Frauengesundheit - Ein Thema, das Männer nicht interessiert

FREUDENSTADT. In deutschen Arztpraxen trifft man mehr Frauen als Männer an. Anders sieht es da noch bei den Ärzten aus. Hier sind zur Zeit die Männer noch in der Mehrheit.

Christiane BadenbergVon Christiane Badenberg Veröffentlicht:

Wer nun den Grund dafür sucht, warum in Deutschland bei der Behandlung von Frauen und Männern geschlechtsspezifische Unterschiede nur von einer verschwindenden Minderheit überhaupt berücksichtigt werden, für den brachte es Ex-Gesundheitsministerin Rita Süßmuth beim Kongreß des "Zentralverbandes der Ärzte für Naturheilverfahren" zum Thema "Frauen in der Medizin" gleich in ihrer Begrüßung auf den Punkt: "Herzlich willkommen meine anwesenden Damen und wenigen Herren." Auch die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium Marion Caspers-Merk begann ihren Festvortrag mit den Worten: "Ich habe die Einladung gerne angenommen, weil Ärzte selten über Frauen reden."

Für die Teilnehmerinnen, die zu den Veranstaltungen mit den beiden Politikerinen kamen, hat sich der Weg nach Freudenstadt auf jeden Fall gelont. Die Botschaften, die sie erhielten, können den Ärztinnen nur Mut machen, sich weiter für den geschlechtsspezifischen Blick in der Medizin einzusetzen. Dabei fiel es der zur Zeit als Staatssekretärin mit Macht ausgestatteten Marion Caspers-Merk zu, in ihrem Vortrag die Erfolge zu preisen, die es hier in den letzten Jahren zu verzeichnen gibt. Die ehemalige Gesundheitsministerin Professor Rita Süßmuth forderte dagegen einen ganz neuen Blick auf viele medizinische Probleme, die besonders Frauen betreffen.

Erste Fortschritte sind allmählich zu sehen

Caspers-Merk stellte klar, daß man auch im Bundesgesundheitsministerium mittlerweile registriert habe, daß zum Beispiel zwei Drittel der Medikamentenabhängigen Frauen sind, daß fast ausschließlich Frauen unter Eßstörungen leiden und daß Frauen dreimal häufiger an Depressionen erkranken als Männer. Deshalb sei das Referat Frauen und Gesundheit eingerichtet worden. Das habe sich bislang vor allem mit den drei großen Themen - Probleme mit der Hormonersatztherapie, Brustkrebs und der Beteiligung von Frauen an klinischen Studien - befaßt und einiges auf den Weg gebracht.

Und tatsächlich sind in den vergangenen Jahren spezielle Programme für Brustkrebspatientinnen forciert worden. So sieht etwa die 12. Novelle des Arzneimittelgesetzes eine stärkere Beteiligung von Frauen an klinischen Studien vor, betreibt das BMGS Aufklärung zur Hormonersatztherapie. Also hat sich auf diesem Feld schon etwas bewegt.

Das bestätigte auch Rita Süßmuth. Sie berichtete, daß bei ihrer Amtsübernahme im Jahr 1985 noch geleugnet wurde, daß es in der Medizin überhaupt Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt. Für Süßmuth greifen aber viele der aktuellen Neuregelungen zu kurz, weil der Blick auf die Probleme ihrer Meinung nach ein falscher ist.

"Es ist zwar gut, wenn die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Schulen über Eßstörungen informiert, doch die wichtigere Frage ist, woher kommt dieses Schlankheitsideal eigentlich", sagt Süßmuth. Ein weiteres Beispiel sind für die Politikerin Fertilitätsstörungen, unter denen 20 Prozent der Frauen leiden. Das werde ausschließlich als weibliches Problem betrachtet. Hier werde überhaupt nicht wahrgenommen, welche Brüche ein unerfüllter Kinderwunsch in Partnerschaften auslöse. "Wenn bei diesen Themen nicht ganz massiv Gegenaufklärung betrieben wird, ändert sich nichts", ist Süßmuth überzeugt.

Und das war etwas, was die zwei Frauen, auch wenn sie aus unterschiedlichen Parteien kommen, verbindet: Der Appell an die Teilnehmerinnen, selber aktiv zu werden. "Frauen interessieren sich nicht für Verbandsarbeit, und das merkt man. Wenn ich mit einflußreichen Verbänden verhandele, habe ich es immer mit Männern im gleichen Alter zu tun.

Einzige Ausnahme ist seit einiger Zeit die Chefin des Ersatzkassenverbandes Dr. Doris Pfeiffer", berichtet die Staatssekretärin aus ihrem Arbeitsalltag. Der Ärztinnenbund ist kein Ersatz sagt Caspers-Merk. "Das ist ein Schutzreservat im Vergleich zu den mächtigen Verbänden, dort muß man mitmischen."

Frauen müssen lernen, offensiver aufzutreten

Das deckt sich mit den Erfahrungen von Rita Süßmuth: "Vernunft kommt nicht von oben wie der Heilige Geist in die Gesundheitspolitik", hat Süßmuth in langen Jahren politischer Arbeit festgestellt. "Nur was Sie selber auf den Weg bringen, massiv fordern und nicht nur höflich erbitten, hat eine Chance, eines Tages umgesetzt zu werden", sagt sie. Sie selbst sei früher oft argumentativ stark, aber strategisch schwach gewesen.

So habe es 25 Jahre gedauert, bis Vergewaltigung in der Ehe strafbar geworden sei. Erst als sie die Idee hatte, die Kirchen und vor allem die katholischen Bischöfe als Mitstreiter zu gewinnen, habe sich etwas bewegt. "Die waren einfach stärker als wir Frauen", sagt Süßmuth und lacht zufrieden. Schließlich hat sie sich mit ihren Mitstreiterinnen am Ende  durchgesetzt.

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