daher selten abstößt. "Bei Haut und Knorpel ist das mittlerweile schon fast eine Standardanwendung", sagt der Leiter des Tissue Engineering Labors der Charité in Berlin, Privatdozent Michael Sittinger. Nun haben die Forscher neue Ziele im Fokus.

Leberzellen in einem Bioreaktor arbeiten wie das Organ selbst

"Wenn eine Leber wegen eines Tumors oder einer Zirrhose ausfällt, ist das bislang nur mit einer Transplantation zu beheben", sagt Professor Augustinus Bader vom Biotechnologisch-Biomedizinischen Zentrum (BBZ) der Universität Leipzig. Aber nur jeder zehnte Anwärter erhalte eine Spenderleber. "Bei unserem Ansatz übernimmt ein Bioreaktor im Labor die Aufgabe des Organs. Dialyse reicht nicht, wenn man alle Funktionen der Leber ersetzen will", erklärt Bader.

In dem Gerät arbeiten menschliche Leberzellen. Gleichzeitig will Bader Patienten einen gentechnisch hergestellten Regenerierungsfaktor verabreichen, der einen Heilungsprozeß in der Leber auslöst. Erste klinische Anwendungen sind noch in diesem Jahr geplant.

In Thüringen arbeiten Forscher an einem neuartigen Implantat für Gelenke. "Zusammen mit dem Forschungszentrum für Medizintechnik und Biotechnologie in Bad Langensalza arbeiten wir an einem Zwei-Schicht-Implantat mit Knochen- und Knorpelzellen", sagt Dr. Matthias Schnabelrauch vom Forschungsinstitut Innovent in Jena. Das neuartige Implantat soll ein besseres Einwachsen des Knorpels ermöglichen. "Bislang gab es immer das Problem, den im Labor gezüchteten Knorpel im Gelenk zu fixieren."

Das Berliner Forscherteam um Sittinger will zerstörte oder abgenutzte Knorpel mit einer einfacheren Methode ersetzen. Bislang funktioniert die Technik so: Mediziner entnehmen Patienten einige Knorpelzellen, züchten damit auf einem Trägermaterial neues Gewebe und setzen es in den Körper ein. Das aus Biomaterialien bestehende Gerüst löst sich später wieder auf. "Wir wollen die Zellentnahme und Anzüchtung überflüssig machen", sagt Sittinger.

Implantate aus speziellen Biomaterialien sollen körpereigene Stammzellen dazu anregen, neues Knorpelgewebe zu bilden. "Auf ein resorbierbares Trägersubstrat bringen wir Wachstums-, Differenzierungs- und Anlockfaktoren auf", erklärt Sittinger. Auf diesem Gerüst sollen sich die Stammzellen ansiedeln und neues Knorpelgewebe bilden. In diesem Jahr will das Team mit Tierversuchen beginnen. Die Methode soll erstmals auch den Ersatz großer Knorpelflächen ermöglichen. Wegen der einfachen Anwendung sei sie für viele Menschen geeignet, sagt Sittinger.

In weiteren Projekten wird über den Ersatz von Herzklappen aus inaktiviertem Schweineherz-Gewebe geforscht, auf dem menschliche Zellkulturen wachsen. Andere Wissenschaftler prüfen, wie Gefäße, Luftröhren oder innere Organe mit Tissue Engineering repariert werden können. Europaweit gibt es 300 Forschergruppen an öffentlichen Einrichtungen.

Das Potential ist nach Einschätzung des Industrieverbands Tissue Engineering Platforms (TEPS) mit Sitz in Straßburg riesig. 33 Tissue-Engineering-Produkte seien auf dem Markt. Schon heute leben nach TEPS-Schätzungen 25 000 Menschen in Europa mit in vitro gezüchteten Haut-, Knorpel- oder Knochenzellen.

Infos: www.uni-leipzig.de/~bader, http://ctel.tissue-engineering.net, www.tissue-platforms.org oder auch www.innovent-jena.de

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