Der Doping-Skandal um das Team der Österreicher

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Mit einer spektakulären Polizei-Razzia im Quartier der österreichischen Biathleten und Langläufer ist bei Olympischen Spielen ein neues Kapitel der Doping-Bekämpfung eröffnet worden. Während etwa 30 Carabinieri Häuser und Bewohner durchsuchten, wurden zehn Athleten von Kontrolleuren des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) bei dieser beispiellosen Parallel-Aktion von Sport und Staat zum Doping-Test verpflichtet.

"Das ist ein sehr gutes Beispiel von Arbeitsteilung", sagte IOC-Vizepräsident Thomas Bach am Sonntag in Turin. "Das IOC kommt an die Athleten und die Behörden kümmern sich um die, auf die wir keinen Zugriff haben."

Schock und Empörung herrschte im Olympia-Team der Österreicher, die von der Durchsuchung am Samstagabend zwischen 19.30 und 24.00 Uhr völlig überrascht wurden. "Es war wie ein schlechter Film", sagte Markus Gandler, Technischer Direktor des österreichischen Ski- Verbandes (ÖSV). Auch ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel reagierte erbost: "Ich finde es eine unerhörte Aktion. Man erweist dem Sport und den Athleten keinen guten Dienst." Mayer sei "jetzt schon fristlos entlassen".

Beutel mit Spritzen und Substanzen sichergestellt

Zweifel, daß möglicherweise im Quartier der Österreicher etwas verborgen wurde, schürte die italienische Sportzeitung "Gazetta dello Sport". Sie berichtete, daß ein Sportler einen Beutel mit Spritzen und Substanzen aus dem Fenster geworfen habe.

Der Beutel sei sichergestellt worden und der Inhalt werde untersucht. Einen Tag nach dem Skandal sind unterdessen die beiden österreichischen Biathleten Wolfgang Rottmann und Wolfgang Perner aus der Turin-Region abgereist, bestätigte das Nationale Olympische Komitee (ÖOC) Österreichs. Sie wurden inzwischen aus dem österreichischen Team ausgeschlossen.

Das IOC hatte am Mittwoch einen Bericht der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) erhalten, der den Verdacht auf Blutdoping-Praktiken im österreichischen Lager nährte, und Doping-Tests veranlaßt. "Automatisch sind auch die italienischen Behörden informiert worden. Wir haben sie nicht gebeten, mitzumachen", erklärte Arne Ljungqvist, Vorsitzender der Medizinischen Kommission des IOC. Seit 2000 gibt es ein Anti-Doping-Gesetz in Italien, das als härtestes der Welt gilt.

Im Visier der staatlichen Fahnder standen weniger die Sportler als der Biathlon-Trainer Walter Mayer, der nach der sogenannten "Blutbeutel-Affäre" bei den Winterspielen 2002 in Salt Lake City vom IOC einschließlich Vancouver 2010 von Olympia ausgeschlossen wurde. Er war dennoch zu den Turin-Spielen angereist.

"Die italienische Polizei hat ihn und nicht unsere Athleten gesucht", sagte ÖOC- Generalsekretär Heinz Jungwirth. Das ÖOC hat inzwischen einen italienischen Rechtsanwalt mit der Prüfung des Falls beauftragt.

Allerdings überschlugen sich die Ereignisse am Sonntagabend. Trainer Mayer versuchte sich nach seiner Abreise aus der Turin-Region in Paternion (Oberkärnten) einer Polizeikontrolle zu entziehen. Auf der Flucht raste er in ein zur Absperrung quer gestelltes Polizeiauto. Mayer blieb unverletzt, teilte die Polizei mit. Der 48jährige wurde vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen. Gestern hatte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt die Freilassung angeordnet.

Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der zu einem Besuch in Turin weilt, zeigte sich bestürzt über die Ereignisse. "Man darf die Geschichte nicht kleinreden", sagte er im österreichischen Fernsehsender ORF. "Ich finde es empörend, daß jemand wie Wolfgang Mayer sich hier präsentiert, um die Mannschaft ins Zwielicht zu bringen."

Mayer, gegen den in Italien inzwischen wegen "Verdachts eines Verbrechens" ermittelt wird, gehörte nicht offiziell zum Olympia- Team. "Er ist als Privatmann mit Eintrittskarte hier", so Jungwirth. Allerdings hat er im Haus der Biathleten zumindest eine Nacht verbracht.

"Es stimmt, Walter Mayer hat hier in unserem Quartier einmal geschlafen, und zwar als er angekommen ist", bestätigte Biathlon-Cheftrainer Alfred Eder. Das IOC präsentierte zudem ein Foto des österreichischen Biathlon-Teams mit der Aufschrift "Turin 2006", auf dem Mayer zu sehen ist. Im Quartier des Coaches von Christian Hoffmann, 30-km-Olympiasieger von 2002, waren vor vier Jahren in Salt Lake City Blutbeutel und Injektionsnadeln gefunden worden.

Wie aus dem WADA-Bericht an das IOC hervorgeht, sind bei einer Doping-Kontrolle Anfang Januar in Ramsau ähnliche Utensilien im Wohnhaus von Mayer gefunden, Athleten aber nicht angetroffen worden. "Die WADA-Fahnder haben das gleiche Equipment in seinem Haus gefunden wie die in Salt Lake City", berichtete Ljungqvist. Mayer, der nach einer Klage vor Gericht erst kürzlich freigesprochen wurde und seitdem wieder für den Österreichischen Skiverband arbeitet, war am Sonntag nicht auffindbar.

"Wir haben uns wie Schwerverbrecher gefühlt"

Betroffen von der Razzia waren die österreichischen Athleten, die geschockt durch die plötzlich auftauchenden Polizisten und den geforderten Doping-Test um Schlaf und Konzentration für das 4x10-Kilometer-Staffel-Rennen gebracht wurden. Die Folge war: Das Quartett gab am Sonntag entnervt vorzeitig auf.

"Geschlafen habe ich nicht. Wir haben uns wie Schwerverbrecher gefühlt", sagte Startläufer Martin Tauber zu der Durchsuchung. "Die Vorgehensweise war unvorstellbar. Plötzlich standen 15 Carabinieri vor meinem Bett und ich mußte die Beine spreizen." (dpa)

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