Ärzte wollen Handystrahlung genau prüfen

BERLIN. Haben Ärzte angesichts voller Praxen und überbordender Bürokratie keinen Blick mehr für Debatten in ihrem Umfeld? Von wegen! Im Streit um mögliche Gesundheitsrisiken durch Mobilfunkstrahlung sind Ärzte zu wichtigen Mahnern geworden, die auf mehr Vorsorge drängen - und sie engagieren sich in großer Zahl.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:

"Das Thema Mobilfunk ist bei uns Ärzten sehr präsent", sagt der Internist Dr. Gunter Baitsch. Als Leiter des Ausschusses Umwelt bei der Landesärztekammer Baden-Württemberg hat er federführend eine Stellungnahme der Kammer zum Streit um elektromagnetische Strahlung erarbeitet.

Eine der zentralen Forderungen darin: Es soll eine bundesweit zentrale Meldestelle eingerichtet werden, bei der Ärzte Berichte über "Mobilfunk-Nebenwirkungen" einreichen können - etwa beim Bundesamt für Strahlenschutz oder beim Robert-Koch-Institut.

"Es muß ein Druck aus der Ärzteschaft heraus entstehen, damit eine solche Stelle endlich eingerichtet wird", sagte Baitsch der "Ärzte Zeitung". Ärzte seien als "kritische Beobachter" gefragt, die die Beschwerden ihrer Patienten ernst nähmen und sie dokumentierten.

Ärzte beteiligen sich am geplanten Volksbegehren

Mit dieser Forderung steht Baitsch nicht allein. Schon im vergangenen Jahr unterzeichneten etwa 120 Ärzte in Bamberg einen Appell, in dem vorsorglich eine "massive Reduzierung der Grenzwerte" gefordert wird. Ähnlich sieht es bei einem in Bayern geplanten Volksbegehren "Für Gesundheitsvorsorge beim Mobilfunk" aus, das seit gestern die nächste Zulassungshürde nehmen will.

Dort füllt die Liste mit Ärzte, die das Bündnis unterstützen, mehrere Seiten. Die Bürger wollen die bayerische Regierung zwingen, das Bau- und Planungsrecht so zu ändern, daß Mobilfunkmasten immer genehmigungspflichtig sind. Dann hätten die Gemeinden stets ein Mitwirkungsrecht.

Ein Alptraum für die Betreiber von Mobilfunknetzen, die für die neue Generation von Handys das Land mit einem immer engeren Netz von Sendestationen überziehen. Gibt es doch vor allem in Süddeutschland seit Jahren massive Proteste von Anwohnern, sobald ein Unternehmen einen neuen Sendemast errichten will.

Zeitweise versuchten die Betreiber daher ihre Sendeanlagen in Litfaßsäulen oder Kirchtürmen zu verstecken. Seit dem Jahr 2001 versuchen die Unternehmen durch eine Selbstverpflichtung, mehr mit den Kommunen bei der Standortfestlegung von Sendemasten zu kooperieren.

Datenbank im Internet erlaubt Suche nach Sendemasten

Auch eine Datenbank, in der im Internet die Standorte der bundesweit über 41 000 Mobilfunksendemasten abrufbar sind, soll zur Vertrauensbildung beitragen. Nach Meinung des Informationszentrum Mobilfunk (IZMF) - einem Verein, in dem die Netzbetreiber zusammengeschlossen sind - hat sich der Streit über Sendemasten und Strahlung "deutlich entspannt".

Das kann Christiane Pölzl vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in Berlin nicht bestätigen. "Die Zahl der Konflikte um Mobilfunksendeanlagen ist den vergangenen Jahren nicht wesentlich zurückgegangen", sagte die Wissenschaftlerin der "Ärzte Zeitung". Die Diplom-Soziologin untersucht, wie der Dialog zwischen allen Beteiligten verbessert werden kann. "Größtmögliche Transparenz zwischen allen Beteiligten zu schaffen" ist ihr Rezept.

Bundesamt empfiehlt eine Senkung der Grenzwerte nicht

Das ist ein steiniger Weg. Denn wissenschaftliche Expertise soll gewöhnlich helfen, in Grauzonen des Wissens Unsicherheit zu reduzieren und vor allem politischen Handeln Orientierung zu geben. Das genau funktioniert in der Mobilfunkdebatte nicht wie bei anderen Themen. Zwischen harmlos bis hochgefährlich - für jede Bewertung läßt sich im Streit um Mobilfunkstrahlung eine Studie finden.

Bei Bürgerinitiativen heißt es - wie etwa auf der Internetseite von "Elektrosmognews.de": "Unsere Mission wird dann erfüllt sein, wenn die Grenzwerte soweit gesenkt wurden, daß für niemanden mehr ein Gesundheitsrisiko besteht." Für die zuständige Strahlenschutzbehörde sagt Karl Amannsberger, Leiter des Präsidalbereichs beim BfS: "Wir können gegenwärtig eine Senkung der Grenzwerte nicht empfehlen."

Einen Durchbruch in der Frage, ob Handystrahlung möglicherweise krebserregende Wirkung hat, könnte eine internationale Studie bringen, die ab diesem Jahr in fünf Ländern (Dänemark, England, Schweden, Finnland und Deutschland) mit 250 000 Teilnehmern starten soll.

Allein in Deutschland wird die COSMOS (Cohort Study on Mobile Phone Users) genannte prospektive Kohortenstudie 50 000 Teilnehmer haben. Ihre Laufzeit beträgt zunächst fünf Jahre. Wie Dr. Michaela Kreuzer vom BfS erläutert, konnte durch die bisherigen Fall-Kontroll-Studien nur retrospektiv untersucht werden, ob Zusammenhänge zwischen einer bestimmten Krebserkrankung und elektromagnetischer Strahlung bestehen.

Die nun geplante prospektive Studie dagegen verfügt nach Meinung der Epidemiologin über das "bestmögliche Studiendesign". "Wir befragen die Studienteilnehmer nicht nur nach ihrer persönlichen Nutzung des Handys. Wir erhalten von den Netzbetreibern auch die Verbindungsdaten jedes Teilnehmers und können die Strahlungs-Exposition daher exakt bestimmen", erläuterte Kreuzer der "Ärzte Zeitung".

Auf diese Weise sei es möglich, ein großes Spektrum an Endpunkten zu prüfen - so etwa außer verschiedenen Tumor- auch neurodegenerative Erkrankungen. Zudem könnten angesichts einer Kohorten-Größe von 250 000 Teilnehmern auch seltene Erkrankungen auf ihren Zusammenhang zur Intensität der Handy-Nutzung hin untersucht werden.

Zwei Nachteile hat dieses Studiendesign: Die Untersuchung ist teuer und ein extrem langfristiges Projekt. Gegenwärtig versuchen die Netzbetreiber genügend Studienteilnehmer zu rekrutieren. Ab 2006 soll die Groß-Studie dann in Deutschland starten.

Nach fünf Jahren ist ein Follow-up geplant - dann soll über eine nochmalige fünfjährige Verlängerung entschieden werden. Antworten auf die Frage nach Gesundheitsrisiken durch Handynutzung gibt es daher frühestens im Jahr 2011. "Die Studie wird allerdings umso interessanter, je länger sie läuft", sagt Kreuzer. Eine schnelle Antwort im Dauerkonflikt um Mobilfunkmasten können Bürger von Wissenschaftlern nicht erwarten.

Die Datenbank, die bundesweit über den Standort von Mobilfunksendern Auskunft gibt, findet sich unter: www.regtp.de/aktuelles/start/fs_03.html



Handystrahlung: Worum wird dabei gestritten?

In der Diskussion über die Risiken elektromagnetischer Strahlung wird häufig von thermischen und athermischen Effekten gesprochen. Dabei sind thermische Effekte, die Erwärmung biologischen Gewebes durch hochfrequente elektromagnetische Felder, unumstritten. Diese sollen durch die Grenzwerte der Verordnung über elektromagnetische Felder auf ein als ungefährlich geltendes Maß reduziert werden.

Strittig ist hingegen die Relevanz athermischer Effekte. Hierzu gibt es viele Studien, die zu sich widersprechenden Ergebnissen kommen. Nach einem im Mai vorgestellten Gutachten des Forschungszentrums Jülich gibt es bisher keine klaren Hinweise, daß Strahlung von Mobilfunkmasten oder Handys Befindlichkeitsstörungen oder gar Krebs auslösen. Die Gutachter hatten 13 Studien zu dem Thema ausgewertet. Finanziert wurde das Projekt vom Unternehmen T-Mobile.

Nur 13 Fallkontrollstudien wurden von den Gutachtern als für die Frage relevant eingestuft. In allen anderen wurden entweder nicht die im Mobilfunk verwendeten Radiofrequenzen überprüft, oder die Krebsinzidenz war nicht primärer Endpunkt. Bei fünf dieser 13 Studien gab es einen statistischen Zusammenhang zwischen Strahlenexposition und Krebsinzidenz. Doch sei bei allen fünf Studien die Exposition nicht präzise genug erhoben worden.

Kritiker der geltenden Grenzwerte machen geltend, daß die Vorschriften weder die Modulationsart - das gepulste Hochfrequenzsignal - noch die Expositionszeit berücksichtigen. Synergistische Effekte und langfristige Wirkungen würden ausgeblendet. Als Folgen der Strahlung wird in der Forschungsliteratur ein ganzes Bündel von athermischen Effekten benannt (zum Beispiel Beeinflussung zellulärer Prozesse, Beeinträchtigungen des Hormonsystems). Als weiteres Manko der Grenzwerte gilt die Art und Weise ihrer Formulierung. Der Vorwurf von Kritikern lautet, die Regierung habe nur auf die Mehrheitsmeinung von Wissenschaftlern gesetzt, die auch als Auftragsforscher der Industrie auftreten. (fst)

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