Fettleibige Kinder

Es fehlen langfristige Therapien

Adipositas wird immer noch eher als Charakterschwäche denn als Krankheit angesehen, kritisieren Forscher. Sie fordern zur Therapie schwer betroffener Kinder und Jugendlicher sektor-übergreifende Konzepte. Aber auch damit bleibt die Behandlung mühsam.

Von Dr. Christine Starostzik Veröffentlicht:
Es fehlen langfristige Therapien

© moodboard / Thinkstock

Extreme Adipositas mit Komorbiditäten wird bei Kindern und Jugendlichen immer noch nicht als chronische Krankheit angesehen. Das hat Privatdozentin Susanna Wiegand bei der 111. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) in München kritisiert. Bei einem Kind mit Asthma etwa sei es völlig normal, dass es nach einer Reha weiterbehandelt wird.

Bei Adipositas gehe man aber davon aus, dass das Problem mit einer einzigen Maßnahme zu lösen sei. Dem sei aber nicht so: Multimodale Programme in einer langfristigen Behandlungskette hätten die meisten Aussichten auf Erfolg. Entscheidend sei, die Familie mit ins Boot zu holen, betonte die Sprecherin der "Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter" von der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG).

Wiegand und ihre Kollegen haben in der Adipositas-Patienten-Verlaufsbeobachtung (APV) bei 3000 Kindern aus Adipositas-Zentren in Deutschland, Österreich und der Schweiz nach Faktoren für einen nachhaltigen Therapieerfolg gesucht (Horm Res Paediatr. 2014; 82: 380). Im 2-Jahres-Verlauf zeigte sich, dass sich jüngere Betroffene leichter tun als ältere.

Die Forscher setzen sich daher für eine Adipositas-Therapie schon vor Erreichen der Pubertät ein. Besondere Schwierigkeiten haben Kinder mit Migrationshintergrund sowie extrem Adipöse. Für solche Patienten müssten neue Konzepte für eine langfristige Adipositas-Therapie entwickelt werden. Die APV lässt erkennen: In einem multiprofessionellen ambulanten Adipositas-Programm über bis zu vier Jahre haben Kinder ohne Migrationshintergrund und mit voll berufstätigen Eltern die besten Chancen auf eine dauerhafte Gewichtsreduktion.

Bewegung ist immer positiv

Besonders schwer tun sich zudem Kinder mit großem Bauchumfang und viel metabolisch relevantem Fettgewebe. Bereits bei der Erstvorstellung besteht bei 60 Prozent der extrem adipösen Kinder mindestens eine Komponente des metabolischen Syndroms, so Wiegand. Untersuchungen hätten aber gezeigt, dass sich durch Bewegung sämtliche Komponenten signifikant verbesserten, selbst wenn sich dadurch das Gewicht nicht reduzieren lässt.

In der Kieler Obesity Prevention Study zeigte sich zudem, dass gar nicht viel dazugehört, damit bei Kindern die Gewichtskurve ansteigt. Der berechnete Unterschied der täglichen Energiebilanz von Grundschulkindern, die im Verlauf von vier Jahren übergewichtig geworden waren, betrug gegenüber den Normalgewichtigen je nach Geschlecht lediglich 46 bis 72 kcal pro Tag.

 Im Tierexperiment wurde zudem der negative Einfluss eines gestörten Tag-Nacht-Rhythmus auf Gewicht und Stoffwechsel beobachtet: So werden Nager dick, wenn sie unter permanentem Licht im Käfig leben müssen. Die Versuchstiere entwickeln zudem eine Glukoseintoleranz, eine Fettleber und ihre motorischen Fähigkeiten lassen nach.

Schlechte Schlafhygiene – dicke Kinder

Adipositas-fördernd ist zudem das "Social Jetlag". Dieses trifft alle, die morgens aufstehen, obwohl sie nach ihrer inneren Uhr eigentlich wesentlich länger schlafen müssten. Bei Kindern und Jugendlichen ist diese Differenz relativ groß, möglicherweise auch bedingt, durch langen nächtlichen Medienkonsum.

Jedenfalls gibt es Untersuchungen aus Berlin Mitte, in denen Landkarten, auf denen die Häufigkeit der Adipositas bei Schulanfängern erfasst wurde, deckungsgleich sind mit Karten, die den Anteil Gleichaltriger mit eigenem Fernseher im Kinderzimmer wiedergeben. Weiterhin wurde gezeigt: Je stärker das Social Jetlag in Stunden ist, umso höher ist der BMI in der entsprechenden Kohorte.

Das Adipositasrisiko, so Wiegand, sei für diejenigen am größten, die spät ins Bett gingen, egal wann sie aufstünden. Bewegten sie sich zudem wenig, steige das Risiko weiter. Dass sich Bewegung in jedem Fall auszahlt, auch wenn keine Pfunde purzeln, zeigt eine andere Studie bei stark übergewichtigen Schülern: Zwar wurden sie durch die körperliche Aktivität nicht dünner, verbesserten aber immerhin ihre Leistungen in Mathematik sowie beim Arbeitsgedächtnis und in der Ausdauer.

Weil sie einen großen Einfluss auf die Entwicklung einer Adipositas haben, muss Bewegung, gute Schlafhygiene und begrenzter Medienkonsum auch bei der Therapie berücksichtigt werden. "Wir brauchen eine Behandlungskette", so Wiegand, "in der der Kinder- und Jugendarzt die Patienten einem ambulanten oder stationären Programm zuweist". Nach Durchlaufen eines solchen Programmes müssten die niedergelassenen Kollegen die Patienten wieder übernehmen. Parallel sei eine Elternbetreuung erforderlich. (Mitarbeit: eis)

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