Erste 5 Jahre nach Herzinfarkt

Frauen sterben eher als Männer

Frauen sind hinsichtlich Diagnose und Therapie des Herzinfarktes immer noch benachteiligt. Zu diesem Schluss kommt jetzt die American Heart Association in einer aktuellen Stellungnahme - und erklärt die Hintergründe.

Von Veronika Schlimpert Veröffentlicht:

MÜNCHEN. Herz-Kreislauf-Erkrankungen bleiben die führende Todesursache, auch bei Frauen. Große, durchaus erfolgreiche Anstrengungen wurden in den letzten Jahrzehnten unternommen, um die kardiovaskuläre Mortalität und Morbidität bei Frauen zu senken. Trotz allem sterben immer noch mehr Frauen innerhalb der ersten fünf bis zehn Jahre an den Folgen des Infarktes als Männer.

Warum Frauen weiterhin im Nachteil sind, wird in der Stellungnahme der AHA auf multifaktorielle Faktoren einschließlich geschlechterspezifische Unterschiede in der Pathophysiologie, Symptomatik und Behandlung des Herzinfarktes, aber auch auf soziale, kulturelle und andere Umweltfaktoren zurückgeführt (Circulation 2016; online 25. Januar).

Beschwerden bei Frauen anders

So kommt bei Frauen ein ungewöhnlicher pathophysiologischer Mechanismus wie spontane Koronardissektionen (SCAD) oder Koronararterien-Spasmen häufiger als Ursache für den Infarkt infrage als bei Männern. Der Infarkt manifestiert sich öfter als Nicht-ST-Streckenhebungs-Infarkt (NSTEMI) und nicht obstruktive KHK. Abweichende Plaque-Charakteristika scheinen vor allem bei jüngeren Frauen vorzuliegen (häufiger Erosion statt Ruptur).

Auch die Beschwerden äußern sich offenbar bei Frauen anders. Zwar macht sich der Infarkt meist typischerweise in Form von Brustschmerzen bemerkbar. Doch Frauen klagen häufiger über atypische Brustschmerzen oder Angina-ähnliche Symptome wie Dyspnoe, Schwäche, Erbrechen oder Übelkeit.

Wenn Ärzte dann nicht die richtige Ursache erkennen, werde womöglich nicht immer die angemessene Behandlung eingeleitet, heißt es in der Stellungnahme. Dies könnte ein Grund dafür sein, warum Frauen noch immer unterbehandelt sind. Des Weiteren äußern sich einige der bekannten Risikofaktoren wie Rauchen, Typ-2-Diabetes, Depression und andere psychosoziale Faktoren bei Frauen ausgeprägter.

So ist ein Bluthochdruck bei Frauen stärker mit dem Auftreten eines Herzinfarktes assoziiert als bei Männern. Und gerade junge Frauen mit familiärer Vorbelastung scheinen ihr persönliches Risiko nicht richtig einzuschätzen, wie eine kürzlich publizierte Studie deutlich macht.

Dies bestärke die Notwendigkeit, bei Frauen das Bewusstsein für die Risiken zu stärken und ihnen vermehrt Zugang zu präventiven Maßnahmen zu ermöglichen, schreiben die Autoren der Stellungnahme.

Die höhere Prävalenz von Risikofaktoren bei Frauen, die wegen eines Myokardinfarktes in die Klinik eingewiesen werden (etwa ein höheres Alter), ist auch eine Erklärung für das schlechtere Outcome und die ungünstigere Prognose von Frauen; so ist die Rate an erneuten Klinikeinweisungen, an Reinfarkten und Tod in den ersten fünf Jahren nach dem Infarkt höher.

Bei Frauen treten bei einer Reperfusionstherapie mehr Blutungskomplikationen auf, was in dem Report unter anderem auf die teils unangemessene Dosierung der antithrombotischen Therapie bei Frauen zurückgeführt wird.

Seltener Therapie nach Leitlinien

Wie in dem Statement betont wird, komme Frauen aber auch seltener eine leitliniengerechte Pharmakotherapie zugute als Männern, sie erhalten seltener eine Herzkatheteruntersuchung und zeitnahe Reperfusionstherapie. Zudem ist nur wenig über geschlechterspezifische Prognosefaktoren bekannt.

Der TIMI- wie der GRACE-Score zur Einschätzung des Mortalitätsrisikos seien an einer Patientenpopulation entwickelt worden, die zu zwei Drittel aus Männern bestünde, geben die Autoren zu bedenken.

Ein Knackpunkt ist auch die kardiale Nachsorge. Frauen wird seltener eine Rehabilitation verordnet, wobei sie dieses Angebot auch seltener annehmen und die Programme seltener abschließen. In der AHA-Stellungnahme wird daher über die Vorteile einer für Frauen maßgeschneiderten Nachsorge und Prävention inclusice Verhaltensinterventionen diskutiert, mit dem Ziel, die Beteiligung und Adhärenz von Frauen zu steigern.

Eine weitere Möglichkeit, die Situation für Frauen mit Herzinfarkt zu verbessern, sehen die Autoren in der geschlechterspezifischen Forschung. Welche Mechanismen führen bei Frauen zum Infarkt? Was sind die Ursachen für die höheren Komplikationsraten? All diese Fragen lassen sich nur beantworten, wenn Frauen - gerade auch die älteren - in der Forschung angemessen repräsentiert werden.

Es sei bekannt, dass sich Wirksamkeit und Sicherheit von Herzmedikamenten zwischen den Geschlechtern unterscheiden, so die Autoren. Trotzdem machten Frauen nur etwa 20 Prozent der Studienpopulation in klinischen Studien aus.

Damit sich hier etwas ändert, müssten neben Vertretern in der Medizin auch Politiker, Behörden, Vertreter des Gesundheitswesens und die Frauen und ihre Familien selbst miteinbezogen werden. Nur so lässt sich die Herzgesundheit der Frau weiter verbessern.

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