RNA-Moleküle für Therapie immer interessanter

BERLIN (gvg). Sie haben in den vergangenen Jahren geradezu stürmisch Einzug in biomedizinische Labors in aller Welt gehalten. Jetzt machen kleine, doppelsträngige RNA-Moleküle auch klinisch von sich reden. Ihr Job: Sie sollen überaktive Zellen bremsen, indem sie die Herstellung von krankheits- spezifischen Eiweißen unterbinden.

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Diese Arbeit machen zwar eine Menge anderer Medikamente auch. Neu an der Behandlung mit kleinen RNA-Molekülen ist jedoch der Wirkmechanismus. Nicht der eiweißproduzierende Apparat selbst ist das Ziel der Blockade, sondern die Boten-RNA-Moleküle, jene Nachrichtenübermittler des Zellkerns also, die die genetischen Informationen der Tumoreiweiße in Form von Erbgutabschriften aus Ribonukleinsäure ins Zytoplasma bringen. Dort werden die Proteine dann synthetisiert.

Erste klinische Studien, in denen die Tauglichkeit dieses Ansatzes in der klinischen Praxis überprüft wird, laufen gerade an. So konzentriert sich die US-Biotechnikfirma Sirna auf die feuchte altersabhängige Makuladegeneration (AMD). Zur Therapie erhalten insgesamt 25 Patienten eine Injektion mit gezielt synthetisierten RNA-Molekülen direkt in den Glaskörper.

Dies ist ein in der Ophthalmologie üblicher Applikationsweg. Die RNA-Schnipsel wurden so konzipiert, daß sie die Aktivität des Gens für den Rezeptor des Gefäßwachstumsfaktors VEGF bremsen. Überschießendes Gefäßwachstum ist ein Kardinalproblem bei der AMD.

Mit Lokaltherapie am Auge viele Probleme umgangen

Auch Konkurrent Acuity zielt mit seiner fast zeitgleich angelaufenen Studie auf AMD-Patienten. Daß sich gleich zwei Unternehmen ausgerechnet auf das Auge stürzen, ist kein Zufall. Die Glaskörperinjektion ist nichts anderes als eine Lokaltherapie an der Netzhaut, mit der viele Probleme umgangen werden, die bei einer systemischen Applikation von RNA-Molekülen auftreten.

"Die Stabilität der Moleküle und das Targeting sind die beiden Hauptprobleme", sagt zum Beispiel Professor Joachim Engels von der Universität Frankfurt am Main. Er ist beteiligt an dem vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin koordinierten RIGHT-Konsortium (RNA Interference Technology as Human Therapeutic Tool). Es handelt sich dabei um einen von der EU mit elf Millionen Euro geförderten, europaweiten Zusammenschluß von 24 Forschungseinrichtungen, der dafür sorgen soll, daß Europa in Sachen RNA-Interferenz international nicht den Anschluß verliert.

Wie andere reine Nukleinsäuren wird auch RNA im Blut rasch abgebaut. Für eine systemische Applikation, etwa in der Tumortherapie, werden deswegen Vektoren benötigt, die das Molekül unbeschadet an den Zielort bringen. Wie in der Gentherapie kommen dafür Viren in Frage, was in puncto Sicherheit exakt dieselben Fragen aufwirft, wie sie auch an Gentherapeuten gestellt werden. Eine Alternative sind chemische Trägersubstanzen. "Im RIGHT-Konsortium werden beide Wege gegangen", so Engels zur "Ärzte Zeitung". Klinische Studien sind allerdings noch nicht geplant. Bei RIGHT geht es um Grundlagenforschung.

Oligos gelangen rasch in die Zelle - aber auch wieder raus

Engels selbst setzt als Trägermoleküle auf Gallensäuren, die seine Oligos, wie er die RNA-Moleküle liebevoll nennt, zur Leber bringen sollen. "Das klappt auch, nur leider sind sie auch sehr schnell wieder draußen". Eine andere Arbeitsgruppe der in Kulmbach ansässigen Firma Alnylam, die Ende vergangen Jahres mit einer Publikation in "Nature" (432, 2004, 173) auf sich aufmerksam gemacht hat, nutzt Cholesterin als Carrier für ein RNA-Molekül, das das Gen für das Apolipoprotein B stumm schalten soll. Zumindest bei Mäusen führte eine entsprechende Behandlung zu einem Abfall des LDL-Cholesterin-Werts.



RNA-Interferenz und Antisense

Nicht zu verwechseln ist die RNA-Interferenz mit dem verwandten Antisense-Verfahren, das bereits seit ein paar Jahren mit bisher eher weniger guten Ergebnissen in Studien erprobt wird. Bei der Antisense-Strategie werden einsträngige RNA-Moleküle verwendet, die sich direkt an die Boten-RNA anlagern und diese inaktivieren sollen. Bei der RNA-Interferenz ist die applizierte RNA mit in der Regel 21 Bausteinen, den Nukleotiden, kürzer und vor allem doppelsträngig. Einmal im Innern der Zelle angelangt aktiviert die RNA sequenzspezifisch eine Eiweißmaschinerie, die die dazu passende mRNA - und nur diese - zerlegt. (gvg)

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