Interview

Placebo-Kontrolle? Bei Kindern kaum akzeptiert!

Bei etwa der Hälfte der Kindern verabreichten Medikamente fehlt eine spezielle Zulassung für die Altersgruppe bis 18 Jahre. Seit drei Jahren gibt es in der EU neue Zulassungsvorschriften. Dr. Birka Lehmann vom BfArM gibt ein erstes Resümee.

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Wie wirksam, wie sicher ist die Arznei für das Kind? Oft fehlen hier spezielle Zulassungsstudien.

Wie wirksam, wie sicher ist die Arznei für das Kind? Oft fehlen hier spezielle Zulassungsstudien.

© Ella / fotolia.com

Ärzte Zeitung: Frau Dr. Lehmann, seit 2007 ist EU-weit bei Neuzulassungen von Arzneimitteln die Prüfung von Medikamenten bei Kindern Pflicht. So etwas zu fordern ist das Eine, das Andere dies umzusetzen. Wie sieht die Realität aus?

Dr. Birka Lehmann: Von 2008 bis August 2010 sind beim BfArM mehr als 160 Prüfanträge mit der Angabe "unter 18 Jahren" gestellt worden. Diese Studien müssen mit dem Pädiatrieausschuss der Europäischen Arzneimittelagentur EMA abgesprochen werden. Die EMA beurteilt, ob der jeweilige Vorschlag sinnvoll, machbar und das Studiendesign adäquat ist. Nur mit Zustimmung dieses Komitees darf die Studie dann vorgenommen werden.

Ärzte Zeitung: Sind denn Eltern bereit, ihre kranken Kinder in Studien einschließen zu lassen?

Dr. Birka Lehmann

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Lehmann: Nach bisherigen Erfahrungen ist die Bereitschaft dazu bei schweren Erkrankungen wie Krebs oder schweren kardiovaskulären Erkrankungen hoch. Anders sieht die Situation bei der Schmerztherapie oder in der Infektiologie aus, da ist das Einwerben von Teilnehmern in der Tat schwer, gerade dann, wenn es bereits etablierte Therapieoptionen gibt. Placebo-kontrollierte Studien werden bei Kindern natürlich kaum akzeptiert.

Wir werden also immer neue Wirkstoffe gegen eine Vergleichssubstanz prüfen oder gegen den besten derzeit zur Verfügung stehenden Therapiestandard. Wie man prüft, hängt auch von den bereits vorhandenen Daten ab. Studien bei Kindern schließen sich im Allgemeinen abgeschlossenen Phase-III-Studien bei Erwachsenen an oder erfolgen erst nach der Marktzulassung.

Ärzte Zeitung: Die EU-Vorschrift bezieht sich zunächst auf neu zuzulassende Medikamente. Wie sieht es mit bereits auf dem Markt befindlichen Arzneimitteln aus?

Lehmann: Die Pharmaunternehmen sind gesetzlich verpflichtet, alle Studien zu bereits zugelassenen Arzneimitteln vorzulegen. Zurzeit werden die Unterlagen zu etwa 1000 Wirkstoffen im Rahmen eines Worksharing Programmes mit allen EU-Mitgliedstaaten ausgewertet. Mitarbeiter der Zulassungsbehörden führen selbstverständlich auch selbst Literaturrecherchen durch.

Sinn dieser Maßnahme ist, Erkenntnisse aus diesen Studien zur Behandlung bei Kindern in den Fach- und Gebrauchsinformationen zur Verfügung zu stellen. Dies soll die Therapie bei Kindern präzisieren und sicherer machen. Wann diese Arbeit abgeschlossen sein wird, kann man im Moment nicht sagen.

Ärzte Zeitung: Nun verändert sich ja die Pharmakokinetik von Arzneimitteln auch während der Kindheit erheblich.

Lehmann: Es gibt in der Tat Prüfkonzepte für jede Altersgruppe, angefangen von den Neugeborenen, den Kindern bis zwei Jahren, zwei bis zwölf Jahren sowie den Zwölf- bis Achtzehnjährigen. Sollte ein Medikament auch innerhalb dieser Gruppen noch einmal pharmakokinetische Besonderheiten aufweisen, verlangen wir zusätzlich Daten auch in dieser jeweiligen Untergruppe.

Dieser Prüfaufwand ist sehr hoch, weshalb wir stets abwägen, ob man bestimmte Prüfergebnisse extrapolieren kann, zum Beispiel von den Erwachsenen auf die Zwölf- bis Achtzehnjährigen, zumindest bei den Wirksamkeitsparametern. Bei den Sicherheitsparametern ist das eher selten möglich.

Ärzte Zeitung: Jedermann kann sich nicht rezeptpflichtige Arzneimittel in der Apotheke kaufen. Es ist bekannt, dass Eltern trotz Anleitung viele Fehler bei der Behandlung ihrer Kinder machen. Besteht da nicht ebenfalls ein erhebliches Sicherheitsproblem?

Lehmann: Bei Paracetamol zum Beispiel haben wir mehr Warnhinweise in die Gebrauchsinformation aufgenommen. Parallel laufen ja die Analysen vorliegender Studien zu diesen Arzneimitteln sowie die Erhebungen unerwünschter Wirkungen.

Die Abgabe freiverkäuflicher Arzneimittel verstärkt zu regulieren, ist EU-weit schwierig. Nehmen wir die pflanzlichen Arzneimittel wie etwa Fenchel. Eine Arbeitsgruppe der EMA hat festgestellt, dass Fenchel bei Kindern unter vier Jahren nicht angewendet werden sollte.

In Deutschland erhalten jedoch traditionell viele Säuglinge Fenchel-Tee. Wie gehen wir damit um? Welche Dosierungsgrenzen sollten definiert werden? Wenn wir mit Kollegen aus anderen Mitgliedsländern diskutieren, sagen die uns: Fenchel?

Damit haben wir kein Problem, wird bei unseren Kindern nicht angewendet! Außerdem müssen wir natürlich auch aufpassen, dass wir den Kinderärzten nicht plötzlich das ganze medikamentöse Instrumentarium wegnehmen.

Die Fragen stellte Thomas Meißner


Weitere Infos: www.bfarm.de (Stichwort: Kinderarzneimittel)
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