Hintergrund

Übergewicht: Ärzte setzen auf neue Formuladiät

Mehrere Arzneien gegen Übergewicht sind gescheitert, das verbliebene Orlistat kann wegen Nebenwirkungen meist nicht länger angewandt werden. Mit Formuladiäten plus langfristiger Ernährungsumstellung können adipöse Menschen aber durchaus erfolgreich abspecken.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Adipositas ist nicht nur ein kosmetisches Problem, sondern eine schwere chronische Krankheit.

Adipositas ist nicht nur ein kosmetisches Problem, sondern eine schwere chronische Krankheit.

© Kokhanchikov / shutterstock

Adipositas wurde lange Zeit nur als kosmetisches Problem angesehen. Dass es sich dabei aber um eine schwere chronische Krankheit handelt, ist mittlerweile Konsens in Deutschland.

Ab einem Body-Mass-Index von 30 kg/m2 besteht eine Adipositas und damit eine uneingeschränkte Indikation zur Therapie, betonen Forscher um Professor Johannes Georg Wechsler vom Krankenhaus Barmherzige Brüder in München (Gastroenterol 2011; 6: 8).

Bei Übergewicht (BMI von 25 bis 30) ist eine Behandlung angezeigt, wenn gewichtsbedingte Gesundheitsstörungen hinzukommen.

Die Behandlung von Patienten mit Adipositas ist viel schwieriger als die Vorbeugung. Bei der primären Prävention reicht eine ausgeglichene Energiebilanz in der Ernährung aus.

Wollen Adipositas-Patienten hingegen abspecken (sekundäre Prävention), dann muss die Energiebilanz negativ sein. Die Energiezufuhr lässt sich am einfachsten durch einen verringerten Fettanteil in der Ernährung drosseln. Gleichzeitig ist natürlich auch das tägliche Ausmaß an körperlicher Bewegung zu steigern.

Medikamente haben bei der Therapie von Adipositas-Patienten nur einen geringen Stellenwert, betonen die Ernährungsmediziner. Nachdem die Substanzen Sibutramin und Rimonabant wegen unerwünschter Wirkungen vom Markt genommen wurden, ist heute nur noch Orlistat als Arzneimittel zum Abspecken erhältlich.

Die Substanz hemmt die Lipase im Gastrointestinaltrakt. Etwa 30 Prozent der aufgenommenen Fettmenge werden dadurch ausgeschieden. In Studien verloren Probanden mit Orlistat im Vergleich zu Placebo 2 bis 4 Kilogramm mehr an Gewicht.

Unerwünschte Wirkungen sind Diarrhöen, Fettstühle und Meteorismus. Bei 5 bis 15 Prozent der Patienten ist die Absorption fettlöslicher Vitamine vermindert. Wegen der Nebenwirkungen sei eine Langzeitanwendung bei den meisten Patienten nicht möglich.

Nahrungsergänzungsmittel haben nach Angaben der Forscher bisher überhaupt keinen signifikanten Effekt auf das Körpergewicht bewirkt. Ballaststoffe eigneten sich zwar primär nicht zur Gewichtsreduktion, seien aber wegen günstiger gesundheitlicher Effekte etwa auf die Glukose-Resorption und den Lipidstoffwechsel in einer Menge von 30 g täglich zu empfehlen.

Auch die Ergebnisse der alleinigen diätetischen Therapien gegen Adipositas mit hypokalorischer Ernährung halten die Forscher insgesamt für unbefriedigend. So ergab eine Metaanalyse in den USA von 17 Studien zum Thema zwar einen initialen Gewichtsverlust von 4 bis 28 kg (Median 11 kg).

Nur jeder sechste Patient konnte aber mit seiner Ernährung allein innerhalb der nächsten fünf Jahre das abgespeckte Gewicht auch halten oder weiter abnehmen (Obes Rev 2000, 1: 113).

Bessere Erfahrungen haben Wechsler und seine Mitarbeiter mit modifiziertem Fasten gemacht. Kernstück dabei ist eine Formuladiät, mit der die täglich erforderlichen Nahrungsbestandteile, Spurenelemente, Mineralstoffe und Vitamine bilanziert substituiert werden.

Bei einem hohen Energiedefizit können die Patienten bei der Diät bis zu 13 kg Gewicht in vier Wochen abnehmen. Der Proteinverlust ist dabei mit nur 3 bis 4 Prozent der abgespeckten Masse gering. Muskeln werden also nur sehr geringfügig abgebaut.

"Etwa 80 Prozent des Gewichtsverlusts besteht aus reinem Fettgewebe" so die Forscher. Sie haben in den vergangenen Jahren das Optifast-52-Programm zur interdisziplinären Adipositastherapie mitentwickelt.

Dabei wird eine Formuladiät von täglich etwa 750 kcal eingesetzt, die den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGE) sowie den EU-Richtlinien entspricht. Diese Diät wird drei Monate eingehalten, anschließend folgt eine neunmonatige Phase mit kalorienreduzierter Mischkost von 1000 bis 1500 kcal.

"Der durchschnittliche Gewichtsverlust beträgt nach zwölf Monaten bei Männern etwa 30 kg, bei Frauen 22 kg", berichten die Forscher. Nach ihren Angaben haben in den vergangenen zehn Jahren etwa 20.000 Adipositas-Patienten an 40 Zentren in Deutschland an dem Programm teilgenommen.

Bei Frauen sei dabei binnen sechs Monaten das Körpergewicht im Mittel von 111 kg auf 88 kg zurückgegangen und dann nach insgesamt zwölf Monaten wieder auf 92 kg angestiegen.

Die Nebenwirkungen der Gewichtsreduktion im Rahmen des Programms sind gering, betonen die Forscher. Der Einfluss auf Blutdruck, Blutzucker, Harnsäure und Lipide sei günstig. Cholesterin, LDL, Triglyzeride, systolischer und diastolischer Blutdruck, Blutzucker und Harnsäure fallen während der Gewichtsreduktion signifikant ab und die Lebensqualität der Patienten steigt signifikant an.

Damit sei das Optifast-52-Programm ein erfolgreiches, allerdings auch aufwendiges konventionelles Therapieprogramm für Patienten mit Adipositas.

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