"Weißbuch Lunge"

COPD und Asthma noch lange nicht unter Kontrolle

In Deutschland leiden immer mehr Menschen an einer COPD oder einem (schweren) Asthma bronchiale. Das zeigt die Bestandsaufnahme im aktuellen "Weißbuch Lunge".

Von Beate Schumacher Veröffentlicht:

HANNOVER. Fast alle Lungenerkrankungen haben in den letzten zehn Jahren weiter zugenommen: Das ist für Professor Tobias Welte, Direktor der Klinik für Pneumologie an der Medizinischen Hochschule Hannover und Mitherausgeber des "Weißbuch Lunge 2014", eine zentrale Erkenntnis aus der aktuellen Ausgabe.

Von dem Anstieg sind auch die beiden Volkskrankheiten COPD und Asthma betroffen. Besonders dramatisch ist die Entwicklung bei der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung.

An einer COPD sind im Jahr 2011 laut "Weißbuch Lunge" 14.970 Männer und 11.048 Frauen gestorben. Damit lag die Zahl der Todesfälle um fast 25 Prozent über der aus dem Jahr 2005.

Bereits für das Jahr 2013 hat das Statistische Bundesamt eine weitere Steigerung registriert: 28.882 Todesfälle durch COPD - ein Plus von etwa 10 Prozent gegenüber dem Jahr 2011 und von 36 Prozent gegenüber 2005. In der aktuellen Todesursachenstatistik nach der ICD-10 liegt die COPD damit auf Platz fünf.

Exakte Aussagen zur Häufigkeit der COPD sind schwieriger zu treffen. Zwar sind im "Weißbuch Lunge" fünf Prävalenzstudien aufgeführt, allerdings mit unterschiedlichen Diagnosekriterien und entsprechend heterogenen Ergebnissen. Welte geht davon aus, dass von den über 40-Jährigen etwa zehn bis zwölf Prozent betroffen sind.

Diese Größenordnung ergab sich in einer Studie, in der per Lungenfunktionstest auf eine COPD untersucht wurde. Aufgeschlüsselt nach den Schweregraden befanden sich 7,4 Prozent der Patienten im GOLD-Stadium I, 5,0 Prozent im Stadium II und 0,8 Prozent im Stadium III oder IV.

Immer mehr Frauen mit COPD

Für die nächsten Jahre wird nochmals ein drastischer Anstieg von COPD-Fällen erwartet: Einer Prognose zufolge soll der Gipfel erst im Jahr 2050 erreicht sein, mit dann acht Millionen Patienten in Deutschland.

Da vor allem ältere Menschen an einer COPD erkranken, hat die steigende Erkrankungshäufigkeit auch demografische Gründe. Hinzu kommen veränderte Rauchgewohnheiten: "Früher war die COPD eine klassische Männererkrankung, inzwischen sind zunehmend auch Frauen betroffen", sagte Welte zur "Ärzte Zeitung".

Eine Auswirkung von Rauchverboten im öffentlichen Raum auf die COPD-Rate ist, anders als bei der KHK, bisher nicht feststellbar. "Wir sehen heute aber öfter als früher Patienten, die nie geraucht haben und an einer COPD leiden." Offenbar spielen bei der Pathogenese neben dem Risikofaktor Nummer eins, dem Tabakrauchen, auch noch andere Umwelteinflüsse eine Rolle.

Entsprechend ihrer Häufigkeit verursacht die COPD hohe Kosten. Die direkten Kosten pro Patient und Jahr liegen laut "Weißbuch Lunge" je nach Schwere der Erkrankung zwischen 2000 und 3100 Euro, etwa die Hälfte davon wird für stationäre Leistungen aufgewendet. Hinzu kommen indirekte Kosten, etwa durch Arbeitsunfähigkeit und Frühberentung.

Anstieg der Asthma-Prävalenz

Auch die zweite große Erkrankung der Atemwege, das Asthma bronchiale, wird laut "Weißbuch Lunge" in den nächsten Jahren eine Herausforderung bleiben. Bei Kindern und Jugendlichen wurden Lebenszeitprävalenzen zwischen 3,0 und 10,6 Prozent ermittelt.

 Die Ursachen für diese Varianz sind unklar. Nach einer Studie des Robert Koch-Instituts (RKI) sind bis zum Alter von 14 Jahren mehr Jungen als Mädchen von Asthma betroffen. Danach kehrt sich das Verhältnis um. Pro 1000 Kinder ist einer weiteren Studie zufolge jährlich mit 19,88 Neuerkrankungen zu rechnen.

Bei Erwachsenen wird die Zwölf-Monats-Prävalenz mit 4,6 bis 6,3 Prozent und die Lebenszeitprävalenz mit 6,1 bis 8,8 Prozent beziffert, dabei sind Frauen durchgängig häufiger betroffen als Männer.

Nach Daten des RKI ist die Lebenszeitprävalenz zwischen den Jahren 2003 und 2009 gestiegen, bei Frauen von 6,0 auf 10,1 Prozent, bei Männern von 5,2 auf 8,3 Prozent. Eine Langzeit-Prognose geht allerdings davon aus, dass die Erkrankungsrate in den nächsten Jahrzehnten stabil bleiben wird.

Welte findet vor allem bedenklich, dass der Schweregrad der Asthmaerkrankungen zugenommen hat. "Es gibt viele Theorien, woran das liegen könnte. Eventuell sind die Pollen durch Umwelteinflüsse aggressiver geworden", so der Experte.

Nach wie vor sterben in Deutschland Menschen an Asthma. 1115 Todesfälle gab es im Jahr 2011. Immerhin lässt sich hier zumindest ein Rückgang verzeichnen, ebenso wie bei den asthmabedingten Berentungen.

Medizinische und nicht medizinische Kosten zusammen belaufen sich pro Asthmapatient auf etwa 2750 Euro im Jahr. Laut Statistischem Bundesamt wurden im Jahr 2008 insgesamt 1,8 Millionen Euro aufgewendet, über die Hälfte davon für Medikamente.

Fehler bei der Inhalation

Bei der Versorgung von Patienten mit COPD und Asthma wurden Welte zufolge in den vergangenen zehn Jahren "deutliche Fortschritte" erzielt - vor allem durch multifunktionale Programme, also bessere Medikamente, bessere Impfraten, Trainingstherapie und Raucherentwöhnung.

Bei Letzterer sieht der Pneumologe allerdings noch Verbesserungsbedarf: "Ein großes Defizit ist, dass die Raucherentwöhnungsprogramme von den meisten Kassen als Wellness angesehen und nicht bezahlt werden."

Im "Weißbuch Lunge" wird außerdem auf Mängel in der Asthmatherapie hingewiesen. Danach nimmt die Asthmakontrolle mit zunehmendem Schweregrad der Erkrankung kontinuierlich ab. Bei Patienten mit leichtem Asthma ist die Krankheit zu 80 Prozent, bei Patienten mit schweren Asthma hingegen nur noch zu 28 Prozent kontrolliert.

Durch intensivere Patientenschulungen ließe sich die Kontrolle wahrscheinlich verbessern. Denn, auch das ist dem "Weißbuch" zu entnehmen, die Therapieadhärenz beim Asthma ist schlecht, und bei der Inhalationstherapie werden viele Fehler gemacht - weniger als ein Prozent der Patienten nimmt die Dauermedikation über Monate korrekt und vollständig ein.

Die Verbesserung von Prävention und Behandlung der beiden Lungenerkrankungen wird, so Welte, auch in den nächsten Jahren zu den drängenden Problemen der Pneumologie gehören.

"COPD wird ein Renner bleiben, Asthma auch", so seine Prognose. Welte warnt, dass die Lungenheilkunde auf den Anstieg von Patienten mit Lungenerkrankungen nicht vorbereitet sei. Die Zahl der Fachärzte ist in den letzten Jahren von 1000 auf 800 zurückgegangen.

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