68. Urologenkongress

Ärzte im Spannungsfeld "Ökonomie versus Qualität"

Am Mittwoch startet der Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie. Im Vorab-Interview mit der "Ärzte Zeitung" erklärt Kongresspräsident Professor Kurt Miller, wie sich Ärzte im Spannungsfeld von Ökonomie und Qualität zurechtfinden können.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
Ärzte befinden sich oft Spagat im zwischen Qualität und Ökonomie. Das ist auch ein Thema auf dem 68. Urologenkongress in Leipzig.

Ärzte befinden sich oft Spagat im zwischen Qualität und Ökonomie. Das ist auch ein Thema auf dem 68. Urologenkongress in Leipzig.

© Andy Dean / fotolia.com

Ärzte Zeitung: Herr Professor Miller, harte Gitarrenriffs untermalen den Imagefilm, der auf den 68. Urologenkongress in Leipzig aufmerksam macht. Wie laut wird's denn werden, wenn um – so das Kongressmotto – Ökonomie versus Qualität gestritten wird?

Professor Kurt Miller: Schwer zu sagen! Die Rockmusik symbolisiert jedenfalls, dass es sich um einen Konflikt handelt. Und diesen werden wir in täglich mehreren Foren aufgreifen. So ist während des Eröffnungsplenums eine Roundtable-Diskussion zum Thema "Ökonomie versus Qualität" geplant.

Denn die Entwicklung des DRG-Systems gibt, wie es so schön heißt, Anlass zur Sorge: Der ökonomische Druck wird immer größer und damit die Qualität schlechter, auch wenn das vielfach nicht klar ausgesprochen wird.

Besorgt darüber sind nicht nur wir Urologen: Auch die Chirurgen, die Internisten, alle Fachgesellschaften haben das auf der Agenda. Es gibt einen Interessenkonflikt zwischen Ärzten und Pflegenden auf der einen Seite, die mit adäquaten Ressourcen gute Medizin machen möchten, und der Politik andererseits, deren wichtigstes Thema die Begrenzung des Kassenbeitrags zu sein scheint.

Wir begrüßen ausdrücklich Bemühungen, Qualitätsmaßstäbe in die Entgeldsysteme der Krankenhäuser einzuführen. Noch ist allerdings nicht klar, wie das genau funktionieren soll.

Schließen sich denn qualitativ hochwertiges und ökonomisch vernünftiges Handeln aus?

Professor Kurt Miller ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Urologie und Direktor der Urologischen Klinik der Charité Berlin.

Professor Kurt Miller ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Urologie und Direktor der Urologischen Klinik der Charité Berlin.

© Bertram Solcher

Natürlich ist es nicht richtig, Ressourcen zu verschwenden. Im Trend heißt es derzeit jedoch: "Mach im nächsten Jahr ein bisschen mehr mit noch weniger Leuten!"

Ein Problem ist, dass kaum quantitative Grenzen definiert sind: Wie zum Beispiel sollte auf einer Intensivstation das zahlenmäßige Verhältnis von Patienten, Pflegenden und Ärzten aussehen, um medizinische Leistungen in vernünftiger Qualität zu erbringen? Das ist nicht festgelegt.

In diesem Jahr hat das Pflegepersonal an der Charité erstmals nicht für höhere Löhne gestreikt, sondern für mehr Personal. Wir müssen über vernünftige Personalschlüssel diskutieren, darüber, wie viele Ärzte und Pflegende für eine qualitativ hochwertige Medizin notwendig sind.

Am Mittwoch soll es um das Verhältnis von Ökonomie und Forschung gehen. Passt beides zusammen?

An den Unikliniken, und das ist ja nur ein kleiner Teil der Krankenhäuser in Deutschland, brauchen wir inzwischen so viele Ressourcen für die Krankenversorgung, dass wir deutlich weniger als früher für die Forschung zur Verfügung haben. Ich kann dafür zum Beispiel keine Mitarbeiter mehr freistellen.

Des Weiteren wird es immer schwerer, Neuerungen einzuführen. Für ein neues Op-Verfahren benötigt man zum Beispiel erst einmal mehr Zeit als für die Standard-Op. Das passt jedoch nicht zur Hochdurchsatzmedizin im DRG-System von heute.

Welche Vorstellungen gibt es bei den Urologen zur Lösung dieser Konflikte?

Es gibt drei Möglichkeiten, Qualität bezahlbar zu machen: Strukturqualität schaffen, Prozess- und Ergebnisqualität gewährleisten. Strukturqualität bedeutet zum Beispiel, dass ein Prostatakarzinom-Zentrum mit Audits, Patientenpfaden und standardisierten Abläufen existiert. Das "Wie" der Diagnostik und Therapie wird über hochwertige Leitlinien definiert. Dies wiederum wird innerhalb des Qualitätsmanagements der Krankenhäuser umgesetzt.

Das Thema PSA-Wert und Prostatakarzinom-Screening taugt auch in diesem Jahr als Aufreger. Was sagen Sie dazu, dass die PLCO-Studie aus den USA falsch ausgewertet worden ist, wie nun, sieben Jahre nach der Erstveröffentlichung, herauskommt?

Es war schon vorher klar, dass die PLCO-Studie eine hohe "Kontamination" des Kontrollarms mit PSATesten aufweist. Nun stellt sich heraus, dass diese Quote bei 90 Prozent liegt und in beiden Gruppen mindestens gleich häufig getestet worden ist.

Wir wussten aber schon, dass die Daten in der Diskussion um den Stellenwert des PSA-Werts im Prostatakarzinom-Screening eingeschränkt verwertbar waren. Uns stehen ja in dieser Hinsicht weitere Daten, gerade auch aus Europa, zur Verfügung. Die zeigen: Wenn man den PSA-Wert sinnvoll und vernünftig einsetzt, reduziert das das Risiko, an einem Prostatakarzinom zu versterben.

Fühlen sich die deutschen Urologen mit ihren Empfehlungen nun bestätigt?

Uns wird regelmäßig vorgeworfen, es ginge uns ums Geldverdienen und man schade mit der PSA-Wert-Bestimmung den Patienten mehr als sie nütze. Diese Aussage hat nun Kratzer bekommen.

Worüber sich die DGU gerade mit der Deutschen Krebsgesellschaft verständigt ist, ob wir nicht versuchen sollten, den PSA-Wert als gesetzliche Kassenleistung zu etablieren. Denn in kompetenten Händen, und das ist der Standpunkt der meisten Urologen in Deutschland, ist der Parameter ein sinnvoller Bestandteil der Prostatakarzinom-Vorsorge.

Damit wären wir bei den Therapieoptionen und der Studie PREFERE. Wie realistisch ist im Jahr vier dieses Projekts die Hoffnung, eine ausreichende Rekrutierung hinzubekommen?

Der DGU-Vorstand und die Leiter der Studie hatten im vergangenen Jahr Maßnahmen ergriffen, um die Rekrutierung zu verbessern. Das hat quantitativ nicht in der Weise gewirkt, wie wir uns das gewünscht hätten. Es wird in diesem Jahr noch einmal eine Bewertung geben, es gab bereits intensive Diskussionen.

Wir sollten nicht vergessen: Ein Projekt wie PREFERE hat es in dieser Größenordnung noch nie gegeben. Es ist angelegt auf 20 Jahre. Nüchtern betrachtet, gibt es immer ein Risiko zu scheitern. Das liegt nun mal in der Natur der Sache, unter anderem, weil sich im Zeitverlauf Entwicklungen ergeben können, die die ursprüngliche Fragestellung obsolet machen.

Ein Beispiel ist die Einführung der MRT in die Früherkennung des Prostata-Ca. Sollte sich dies in der Breite durchsetzen, würden wir allein deshalb bestimmte Patienten für PREFERE nicht mehr rekrutieren können.

Gibt es einen Plan B für den Umgang mit bereits erhobenen Daten aus der PREFERE-Studie?

Wir werden sehen, was sich daraus ablesen lässt. Schon jetzt gibt es Erkenntnisse zur Zweitbegutachtung von Pathologie-Befunden: Die Bewertung ändert sich öfter als wir bislang angenommen haben. Ich denke, dass wir einige Dinge aus den Daten lernen können, aber sicher nicht das, was wir uns ursprünglich vorgenommen hatten.

Die Finanzierung der Studie ist meines Wissens bis Ende 2016 gesichert. Alle Beteiligten werden sich noch einmal zusammensetzen und über die Fortführung beraten.

Die Plenarsitzung am Freitag beschäftigt sich mit "Paradigmenshifts" in der Onkologie – was ist damit gemeint?

Wir erhalten immer mehr und detailliertere Informationen über die jeweilige Krebserkrankung eines Patienten: Die bereits erwähnte MRT beim Prostata-Ca liefert uns Zusatzinformationen, die klinisch relevant sind. Mit der Immunonkologie stehen uns neue Therapieansätze zur Verfügung, die mit der Zulassung des PD-1-Inhibitors Nivolumab bei fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom nun auch in der Urologie angekommen sind.

Für Blasenkarzinome und weitere Indikationen erwarten wir entsprechende Zulassungen. Diese Zusammenhänge sowie die Erkenntnisse zu genetischen Hintergründen verändern unsere Sichtweise auf diese Karzinome. Genomweite Tests führen zu einer weiteren Personalisierung der Therapie und es wird künftig nicht mehr so relevant sein, ob ein Tumor von der Prostata oder vom Eierstock ausgeht, sondern ob diese oder jene genetischen Veränderungen vorliegen.

Und in der Forschung?

In Studien kommen wir weg vom organbezogenen Kohortendenken, weil wir auf der Grundlage neuer Erkenntnisse zu genetischen Hintergründen auf bestimmte Patientengruppen fokussieren und viel bessere Daten generieren können sowie diese durch globale Vernetzung zusammenführen und unter Nutzung artifizieller Intelligenz auswerten können.

Auch im Alltag werden uns Computer künftig sicher bei vielen Entscheidungen unterstützen, wenn es darum geht, alle für den Einzelfall relevanten Informationen zusammenzuführen.

Daraus ergeben sich für uns Urologen auch neue Fortbildungserfordernisse: So müssen wir uns sicher verstärkt mit der genetischen Beratung von Patienten befassen.

Kürzlich haben DGU und der Berufsverband Deutscher Urologen zur Impfung gegen humane Papillomaviren (HPV) auch bei Jungen aufgerufen. Ist das eine Solidaritätsbekundung zum Schutz der Frauen oder zielt das vor allem auf Männer, die Sex mit Männern haben?

Männer sind bekanntlich nicht so schwerwiegend von Auswirkungen einer HPV-Infektion betroffen wie die Frauen. Ob Peniskarzinome etwas mit HPV zu tun haben, ist noch nicht ausreichend gesichert.Es geht also in der Tat bevorzugt darum, die Häufigkeit von Gebärmutterhalskarzinomen weiter zu reduzieren und den Infektionskreis von beiden Seiten zu durchbrechen – wie bei anderen sexuell übertragbaren Krankheiten auch.

Und da wir Urologen im Rahmen unserer Sprechstunde nun auch Jungen beraten wollen – es wird in diesem Jahr noch einmal das Forum "Jungensprechstunde" geben – gehört dieses Thema dort mit auf den Tisch.

Nun ist die Impfquote unter jungen Mädchen in Deutschland schlecht. Kann ein solcher Aufruf mehr sein als ein symbolischer Akt?

Man muss manchmal Dinge tun, weil sie einfach richtig sind, auch wenn wir wissen, dass es nicht einfach ist, sie umzusetzen.

Ein solch großer Kongress dient nicht nur dem wissenschaftlichen Austausch und der Fortbildung, es werden zudem politisch-strategische Fragen besprochen. Die Statistiken belegen: Die Zahl niedergelassener Urologen in Deutschland sinkt, die Zahl angestellter Urologen steigt. Was bedeutet das für die künftige Versorgung?

Auch die Zahl in Medizinischen Versorgungszentren angestellter Urologen nimmt zu. Für den Patienten ist es zunächst einmal kein Unterschied, ob er in die Praxis oder in ein MVZ geht. Es mag sein, dass unter jungen Kolleginnen und Kollegen die Lust auf Selbstständigkeit abnimmt.

Laut dem Präsidenten des Berufsverbandes Deutscher Urologen Dr. Axel Schroeder sei eine "stärkere Ambulantisierung der Medizin" vonnöten – richtig?

Es fragt sich, was "Ambulantisierung" heißt. Wollen wir zum Beispiel mehr Operationen ambulant erbringen, die derzeit unter stationären Bedingungen vorgenommen werden?

Fest steht doch, dass allein der Druck durch das DRG-System bewirkt hat, dass Fehlallokationen von Patienten kaum noch vorkommen. Und ambulante operative Medizin wird im Honorarsystem so schlecht abgebildet, dass es völlig unattraktiv ist. Es gibt auch kaum Nachsorgestrukturen, die dies zulassen würden. Kurz, uns fehlt die Infrastruktur für ein Mehr an ambulanter Urologie.

Der letztjährige DGU-Präsident Professor Stephan Roth hatte eine engere Kooperationen zwischen Kliniken und Niedergelassenen vorgeschlagen...

...Ich denke auch, es geht darum, ambulante und stationäre Urologie besser zu verzahnen. Die Schnittstellen sind, je nach Krankheitsbild, derzeit mehr oder weniger gut definiert. Vor allem gibt es überhaupt keinen strukturierten Datenaustausch. Für Patienten wäre es sinnvoll, dass Informationen zwischen Praxis und Klinik viel besser fließen können als heute.

Das ist ein gutes Stichwort: Die deutschen Urologen machen immer wieder mit der proaktiven Nutzung sozialer Medien auf sich aufmerksam. Die DGU bietet Webinare und Hands-on-Kurse dazu an, es wird getwittert, auf Facebook gepostet. Warum ist das so wichtig?

Es gibt eine enorme Verbreitung von nützlichen wie nutzlosen Informationen auf diesen Kanälen. Dem können wir uns nicht entziehen. Also ist es sinnvoll zu lernen, selbst diese Medien zu verstehen und sie zu nutzen, zumal sie in vieler Hinsicht bereits Teil des Alltags geworden sind.

Deshalb haben wir dazu sowie zur Vision des "elektronischen Krankenhauses" am Mittwoch zwei Sitzungen angesetzt. Der informierte Patient ist uns viel lieber als der fehlinformierte Patient und auch lieber als jener, der verlangt: Sag mir, was ich tun soll! Denn den informierten Patienten können wir viel besser unterstützen.

Die gerade online gegangene "Entscheidungshilfe Prostatakrebs" zum Beispiel hilft den Patienten und unterstützt das persönliche Gespräch zwischen Arzt und Patient. Solche Anwendungen sind, wenn sie seriös gemacht sind, zukunftsträchtig und auch für andere Indikationen vorstellbar.

Herr Professor Miller, vielen Dank für das Gespräch!

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