HINTERGRUND

Rotaviren sind oft Ursache von Brechdurchfall bei Kindern - nun gibt’s bald Schluckimpfungen dagegen

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Von Nicola Siegmund-Schultze

46 000 bis 50 000 Rotavirus-Erkrankungen werden dem Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin jährlich gemeldet. "Diese Zahl ist nur die Spitze des Eisbergs", sagt Privatdozent Eckart Schreier, der am RKI das Fachgebiet "Molekulare Epidemiologie viraler Erreger" leitet. "Wir gehen davon aus, daß die Meldungen fünf bis acht Prozent der Erkrankungen ausmachen", so Schreier zur "Ärzte Zeitung". Die Diagnostik werde im Allgemeinen nur veranlaßt bei schweren Gastroenteritiden und dem Verdacht auf eine Häufung.

Weltweit sterben 440 000 bis 600 000 Menschen pro Jahr Schätzungen zu Folge an Rotavirus-bedingten Darmerkrankungen, meist Kinder. In hochindustrialisierten Ländern wie Deutschland ist die Sterblichkeit zwar gering.

Die Morbidität aber und damit die Belastungen für die Gesundheitsversorgungssysteme sind enorm, auch bei uns: Jede fünfte Erkrankung führt zum Arztbesuch, bei einer von 65 Infektionen kommt es zur Klinikeinweisung. Das berichtete Professor Marc van Ranst von der Universität Leuwen in Belgien beim Kongreß der Europäischen Gesellschaft für pädiatrische Infektionskrankheiten (ESPID) in Valencia.

Fast alle Kinder infizieren sich bis zum zweiten Lebensjahr

Rotaviren sind in Deutschland die häufigste Ursache für nosokomiale Magen-Darmerkrankungen bei Kindern. Über 90 Prozent der Kinder infizieren sich bis zum 24. Lebensmonat mit dem Erreger, sagte van Ranst bei der von Sanofi Pasteur MSD unterstützten Veranstaltung. Das Virus ist sehr leicht übertragbar.

Die Belastungen für die Familien und die Gesundheitsversorgungssysteme könnten sich durch eine Impfung reduzieren lassen. Der europäischen Arzneimittelzulassungsbehörde EMEA liegen derzeit Anträge für zwei orale Impfstoffe gegen Rotaviren vor: Eine pentavalente Vakzine (RotaTeq®) wird von Sanofi Pasteur MSD produziert, eine monovalente von GlaxoSmithKline.

Beide Impfstoffe erwiesen sich in Studien mit jeweils mehr als 60 000 Kindern als ähnlich effektiv, und beide sind sicher: Die Häufigkeit von Darm-Invaginationen - ein Problem bei einem ersten Rotavirus-Impfstoff, der 1998 in den USA auf den Markt kam und ein Jahr später zurück gezogen wurde - entspricht für beide Vakzine der von Placebo.

Der pentavalente Impfstoff verhindert schwere, Rotavirus-bedingte Brechdurchfälle bei Säuglingen in einem Jahr zu 98 Prozent, berichtete Dr. Penelope Dennehy vom Rhode Island Hospital in Providence, Rhode Island.

Etwa 70 000 Kinder in Europa und den USA zwischen sechs und zwölf Wochen erhielten drei Mal oral im Abstand von vier bis zehn Wochen den Impfstoff oder Placebo. Die Verum-Therapie reduzierte alle durch Rotaviren verursachte Infekte aller Schweregrade zu 75 Prozent, so Dennehy.

Die monovalente Vakzine, sie wurde an mehr als 63 000 Kindern getestet, schützte zu 90 Prozent vor schweren viralen Brechdurchfällen im ersten Jahr nach Therapie und zu 73 Prozent vor Rotavirus-Infekten jeglichen Schweregrads, so Professor Timo Vesikari von der Universität Tampere.

Der pentavalente Impfstoff, ein Lebendimpfstoff mit Virusgenen boviner und humaner Herkunft, deckt mit den Serotypen G1 bis G4 und P1 die häufigsten Kombinationen in Europa ab, die monovalente Vakzine enthält G1. "Offenbar besteht eine starke Kreuzreaktivität", erläutert Vesikari.

Der monovalente Impfstoff, eine abgeschwächte Lebendvakzine, wurde außer in Europa auch in Asien und Lateinamerika getestet. In Asien breiten sich G9-Serotypen vermehrt aus, in Afrika G8.

"Daß beide Impfstoffe trotz Unterschieden in der Zusammensetzung offenbar ähnlich gut schützen - das läßt sich nicht ohne weiteres erklären", sagte Schreier zur "Ärzte Zeitung". Bei den Rotaviren gebe es noch viel Forschungsbedarf.



STICHWORT

Rotaviren - Serogruppen und Serotypen

Bei den Rotaviren werden derzeit sieben Serogruppen unterschieden (A bis G), die jeweils in Serotypen unterteilt sind. Die Antigenität des Virus wird hauptsächlich von zwei Oberflächenproteinen bestimmt: VP4 und VP7. Es gibt 14 VP7-Serotypen (G-Serotypen) und 20 VP4-Serotypen (P-Serotypen). Drei Viertel der Rotaviruserkrankungen in Deutschland und Europa werden durch den Serotyp G1P8 verursacht, ein Viertel durch andere Serotypen: meist G2, G3 und G4, auch mal kombiniert mit anderen P-Proteinen (P4 und P6).

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