HINTERGRUND

Weltweit ist Tollwut jetzt das zweite Mal durch Organe übertragen worden - Vorsorge ist zur Zeit unmöglich

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:

Am Abend des 14. Februars reifte bei einem Pathologen der Uniklinik Mainz ein schlimmer Verdacht: Er hatte eine Organspenderin untersucht und fand in histologischen Schnitten des Gehirns Negri-Körperchen, zwei bis zehn Mikrometer kleine eosinophile Einschlüsse im Zytoplasma der Zellen. Sie sind ein Hinweis auf eine Infektion mit Tollwutviren. Die Organe der jungen Frau aber waren längst verpflanzt:

Eine Niere war ins Transplantationszentrum Hannoversch-Münden gegangen, die andere zusammen mit der Bauchspeicheldrüse nach Marburg. In Heidelberg hatte ein junger Mann die Leber erhalten, in Hannover eine Frau die Lunge und in Mainz waren zwei Kranken die Augenhornhäute der Spenderin implantiert worden.

Organ-Empfänger bekam eine Meningoenzephalitis

Und so stehen ab Montagabend in den fünf Transplantationszentren und bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) die Telefone nicht mehr still. Denn drei Empfängern ging es zu diesem Zeitpunkt schlecht. "Unser Patient ist am Freitag mit Symptomen einer Meningoenzephalitis, wie sie bei Tollwut auftritt, wieder in die Klinik aufgenommen", sagte PD Volker Kliem, Leiter der Klinik für Innere Medizin und Nephrologie in Hannoversch-Münden der "Ärzte Zeitung".

Die Diagnose Tollwutinfektion der Spenderin ist inzwischen bestätigt worden. Alle Transplantatempfänger haben Anti-Tollwut-Hyperimmunglobulin und den Aktivimpfstoff erhalten sowie antivirale Substanzen (Ribavirin und Interferon, teilweise zusätzlich Aciclovir). Denn es gibt Erfahrungen mit einem Patienten aus den USA, dem diese Interventionen auch nach Auftreten von Krankheitszeichen noch geholfen haben.

Organempfänger können trotz Immunsuppression noch erfolgreich aktiv immunisiert werden, obwohl die Antikörperbildung bei ihnen meist länger dauert und die Titer niedriger sind. Ob die Behandlung die Transplantatempfänger mit schweren Symptomen retten kann, ist ungewiß.

Wie aber sind die Ärzte der Tollwutinfektion der Spenderin überhaupt auf die Spur gekommen? Auf Rhabdoviren werden Organspender nicht untersucht, da die Infektion bei uns sehr selten und ihr Nachweis schwierig und zeitaufwendig ist. Üblicherweise erfolgen Tests auf Hepatitis-, Zytomegalie- und HI-Viren, Toxoplasmose und Lues.

Jedem Verdacht auf irgendeine Infektion beim Spender, der sich aus der Anamnese, erhöhten Entzündungsparametern oder Symptomen ergebe, werde natürlich nachgegangen, so PD Dietmar Mauer, Geschäftsführender Arzt der DSO Region Mitte. Bei der jungen Frau gab es keinen Verdacht. Sie war allerdings eine nur marginal geeignete Spenderin, da ein Drogenabusus bekannt war, aber kein i.v.-Drogenkonsum vorlag. Mit Tollwut hat sich die Frau vermutlich bei einer Reise nach Indien im Oktober infiziert.

Tollwut-Infektion bei Organspende in den USA

Verdichtet haben sich die Hinweise, als die DSO bei den Transplantationszentren nachgefragt hat, wie es den Empfängern gehe, der Mainzer Pathologe das Hirngewebe der Spenderin untersucht hat und von drei Kliniken gemeldet worden war, die Organempfänger hätten neurologische Symptome.

Hätte man die Infektion verhindern können? "Ich glaube nicht" sagt Mauer der "Ärzte Zeitung". "In den USA hat nach einer Tollwutinfektion durch Organe im letzten Jahr anschließend eine Konferenz stattgefunden. Das Ergebnis: Diese ganz seltenen Ereignisse lassen sich derzeit nicht ausschließen."



STICHWORT

Tollwut in Deutschland

In Deutschland sind Tollwutinfektionen ausgesprochen selten geworden, seit Füchse, Hauptreservoir für die Rhabdoviren, per Köder regelmäßig Schluckimpfungen erhalten. In den vergangenen zehn Jahren sind zwei Erkrankungen in Deutschland aufgetreten, beide Patienten starben.

"Die Tollwut-Infektion der Spenderin ist weltweit das zweite Mal, daß durch übertragene Organe Menschen mit dem Tollwutvirus infiziert wurden", sagt Professor Werner Lauchart von der DSO, der in der Koordinierungsstelle für die Sicherheit der Organe zuständig ist. Bei weltweit bisher 500 000 verpflanzten menschlichen Organen sei das Risiko also extrem gering.

Weder potenzielle Spender, noch Empfänger und Ärzte dürften sich durch diesen tragischen Einzelfall verunsichern lassen. Ein geringes Restrisiko bleibt jedoch. (nsi)

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