Neu gegen altbewährt bei Läuse-Mitteln

Von Angela Speth Veröffentlicht:

Ende Februar hat das Bielefelder Unternehmen Dr. Wolff von sich reden gemacht: In der "Ärzte Zeitung" und anderen überregionalen Zeitungen erschien eine ganzseitige Anzeige. Zusätzlich ging ein Rundschreiben an die Apotheken. Der Inhalt: ein offener Brief an Ulla Schmidt mit der Überschrift: "Insektizide gehören nicht auf Kinderköpfe".

Darin erfährt die Ministerin, was sie "für undenkbar, ja sogar skandalös halten" wird: Dass jährlich mehr als eineinhalb Millionen Kinder in Deutschland mit Insektenvernichtungsmitteln von Kopfläusen befreit werden. Dabei gebe es "inzwischen insektizidfreie und kostengünstigere Präparate" wie das dimeticonhaltige EtoPril®. Doch könne es zwei Jahre dauern, bis das Produkt auf die Empfehlungsliste der Behörden komme. Frau Schmidt solle nun helfen, das zu beschleunigen.

Angegriffen fühlten sich dadurch einige Unternehmen wie die Eduard Gerlach GmbH: Präparate wie ihr eigenes, seit 1976 erhältliches und geprüftes pyrethrumhaltiges Produkt, so eine Mitteilung, könnten nicht mit Insektenvernichtungsmitteln gleichgesetzt werden. Zitat: "Schließlich sind Kinderköpfe keine Salatköpfe."

Dimeticon-Produkte fehlen auf der Entwesungsmittelliste

Ob Insektizid oder nicht, ob starke oder schwache unerwünschte Effekte, ob günstiges oder ungünstiges Wirkprinzip, das sei dahin gestellt -bisher steht keines der dimeticonhaltigen Kopflausmittel auf der Entwesungsmittelliste des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Auch nicht das im Oktober 2007 im deutschen Markt eingeführte und als Medizinprodukt patentierte EtoPril®. Ebenso wenig übernehmen die Krankenkassen die Kosten. Das Unternehmen Dr. Wolff strebt nun Zweierlei an: einen raschen Eintrag in die Entwesungsliste und die Kostenübernahme.

Mittel der Entwesungsliste würden bei behördlich angeordneten Entlausungen verwendet, erläuterte der geschäftsführende Gesellschafter Eduard Dörrenberg bei einer Veranstaltung des Unternehmens. Außerdem stünden die Listen-Präparate auf den Zetteln, die Eltern von Kindergarten, Hort oder Schule an die Hand bekämen, wenn bei Kindern Läuse festgestellt werden. Um sich die Mittel zu besorgen, haben sie zwei Möglichkeiten: Sie kaufen ohne Umweg ein Präparat in der Apotheke und bezahlen es aus eigener Tasche. Oder sie konsultieren den Arzt und lassen sich ein Rezept geben. "Und der wird wohl meist ein erstattungsfähiges Mittel aufschreiben", vermutet Dörrenberg.

Den Antrag für die Entwesungsliste hat das Unternehmen im November 2007 gestellt. Das BVL wird nun zusammen mit dem Umweltbundesamt und dem Bundesinstitut für Risikobewertung Wirksamkeit, Umweltverträglichkeit und gesundheitliche Risiken beurteilen.

Erfahrungsgemäß dauern die Testläufe bis zu zwei Jahren

Erst wenn die Testreihen durchlaufen sind, unter anderem auf künstlichen Haarschöpfen, erhält das Produkt die staatliche Anerkennung. Dafür werde, so das BVL, eine möglichst vollständige Tilgung der Kopfläuse verlangt. Je nachdem wie ausführlich die eingereichten Unterlagen sind, braucht es seine Zeit, bis alles geprüft ist - auch weil mehrere Behörden kooperieren und meist noch andere Anträge auf der Warteliste stehen, die der Reihenfolge nach abgearbeitet werden. Vorgezogen wird ein Antrag nach Angaben des BVL nur ausnahmsweise, etwa wenn für eine wichtige Indikation noch kein Präparat auf der Liste steht. Das aber sei bei Kopflausmitteln nicht der Fall.

Zwei Drittel der Patienten wurden ihre Kopfläuse los

Bisher beruft sich das Unternehmen auf zwei klinische Studien. Teilnehmer der ersten waren 252 Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Sie trugen randomisiert entweder eine 0,5-prozentige Phenothrin- oder eine 4-prozentige Dimeticon-Lösung auf Kopfhaut und Haare auf. Nach einer Wiederholung sieben Tage später waren mit Dimeticon 70 Prozent der Patienten (89 von 127) ihrer Läuse ledig und mit Phenothrin 75 Prozent (94 von 125) ( BMJ 330, 2005, 1423). In der zweiten, einer Vergleichsstudie mit Malathion, waren nach der Behandlung mit Dimeticon 30 von 43 behandelten Patienten (70 Prozent) läusefrei, mit Malathion 10 von 30 (33 Prozent) (www.plosone.org).

Auch für sein zweites Anliegen, die Kostenübernahme, hat das Unternehmen bereits den bürokratischen Weg beschritten: Anfang Oktober 2007 hat es den Antrag beim Gemeinsamen Bundesausschuss gestellt. Der hat das IQWiG mit der Bewertung von Entlausungsmitteln beauftragt. Das IQWiG wird dann eine Liste erstellen, auf deren Basis der GBA über die Erstattung entscheidet. Die Aussichten scheinen gut, denn in einem Patienten-Merkblatt zu Kopfläusen befand das IQWiG kürzlich: "Dimeticon 4 % Lösung ist vermutlich die wirksamste Möglichkeit, mit wenig Nebenwirkungen Läuse loszuwerden." Die AOK Hannover hat den Vorreiter gemacht und eine Zusage für die Übernahme des dimeticonhaltigen Präparates gegeben.

Infos zur Behandlung: www.rki.de, "Kopfläuse" ins Suchfeld eingeben.

STICHWORT

Wirkmechanismen

Dimeticon - Sammelname für Polydimethylsiloxane - dringt in die Tracheen der Parasiten ein und verklebt sie, sodass die beim Blutsaugen aufgenommene Flüssigkeit nicht mehr verdunstet. Die Parasiten werden in wenigen Minuten unbeweglich und gehen dann ein. Herkömmliche Mittel enthalten das aus Chrysanthemenblüten gewonnene Pyrethrum oder synthetische Pyrethroide. Beide sind für Insekten Nervengifte: Sie verhindern ein Schließen der Natriumkanäle. Die Folge: Übererregbarkeit der Nerven, Krämpfe und Tod. Ein kokosölhaltiges Läuse-Shampoo soll die Tiere ersticken. Diese Präparate sind teils Arzneimittel, teils Medizinprodukte, je nachdem welchen Weg die Hersteller für die Zulassung eingeschlagen haben. (ars)

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