US-Analyse

Immer mehr Leberkrebs durch Diabetes und Übergewicht

Etwa ein Drittel der hepatozellulären Karzinome wird durch metabolische Störungen verursacht. Damit haben Diabetes und Übergewicht die virale Hepatitis als Hauptrisikofaktor verdrängt.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:

BETHESDA/USA. Die Inzidenz von Lebertumoren und vor allem hepatozellulären Karzinomen (HCC) steigt seit Mitte der 1970er-Jahre kontinuierlich. Galten lange Zeit Virushepatitiden und übermäßiger Alkoholgenuss als Hauptrisikofaktoren, so verschiebt sich mit der Adipositas- und Diabetesepidemie das Ursachenspektrum in vielen Industrieländern.

Inzwischen lassen sich über 30 Prozent aller HCC auf eine metabolische Störung zurückführen, berichten Dr. Oxana Makarova-Rusher und Mitarbeiter vom Krebsforschungszentrum in Bethesda.

Die Wissenschaftler haben Ergebnisse der Datenbank Surveillance, Epidemiology and End Results (SEER) zu rund 10.700 Patienten mit HCC sowie über 332.000 Personen ohne Krebs ausgewertet (Cancer 2016, online 21. März).

Alle Teilnehmer waren mindestens 67 Jahre alt, Medicare-versichert und zwischen den Jahren 2000 und 2011 in der SEER- oder Medicare-Datenbank gelistet. Die Kontrollpersonen hatten ein vergleichbares Alter (im Schnitt 77 Jahre) und einen ähnlichen ethnischen Hintergrund, sie waren aus dem Medicare-Datenpool per Zufall ausgewählt worden.

Analyse von Versichertendaten

In den Versichertendaten suchten die Forscher um Makarova-Rusher gezielt nach HCC-Risikofaktoren. Diese teilten sie in sechs Gruppen: metabolische Störungen (Diabetes, Adipositas, gestörter Glukosestoffwechsel, metabolisches Syndrom, nichtalkoholische Fettleber), HCV- und HBV-Infektion, übermäßiger Alkoholkonsum, Rauchen sowie genetisch bedingte Lebererkrankheiten (etwa Porphyrien, Hämochromatose, M. Wilson oder Gykogenspeicherkrankheiten).

 Da über den Alkoholkonsum und Tabakgenuss keine direkten Angaben erhältlich waren, wählten die Forscher alkohol- und tabakbedingte Erkrankungen wie Sucht oder COPD als Ersatzparameter.

Wie sich zeigte, hatten 50 Prozent der HCC-Patienten, aber nur 25 Prozent der Kontrollpersonen eine metabolische Störung. Mit HCV waren 21 Prozent der Patienten, aber nur 0,4 Prozent der Kontrollen infiziert, HBV war bei 4,5 Prozent der Krebspatienten und 0,1 Prozent in der Kontrollgruppe diagnostiziert worden.

 Ein Alkoholproblem bestand bei knapp 16 Prozent der HCC-Kranken, aber nur bei 1,6 Prozent der Kontrollen. Etwa ein Drittel der Karzinomträger hatte geraucht, 19 Prozent waren es in der Kontrollgruppe. Genetisch bedingte Lebererkrankungen ließen sich bei 1,7 Prozent der Tumorpatienten und 0,2 Prozent der tumorfreien Versicherten nachweisen.

Bezogen auf die einzelnen Faktoren ergibt sich nach den Berechnungen der US-Forscher die größte Risikoerhöhung bei einer HCV-Infektion: Bei den Krebspatienten ist der Anteil der Infizierten zu den Nichtinfizierten 60-mal höher als bei Personen ohne HCC (Odds Ratio, OR = 60).

Es folgen die Hepatitis B (OR = 22), Alkoholkonsum und Gendefekte (OR jeweils 7,3), metabolische Störungen (OR = 2,8) sowie Rauchen (OR = 1,4). Berücksichtigt wurden bei der Berechnung Alter, Geschlecht, sozioökonomischer Status sowie weitere bekannte Risikofaktoren.

Genetische Ursachen sind relativ selten

Eine metabolische Störung geht nach diesen Daten zwar mit einem weitaus geringeren HCC-Risiko einher als eine Virushepatitis, allerdings sind metabolische Störungen viel weiter verbreitet. Bezogen auf die Bevölkerung tragen sie daher weit stärker zur Gesamtzahl der HCC-Erkrankungen bei als Viren.

So lassen sich nach den Berechnungen der Forscher um Makarova-Rusher 32 Prozent aller HCC-Fälle auf metabolische Störungen zurückführen, 21,5 Prozent auf HCV sowie 4,3 Prozent auf HBV - vorausgesetzt, dass die Risikofaktoren kausal an der HCC-Entstehung beteiligt sind.

Alkohol schlägt danach mit 13,5 Prozent zu Buche, und Rauchen kann 9 Prozent aller HCC-Fälle erklären. Genetische Erkrankungen verursachen hingegen nur etwa 1,5 Prozent solcher Erkrankungen.

Interessant ist auch der zeitliche Verlauf: Wurden die Jahre 2000 bis 2003 betrachtet, so lag der Anteil an HCC-Erkrankungen, der metabolischen Störungen zugewiesen werden konnte, erst bei knapp 26 Prozent, im Zeitraum 2008 bis 2011 hingegen bei 36 Prozent.

Der Anteil der beiden Virushepatitiden stieg in diesen Zeiträumen von zusammen 22 auf 26 Prozent. Zu Beginn des Jahrtausends waren Virusinfekte für das HCC folglich noch ähnlich relevant wie metabolische Störungen, inzwischen bilden Letztere mit Abstand den wichtigsten populationsbezogenen Risikofaktor.

Diese Berechnungen legen nahe, dass nicht HCV, sondern vor allem metabolische Erkrankungen für die steigende HCC-Inzidenz verantwortlich sind, schreiben die Studienautoren.

Allerdings sollte man den Begriff "verantwortlich" hier sehr sorgfältig verwenden, die Resultate beruhen letztlich nur auf Assoziationen: Wenn HCC-Kranke überproportional oft adipös sind und Diabetes haben, heißt das noch lange nicht, dass solche Probleme auch tatsächlich HCC verursachen.

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