HINTERGRUND

Europäische Forscher suchen nach denjenigen Genen, die Menschen ein langes, gesundes Leben bescheren

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:

Wer in Europa das ewige Leben sucht, der sollte in Sardinien anfangen. Da gibt es nämlich eine Region an der Ostküste der Insel, wo die Menschen älter werden als überall sonst auf dem alten Kontinent. Hundert und mehr Lebensjahre auf dem Buckel sind dort keine Seltenheit. Warum das so ist, weiß keiner so genau. Noch nicht.

Eine europaweite Suche nach den Genen des Lebens, genauer nach den Genen der Langlebigkeit, soll jetzt klären, was das molekulare Geheimnis des hohen Alters ist - in Sardinien, aber nicht nur dort. Die Mittelmeerinsel ist nur eine von elf Regionen, die an dem GEHA genannten Forschungsvorhaben beteiligt sind. Es handelt sich um die größte je angestrengte Untersuchung zur Aufklärung der genetischen Grundlagen des Altwerdens.

An der Studie sollen 2800 Zwillingspaare teilnehmen

GEHA steht für "Genetics of Healthy Aging", die Genetik des gesunden Alterns, eine von der EU mit 7,2 Millionen Euro geförderte Zwillingsstudie. Für GEHA sollen ab dem ersten Mai insgesamt 2800 ein- und zweieiige Zwillingspaare gewonnen werden. Einzige Bedingung: Sie müssen älter sein als 90 Jahre und beide noch leben. In Norddeutschland wird das Max Planck Institut für Demographische Forschung in Rostock für GEHA nach etwa 100 solchen Geschwisterpaaren fahnden. Das größte Kontingent stellt Dänemark mit 450 Zwillingen.

"Unser Ziel ist es, bei allen 5600 Menschen eine Untersuchung des kompletten Erbguts vorzunehmen", sagte Projektleiter Dr. Claudio Franceschi von der Universität Bologna auf der Internationalen Human-Genom-Konferenz in Berlin. Daß es vor allem Gene sind, die die Hochbetagten immer älter werden lassen und nicht so sehr Umweltfaktoren, davon sind Franceschi und seine Kollegen überzeugt.

Mit etwa einem Viertel gäben Lehrbücher den Anteil der Gene an der Lebenserwartung an, so Franceschi in Berlin. Er persönlich schätzt aber den Einfluß des Erbguts vor allem bei sehr alten Menschen als deutlich höher ein.

Ganz ins Blaue hinein wird nicht geforscht. Über den Zusammenhang zwischen Genetik und Altern wurde bisher vor allem bei Würmern und Fliegen geforscht. Doch auch kleinere Untersuchungen bei hochbetagten Menschen gab es schon, vor allem in Nordamerika. Die Ergebnisse machen drei Regionen auf den Chromosomen 4, 11 und 19 für genaue Analysen sehr interessant. Um diese drei Regionen wollen sich die GEHA- Forscher besonders kümmern.

Von GEHA erhofft sich Franceschi unter anderem neue Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen dem Altern und der Entzündungsaktivität. "Einige Botenstoffe der Entzündungsreaktion, darunter Interleukine und der Tumor-Nekrose-Faktor-alpha, scheinen bei Hochbetagten unterdurchschnittlich aktiv zu sein", so Franceschi in Berlin.

"Vielleicht liegt der Grund für Langlebigkeit in der genetisch determinierten Fähigkeit des Körpers begründet, mit molekularem Streß besser umgehen zu können". Dafür spreche auch, daß Männer, die ja im Mittel früher sterben als Frauen, im Alter ebenfalls eine tendenziell höhere Entzündungsaktivität aufwiesen, so Franceschi.

Zunehmendes Interesse für das Genom der Mitochondrien

Möglicherweise liegen die genetischen Ursachen der Langlebigkeit aber auch ganz woanders, nämlich in den Mitochondrien. "Die meisten Krankheiten, die durch Mutationen im Genom der Mitochondrien ausgelöst werden, ähneln in ihren Symptomen stark dem natürlichen Alterungsprozeß", sagt Dr. Doug Wallace von der Universität von Kalifornien.

Evolutionsbiologische Studien haben ihn bis nach Nordostsibirien geführt, wo viele Menschen sehr alt werden. Seine Hypothese: Bestimmte Mutationen im Mitochondrien-Genom bewirken, daß Menschen vor allem in kälteren Regionen einen weit größeren Teil ihres Energiestoffwechsels zur Produktion von Körperwärme nutzen können. Das aber verringere die Wahrscheinlichkeit, daß in den Mitochondrien giftige Sauerstoffradikale entstünden, so Wallace.

Weisen also mutierte Mitochondrien-Genome den Weg zum ewigen Leben? Die GEHA-Forscher jedenfalls werden sich das Genom der Mitochondrien ansehen.

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