HINTERGRUND

Wenig Resistenzen bei ambulanter Pneumonie - Experten plädieren für Schmalspur-Antibiose

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Wann muss ein Pneumonie-Patient in die Klinik? Mit der CRB-65-Skala lässt sich das binnen weniger Minuten abschätzen.

Wann muss ein Pneumonie-Patient in die Klinik? Mit der CRB-65-Skala lässt sich das binnen weniger Minuten abschätzen.

© Foto: www.digitalstock.de

Nach Schätzungen erkranken jedes Jahr in Deutschland etwa 800 000 Menschen an ambulant erworbener Pneumonie (community acquired pneumonia, CAP), etwa ein Drittel davon wird in eine Klinik eingewiesen. Mit CAP werden somit mehr Menschen stationär behandelt als wegen Herzinfarkt oder Schlaganfall. Sechs bis acht Prozent der Betroffenen sterben an der Lungenentzündung. Pneumonie steht bei den Todesursachen in Deutschland somit an sechster Stelle.

Um die Therapie mit Antibiotika bei Pneumonie zu optimieren und den Wissenstransfer aus der Forschung in die Praxis zu beschleunigen, wurde 2001 das bundesweite CAPNETZ gegründet. Dem Netz gehören mittlerweile zehn klinische Zentren, 16 Forschergruppen und mehr als 500 niedergelassene Ärzte an. Gesammelt werden kontinuierlich Daten über Erreger und Erreger-Resistenzen sowie zur Diagnostik und Therapie von Pneumonie-Patienten. Daten von 6950 Patienten stehen mittlerweile zur Verfügung, wie beim Internisten-Kongress in Wiesbaden berichtet worden ist. Etwa ein Drittel der Patienten wurde dabei von niedergelassenen Ärzten behandelt. Die Studienergebnisse sind eine wertvolle Grundlage, um die Therapie-Empfehlungen in Leit-linien zu optimieren.

Einfache Skala hilft bei der Abschätzung des Risikos

Geplante Neuerungen in der bis Ende des Jahres gültigen S3-Leitlinie zur Therapie von Erwachsenen mit CAP hat Professor Gert Höffken aus Dresden vorgestellt. Wesentlich für Hausärzte ist dabei die CRB-65-Skala, die künftig generell zur Risikostratifizierung bei der Erstdiagnose empfohlen wird. Ob ein Pneumonie-Kranker in eine Klinik muss, lässt sich damit binnen weniger Minuten abschätzen:

  • C steht für Konfusion (Bewusstseinstrübung, Verwirrtheit),
  • R für Respirations-Rate (Atemfrequenz) von 30 und mehr pro Minute,
  • B für Blutdruck von 90/60 mmHg oder darunter und
  • 65 steht für Alter von 65 Jahren oder darüber.

Für jedes zutreffende Merkmal wird ein Punkt vergeben. Bei 0 Punkten kann ambulant behandelt werden. Bei einem Punkt ist eine stationäre Einweisung zu erwägen. Ergibt sich dieser Punkt etwa für die Bewusstseinstrübung bei einem jungen Pneumonie-Kranken, ist dies natürlich höher zu bewerten als ein alleiniger Punkt für ein Alter über 65 Jahre. Auch sind Komorbiditäten und die soziale Situation zu berücksichtigen. Bei zwei und mehr Punkten sollte ein Patient stationär behandelt werden.

Mittel der Wahl zur Therapie bleiben Aminopenicilline

Keine wesentlichen Änderungen gibt es in den neuen Leitlinien bei den empfohlenen Antibiotika:

Bei unkomplizierter CAP ohne Risikofaktoren werden als Mittel der Wahl Aminopenicilline wie Amoxicillin oder Sultamicillin empfohlen. Als nachrangige Alternative dazu kann mit Makroliden (Azithromycin, Clarithromycin, Roxithromycin) oder auch Doxycyclin behandelt werden. Für die Therapiedauer werden künftig 5 bis 7 Tage im Vergleich zu bisher 7 bis 10 Tagen empfohlen. Eine Nachuntersuchung wird nach spätestens 48 Stunden empfohlen. Der Zustand eines Patienten am dritten Tag der Therapie ist wichtig für die Prognose, sagte Professor Santiago Ewig aus Bochum zur "Ärzte Zeitung". Geht es einem Patienten besser, könne meist nach fünf Tagen die Antibiose abgesetzt werden. "Geht es einem Patient nicht besser, sollte man nachdenklich werden", so Ewig. Bei schwerer Krankheit ist dann doch eine Klinikeinweisung zu erwägen. Bei mittelschwerer Krankheit hält der Pneumologe die oft verwandte Strategie, dann mehr und länger Antibiotika zu geben, meist nicht für sinnvoll. Zu erwägen sei eher, das Antibiotikum abzusetzen und bei unkomplizierter Pneumonie (0 Punkte in der CRB-65-Skala) nur mit Allgemeinmaßnahmen weiter zu behandeln.

Zurückhaltung bei Breitbandantibiotika angemahnt

Bei CAP-Patienten mit Risikofaktoren (Punkte in der CRB-65-Skala, chronische Krankheiten) wird als Mittel der Wahl weiter Amoxicillin plus Clavulansäure empfohlen. Alternativen sind die respiratorischen Fluorchinolone (Levofloxacin und Moxifloxacin) oder die Cephalosporine Cefpodoxim-Proxetil und Cefuroxim-Axetil.

Der Sprecher von CAPNETZ, Professor Tobias Welte aus Hannover, appellierte in Wiesbaden an Hausärzte, möglichst keine Breitband-Antibiotika bei CAP zu verwenden. Anders als in vielen europäischen Ländern gibt es mit Ausnahme von Makrolid-resistenten Pneumokokken in Deutschland bei CAP kein wesentliches Resistenzproblem. Die Makrolid-Resistenzen gehen dabei wieder zurück. So waren nach CAPNETZ-Daten im Jahr 2004 mehr als 20 Prozent der isolierten Pneumokokken Makrolid-resistent, im Jahr 2007 seien es nur noch 10 bis 12 Prozent gewesen, sagte Welte. Der Rückgang sei wahrscheinlich mit der 2006 eingeführten Pneumokokken-Kinder-Impfung zu erklären, sagte Welte. Viele Kleinkinder sind asymptomatische Keimträger, die Pneumokokken in der Bevölkerung weitergeben.

S3-Leitlinie Pneumonie unter www.capnetz.de, Bereich für Ärzte.

Daten des CAPNETZ sind Grundlage für Empfehlungen.

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