Gentherapie

Den Kinderschuhen entwachsen

Die Entwicklung der Konzeptidee einer Gentherapie reicht bis in die 1990er Jahre zurück. Beim Konzept ist es nicht geblieben, davon zeugen erste Zulassungen gentherapeutischer Präparate auch in Europa. Doch in Zukunft warten einige Herausforderungen auf die Forschung.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:
Das Konzept der Gentherapie konnte erstmals im Jahr 2000 umgesetzt werden.

Das Konzept der Gentherapie konnte erstmals im Jahr 2000 umgesetzt werden.

© Gernot Krautberger / fotolia.com

Das Konzept der Gentherapie – der Austausch eines defekten Gens durch ein intaktes – konnte erstmals im Jahr 2000 in Frankreich bei zwei Patienten mit X-chromosomaler schwerer kombinierter Immundefizienz (X-SCID) erfolgreich umgesetzt werden. Inzwischen ist es gelungen, dort und in Großbritannien bei insgesamt 20 Patienten, durch die Gentherapie das Immunsystem wieder aufzubauen.

Aus den Misserfolgen – insgesamt fünf Patienten (vier in Frankreich und einer in Großbritannien) entwickelten eine Leukämie – haben die Gentherapeuten gelernt und die Genfähren sicherer gemacht.

"Die meisten Patienten konnten erfolgreich behandelt werden, heute sind die Kinder bereits erwachsen", so Professor Adrian Thrasher vom University College London – Institute of Child Health bei der 22. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Gentherapie (DG-GT) in Heidelberg. Er berichtete, dass durch die Verwendung einer modifizierten Genfähre Leukämien bis heute nicht mehr aufgetreten seien.

Erste Zulassungen

Den größten Erfolg in der Entwicklung der Gentherapie sieht Professor Hildegard Büning vom Institut für Experimentelle Hämatologie an der Medizinischen Hochschule Hannover in der ersten Zulassung einer Gentherapie in Europa, und zwar von Glybera® im Jahr 2012 zur Behandlung bei familiärer Lipoproteinlipasedefizienz, für die es bis dahin keine Medikamente gab.

"Das war für Europa eine ganz wichtige Entscheidung, ein wichtiges Signal, dass man nach der Forschung nun beim Gentherapiemedikament angekommen ist", so die Genforscherin, zwischen 2010 und 2014 Präsidentin der DG-GT, im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". Sie ist überzeugt davon, dass die Gentherapie inzwischen längst den Kinderschuhen entwachsen ist.

"Wenn man die Ergebnisse der derzeit laufenden Gentherapiestudien betrachtet, so glaube ich, dass die Zahl der Zulassungen für Gentherapien international zunehmen wird." Nach den USA habe Europa in Bezug auf die Zahl der Studiengruppen einen sehr guten Stand, so die derzeitige wissenschaftliche Sekretärin der DG-GT.

Ein Virus als Genfähre

Ende vergangenen Jahres ist in Europa ein zweites gentherapeutisches Präparat zugelassen worden. Es handelt sich um ein Präparat mit onkolytischen Herpesviren (Imlygic®) zur Behandlung von Patienten mit einem nicht resezierbaren oder metastasierten Melanom. Mit weiteren Zulassungen ist nach Ansicht von Büning zu rechnen.

Die Wissenschaftlerin setzt in ihrer Forschung zu Gentherapiestrategien nicht auf Retroviren, sondern auf das Adeno-assoziierte Virus (AAV). Obwohl nicht mit ihm verwandt, findet man AAV in der Natur häufig zusammen mit Adenoviren. Diese helfen dem AAV, von dem es mehr als 12 Serotypen gibt, sich zu vermehren.

Als Genfähre benötigt AAV seinen "großen Helfer" aber nicht. Es bringt ganz autonom seine "Fracht", also die zu transportierende genetische Information, in den Zellkern, wo die Zelle anhand dieser Information das fehlende Genprodukt herstellt. Je nach Anwendung wird aus dem Portfolio der zur Verfügung stehenden Genfähren diejenige ausgesucht, die die Aufgabe voraussichtlich am besten meistert.

Klare Entscheidung zugunsten der Sicherheit

Muss das Gen in eine Stammzelle eingebracht werden, zum Beispiel damit sich ein funktionierendes Immunsystem ausbilden kann, muss das Gen in das zelluläre Genom eingebaut werden. Lenti- und retrovirale Vektoren tun dies sehr effizient. Kann man jedoch darauf verzichten, da sich die Zellen des Zielgewebes nicht mehr oder nur sehr selten teilen, bevorzugt man Genfähren, die auf AAV beruhen.

Ihnen fehlt eine Genschere, das "Werkzeug", mit dessen Hilfe sich lenti- und retrovirale Vektoren in das Genom einbauen. Daher integrieren – so der Fachbegriff – AAV als Genfähren in der Regel nicht. Die Abwägung, integrierende Genfähren nur dann einzusetzen, wenn dies nötig ist, ist eine klare Entscheidung zugunsten der Sicherheit.

Überschießende Immunreaktion

Bevor Genfähren, die auf entschärften Viren beruhen, in klinischen Gentherapiestudien direkt im Patienten ("in vivo Gentherapie") eingesetzt werden können, ist zu prüfen, ob ein potenzieller Studienteilnehmer bereits mit den Viren Kontakt hatte. Ist das der Fall, kann der Betroffene an einer Gentherapiestudie, die das entsprechende Gentaxi verwendet, nicht mitmachen.

Dies hat zwei Gründe: Bei wenig immunogenen Genfähren wie denen, die sich von AAV ableiten, ist zu erwarten, dass das Immunsystem die Genfähren so effizient abfängt, dass sie ihr Zielgewebe nicht erreichen. Bei immunogenen Genfähren wie etwa bei solchen, die auf Adenoviren beruhen, soll dagegen vermieden werden, dass sein Immunsystem unter Umständen überschießend reagiert.

Hier haben die Forscher aus den Folgen einer Gentherapie des US-Amerikaners Jesse Gelsinger mit einer Adenovirus-Genfähre im Jahr 1999 gelernt, der an einer überschießenden Immunreaktion starb.

Schnitte an falschen Stellen vermeiden

Die Gentherapieforschung ein ganzes Stück vorangebracht hat die Entwicklung von Designer-Nukleasen, also Genscheren, wie CRISPR-Cas9 und TALEN. Mit ihrer Hilfe gelingt es einfach und effizient, etwa unerwünschte Mutationen oder defekte Gene aus dem Erbgut zu entfernen und durch korrekte DNASequenzen zu ersetzen.

Nach Ansicht von Büning besteht die Herausforderung derzeit darin, diese Werkzeuge so zu optimieren, dass Schnitte an falschen Stellen, sogenannte Off-targets, vermieden werden.

Noch wird etwa CRISPR-Cas9 nicht in Gentherapiestudien genutzt. Geplant sind aber unter anderem Studien, in denen das Rezeptorgen PD-1 in T-Zellen von Patienten etwa mit metastasiertem nicht kleinzelligem Bronchialkarzinom oder mit metastasiertem Nierenzellkarzinom entfernt wird.

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