Prof. Tschöp im Interview

"Dem Gehirn einen Magenbypass vorgaukeln"

Diabetes und Adipositas greifen weiter um sich. Die Epidemie aufhalten könnte ein Eingriff in die Magen/Darm-Hirn-Kommunikation. Wie das gelingen kann, erläutert Professor Tschöp im Interview mit der "Ärzte Zeitung".

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:

Prof. Matthias Tschöp

'Dem Gehirn einen Magenbypass vorgaukeln'

© Helmholtz Zentrum München

Position: Alexander-von-Humboldt Professor, Wissenschaftlicher Direktor des Helmholtz Diabetes Center und Direktor des Instituts für Diabetes und Adipositas am Helmholtz Zentrum München sowie Inhaber des Lehrstuhls für Stoffwechselerkrankungen an der TU München.

Forschung: Molekulare Grundlagen von Diabetes und Adipositas; 1999 Entdeckung der Hormonwirkungen des Magenpeptids Ghrelin; Rolle der Darm-Hirn-Kommunikation für die Glukose-Homöostase und den Energiestoffwechsel, Entdeckung mehrerer neuer Wirkstoffe zur Behandlung von Adipositas und Diabetes – einige bereits in klinischen Studien. Professor Matthias Tschöp wurde für seine Arbeiten mit renommierten nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet..

Ärzte Zeitung: Herr Professor Tschöp, Sie beschäftigen sich wissenschaftlich unter anderem mit der Kommunikation zwischen Gehirn und Darm. Warum ist diese Kommunikation so wichtig?

Professor Matthias Tschöp: Bald werden zehn Prozent der Bevölkerung in Deutschland diabeteskrank sein. Dieses explosive Ansteigen der Erkrankungszahlen hat sehr viel mit Übergewicht und Adipositas zu tun. Bei der systemischen Kontrolle des Stoffwechsels, des Appetits und des Körpergewichts spielt wiederum die Kommunikation zwischen Magen-Darm und Gehirn eine enorme Rolle.

Tragen also zentralnervöse Zustände mit dazu bei, dass es zur Adipositas und zum Diabetes kommt?

Tschöp: Absolut. Einerseits gibt es genetische Prädispositionen, die zusammen mit Umwelteffekten zu einer Krankheit führen können - diese "Risikogene" sind überwiegend für Gehirnfunktionen zuständig. Des Weiteren sehen wir Anzeichen, dass falsches Ernährungsverhalten und mangelnde Körperbewegung Entzündungsprozesse im Hypothalamus auslösen.

Dort befinden sich wichtige Regelkreise, die nicht nur Sättigung und Nahrungsaufnahme steuern, sondern Stoffwechselprozesse und Kalorienverbrennung in fast jeder Zelle unseres Körpers regulieren. Die entzündlichen Vorgänge im Gehirn wirken sich auch negativ auf unseren Appetit aus.

Es entsteht ein circulus vitiosus, der immer tiefer in das metabolische Syndrom hineinführen kann. Dieser Zusammenhang besteht sicher nicht bei jedem Diabetes- und Adipositas-Patienten, aber spielt - so denken wir - bei mehr als einer Subpopulation dieser Patienten eine Rolle.

Kann dieser circulus vitiosus allein durch Lebensstiländerungen durchbrochen werden?

Tschöp: Ein verbessertes Ernährungsverhalten und körperliche Aktivität sind sehr wichtig. Leider hat die Vergangenheit gezeigt, dass Anleitung und Aufklärung darüber alleine nicht reichen. Wir brauchen deshalb zusätzlich neue Ansätze medizinischer Art.

Warum ist es nicht so einfach, seinen Lebensstil zu verändern?

Tschöp: Das verstehen wir inzwischen auch besser aufgrund neuer Daten aus der Epigenetik. Epigenetische Mechanismen programmieren, welche Gene mehr oder weniger abgelesen und verwendet werden und welche nicht. Das Erstaunliche ist nun, dass sich diese Art der Regulation zum Teil in die nächste Generation fortprogrammieren kann.

Es könnte also sein, dass wir über unseren derzeitigen Lebensstil bereits Stoffwechselvorgänge für die nächste und übernächste Generation programmieren und damit Krankheitsprozesse bei unseren Nachkommen begünstigen.

Sie meinen, nicht nur falsche Verhaltensweisen werden weitergegeben, sondern auch Programme auf molekularbiologischer Ebene?

Tschöp: Richtig. Auf molekularer Ebene werden Signale programmiert, die dazu führen, dass längerfristig bestimmte Gene mehr oder weniger abgelesen und in Proteine übersetzt werden. Dabei könnten auch weniger reversible Vorgänge initiiert werden.

Es ist vorstellbar, dass epigenetische Veränderungen stattfinden, die sich selbst mit gesunder Ernährung und körperlicher Aktivität nicht mehr umkehren lassen. Denkbar ist, dass sich dann in Folgegenerationen Resistenzen gegen Therapien entwickeln, die wir jetzt gerade entwickeln. Deshalb ist es so wichtig, dass wir diese Prozesse rasch verstehen.

Sie und Ihr Team versuchen Effekte mehrerer stoffwechselaktiver Hormone zu kombinieren. Welche Rationale steckt hinter dieser Strategie?

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Tschöp: Viele der Hormone, die wichtig sind für Stoffwechsel- und Appetitkontrolle, stammen aus dem gastrointestinalen System, aber entfalten ihre wichtigste Funktion im Gehirn. Diese Hormone spielen auch eine große Rolle bei den positiven Effekten eines Magenbypasses bei dem es zu einem therapeutischen Körpergewichtsverlust von 20 bis 30 Prozent kommt.

Erstaunlicherweise verbessert sich oft bereits kurz nach der Operation die Insulinausschüttung und -wirkung sowie der Fett- und Glukosestoffwechsel massiv.

Und das, obwohl der Patient zu diesem Zeitpunkt noch kaum Körpergewicht verloren hat. Der Grund dafür ist, glauben wir, dass durch den Bypass hormonelle Signalwege neu arrangiert werden. Und dazu gehören eben diese gastrointestinalen Hormone, die mit dem Gehirn kommunizieren.

Ihnen ist gelungen, dies pharmakologisch zu imitieren?

Tschöp: Wir versuchen dem Gehirn vorzugaukeln, dass ein Magenbypass angelegt wurde, indem wir mehrere Signale der Magen-Darm-Gehirn-Kommunikation in einem "Mastermolekül" imitieren, das wir in ein einziges Medikament packen. Dazu haben wir einzelne Aminosäuren eines natürlichen Hormons so verändert, dass daraus eine Art Generalschlüssel wird.

Dieser Schlüssel aktiviert mehrere Signalwege, zum Beispiel die des Glukagons, von GLP (Glucagon-like Peptide)-1 und von GIP (gastrisches inhibitorisches Polypeptid). Wichtig war es, das richtige Aktivitätsgleichgewicht dieser drei Hormone zu finden. Wir glauben, dass uns das jetzt geglückt ist.

Mit welchem Resultat?

Tschöp: Die Idee ist, dass das Gehirn dann dafür sorgt, dass der Gesamtkörperstoffwechsel sich verbessert und neu eingestellt wird. Es handelt sich um eine Reprogrammierung, jedenfalls solange die Hormonwirkung vorliegt. Wir glauben, dass diese pharmakologische Behandlungsmethode sicherer ist, als direkt in Neurotransmitterwege des Gehirns einzugreifen, wie es mit den Cannabinoid-Rezeptorblockern versucht worden war - und was zum Beispiel zu Depressionen als Nebenwirkung geführt hat.

Wir dagegen manipulieren mit unseren Polyagonisten indirekt jenes System, das Mutter Natur für die Stoffwechselregulation angelegt hat. In prä-klinischen Studien haben wir die Insulinresistenz, die Hyperglykämie, die Fettstoffwechselstörungen und die Adipositas umkehren können. Inzwischen verfügen wir auch über allererste klinische Daten, die ähnliche Erfolge am Menschen bestätigen.

Welche Effekte haben Sie gesehen?

Tschöp: Typ-2-Diabetes und Adipositas konnten wir in Langzeitstudien im Tiermodell komplett beseitigen, solange diese Medikamente gegeben wurden.

Klinisch konnten wir in ersten kürzeren Studien zeigen, dass sich die Insulinausschüttung und der Glukosestoffwechsel mit dem Polyagonisten stärker verbessert als mit einem Einzelwirkstoff. Daten zur Behandlung der Adipositas beim Menschen erwarten wir in naher Zukunft.

Das hört sich nach einem neuen Lifestyle-Medikament an: Schlemmen ohne Reue wird möglich.

Tschöp: Das kann natürlich nicht das Ziel sein. Wir müssen trotzdem aus der Zwickmühle herauskommen, in der wir uns als Gesellschaft befinden. Ein solches Medikament könnte uns Zeit verschaffen, bis Lebensstil-Veränderungen wirklich greifen.

Derzeit ist sehr viel von personalisierter Medizin die Rede. Sie und Ihre Kollegen diskutieren auch bei Adipositas und Diabetes individualisierte Behandlungsansätze ...

Tschöp: Je mehr wir über Typ-2-Diabetes und Adipositas lernen, desto mehr erkennen wir Subgruppen dieser Patienten. Für diese verschiedenen Patienten benötigen wir maßgeschneiderte Lösungen.

Ein Patient mit Fettleber benötigt ultimativ idealerweise eine andere Kombinationstherapie als jener, bei dem eine enthemmte Appetitregulation vorliegt oder wenn inflammatorische Prozesse im Fettgewebe im Vordergrund stehen.

In diese Richtung geht auch unsere neueste Entwicklung von Kombinationstherapeutika, über die ich beim DGIM-Kongress sprechen werde. Dafür brauchen wir natürlich auch noch eine wesentlich verbesserte Diagnostik und geeignete Biomarker, um zu wissen, welcher Patient welches Therapeutikum am meisten benötigt. Das ist die vielleicht zurzeit noch größte Herausforderung.

Plenarvortrag "Neue Wirkstoffe für Diabetes und Adipositas", 21. April, 11:45 bis 12:15 Uhr, Saal 4, DGIM-Kongress, Mannheim

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