HINTERGRUND

Ein Phantombild aufgrund von DNA-Spuren am Tatort - das ist wohl schon in wenigen Jahren möglich

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:

Eigentlich sollte der ehemalige US-Basketballspieler Ron Williamson hingerichtet werden. Er saß wegen Mordes in der Todeszelle. Die Richter hatten ihr Urteil auf Aussagen von Zeugen gestützt. Fünf Tage vor der Hinrichtung belegen DNA-Analysen: Williamson kann es nicht gewesen sein, die Zeugen haben sich getäuscht. Der Exsportler kommt frei.

Nicht alle Fälle sind so spektakulär, aber die Analyse von Erbmaterial hat in den vergangenen 15 Jahren viele Unschuldige vor Fehlurteilen bewahrt oder der Polizei überhaupt den Weg zum Täter gewiesen. "Die DNA-Analyse ist extrem erfolgreich", so Professor Peter M. Schneider, der gerade an der Universität Köln die erste Professur für Forensische Genetik übernommen hat.

Viele Merkmale lassen sich über DNA-Proben rekonstruieren

Schneider kann sich sogar eine Erweiterung der DNA-Analyse vorstellen: auf äußere Merkmale von Menschen. "Was man vom Menschen sehen kann, sollte im Prinzip einer DNA-Analyse zugänglich sein", sagte Schneider bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin in Göttingen. "Warum sollte die Aussage eines Zeugen, der - vielleicht noch bei schlechter Sicht - einen Verdächtigen gesehen haben will, mehr wiegen als das Ergebnis einer DNA-Analyse?"

Grundlage des genetischen Fingerabdrucks sind individuelle DNA-Sequenzen, die außerhalb der Gene liegen. Auch das Geschlecht eines Spurenlegers wird routinemäßig mitbestimmt. Um jedoch Gene für forensische Zwecke zu untersuchen, müßten in Deutschland entsprechende Gesetze geändert werden.

Doch auch ohne Analysen von Genen ergeben sich Hinweise auf die ethnische Zugehörigkeit eines Spurenlegers - gewissermaßen durch die Hintertür. Denn die untersuchten DNA-Sequenzen kommen in verschiedenen Populationen unterschiedlich häufig vor. Wie häufig, diese Daten kennen die Forensiker.

Bei einem Verdächtigen mitteleuropäischer Abstammung wird der ethnische Hintergrund berücksichtigt, wenn es um die Frage geht, ob am Tatort gefundenes Erbmaterial von ihm stammt oder nicht. Umgekehrt läßt sich aus dem DNA-Profil auf die ethnische Zugehörigkeit des mutmaßlichen Täters schließen. Ohne daß auch nur ein einziges Gen untersucht worden wäre, kann man zumindest Haar-, Haut- und eventuell Augenfarbe vorhersagen.

Und es gibt Testkits für DNA-Analysen am Y-Chromosom, deren Ergebnisse auf eine Herkunft aus Asien, Afrika oder Europa schließen lassen, berichtete Schneider. Es lasse sich mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 1 zu 10 000 sagen, ob die DNA von einem Europäer, Afrikaner oder Asiaten stamme. Genauere Tests für diese drei Ethnien werden derzeit entwickelt.

Ob nach deutschem Recht Aussagen über Merkmale wie ethnische Zugehörigkeit erlaubt sind, bezweifelt Schneider.

In Ländern wie den Niederlanden oder Großbritannien sind die Gesetze längst angepaßt: Prognosen der Forensiker über die ethnische Zugehörigkeit sind sogar erwünscht. So arbeiten britische Forscher daran, im gesamten Genom nach charakteristischen DNA-Sequenzen zu suchen, die mit Grundformen für Gesichtsform, Nase, Mund oder Ohrläppchen korrelieren. Einfach feststellen ließe sich schon heute rote Haarfarbe, dafür gibt es einen genetischen Marker. Andere Merkmale entstehen durch das Zusammenwirken vieler Gene.

In drei bis fünf Jahren sei mit Ergebnissen zu rechnen, so Schneider. "Und wenn es erste Fahndungserfolge im Ausland gibt mit einer Art Phantombild auf DNA-Basis, wird Druck aus der Öffentlichkeit kommen, solche Methoden auch in Deutschland anzuwenden."

Bei DNA-Analyse sind immer auch Zweitgutachten nötig

Die Bedeutung des Gutachters im Strafprozeß dürfte weiter zunehmen. Die Erbsubstanz wird als "stummer Zeuge" mehr und mehr in Konkurrenz zu den sprechenden Zeugen treten, und die Richter werden um so stärker gefordert, festzustellen, ob der Sachverständige vertrauenswürdig und das Gutachten aussagekräftig ist.

"Natürlich werden auch bei der DNA-Analyse Fehler gemacht", so Professor Bernd Brinkmann von der Universität Münster. "Aber viele Juristen, ob Rechtsanwälte oder Richter, erliegen der Faszination der großen Zahl."

In einem Gutachten heißt es typischerweise: Die Wahrscheinlichkeit beträgt eins zu zehn Milliarden, daß eine zweite Person außer dem Verdächtigen die DNA-Merkmale der am Tatort gefundenen Spur hat. "Diese Zahl klingt, als sei sie über jeden Zweifel erhaben", so Brinkmann. "Die Juristen fordern zu selten Zweitgutachten an." Und das kann böse Folgen haben: So kam ein Berliner Bauarbeiter sechs Monate hinter Gittern für ein Verbrechen, das er nicht begangen hatte. Es waren Proben vertauscht worden.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Eine einzige Analyse sagt nicht alles

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