Pneumologen

Frauen rauchen anders als Männer

In Studien zu Lungenkrebs, aber auch in Programmen zur Raucherentwöhnung sollten stärker die geschlechtsspezifischen Unterschiede berücksichtigt werden, fordern Pneumologen auf ihrem Kongress. Denn Frauen haben eine raschere Nikotinstoffwechslung als die Männer und sind anders auf Rauchauslöser konditioniert.

Von Friederike Klein Veröffentlicht:
Eine rauchende Freundin bringt viele Frauen eher dazu zur Zigarette zu greifen als Männer.

Eine rauchende Freundin bringt viele Frauen eher dazu zur Zigarette zu greifen als Männer.

© Kaponia Aliaksei / fotolia.com

BERLIN. Gender Medicine ist kein exklusives Thema für Frauenrechtlerinnen - es ist von hoher klinischer Relevanz.

Frauen haben zum Beispiel ein fast doppelt so hohes Risiko für Arzneimittelnebenwirkungen und müssen deshalb häufiger als Männer stationär behandelt werden (J Midwifery Womens Health 2011; 56: 205).

Geschlechtsunterschiede in der Verstoffwechselung von Wirkstoffen sind häufig noch nicht grundlegend verstanden, haben aber schon Auswirkungen auf Zulassungen. Am 10. Januar 2013 erhielt erstmals ein Medikament von der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA ein geschlechtsspezifisches Label.

Die Dosis des Schlafmittels Zolpidem soll in den USA seitdem bei Frauen grundsätzlich halbiert werden (5 statt 10 mg). Aufgrund eines langsameren Abbaus des Wirkstoffs in der Leber sind Frauen nach abendlicher Einnahme des Schlafmittels am nächsten Morgen besonders häufig von Benommenheit und Einschränkung der Verkehrstüchtigkeit betroffen, weil der Blutspiegel noch erhöht ist.

Nicht immer ist das weibliche Geschlecht medizinisch von Nachteil. In zahlreichen Studien mit Lungenkrebs in unterschiedlichen Stadien und mit verschiedenen Therapieansätzen sind die Überlebenschancen von Frauen besser als von Männern, wie Dr. Monika Serke vom Lungenkrebszentrum in Hemer anlässlich des Pneumologenkongresses in Berlin berichtete.

Statistisch handelt es sich zwar nur um einen Gewinn von zwei Lebensmonaten gegenüber Männern. Mehr erreichen aber auch neue Therapeutika in Studien oft nicht. Die Quintessenz laut Serke: In Lungenkrebsstudien müssen die Studiengruppen immer ausbalanciert sein hinsichtlich der Geschlechtsverteilung.

Sonst wäre der Manipulation zugunsten eines Studienarms Tür und Tor geöffnet - durch einen höheren Frauenanteil in der gewünschten Gruppe.

Hormoneller Einfluss

Naheliegend bei solchen Unterschieden zwischen den Geschlechtern ist ein hormoneller Einfluss. Wie das Östrogen hier auf die Krebsentstehung und den Progress einwirkt, ist aber bisher umstritten. Sowohl tumorfördernde als auch tumorhemmende Eigenschaften wurden schon beschrieben.

Physiologische und soziale oder Verhaltensunterschiede wirken bei Geschlechtsunterschieden auch zusammen. Frauen rauchen beispielsweise anders als Männer.

Wie Dr. Thomas Hering, niedergelassener Pneumologe aus Berlin, berichtete, scheint bei ihnen häufig die Konditionierung auf Rauchauslöser stärker zu sein als die rezeptorabhängige Sucht mit Entzugssymptomen.

Eine Situation, eine rauchende Freundin, das bringt viele Frauen eher dazu, zur Zigarette zu greifen als Männer. Zudem ist eine raschere Nikotinstoffwechslung belegt. Auf der anderen Seite haben Frauen besonders häufig und ausgeprägt Bedenken, durch einen Rauchstopp zuzunehmen.

Das müsste bei Raucherentwöhnungsprogrammen eigentlich berücksichtigt werden. Denkbar wären stärker auf die Konditionierung ausgerichtete verhaltenstherapeutische Ansätze, eine höhere Dosis von Nikotinersatzprodukten oder eine besondere Berücksichtigung der Gewichtskontrolle durch entsprechend Lebensstilmaßnahmen (Ernährung, körperliche Aktivität).

Evidenz aus Studien gibt es dazu nicht, bedauert Hering, der selbst für den Berufsverband der Pneumologen ein Raucherentwöhnungsprogramm entwickelt hat.

Hälfte der Menschheit zu wenig berücksichtigt

Die lückenhafte Kenntnis von medizinisch und therapeutisch relevanten Geschlechterunterschieden zeigt: Es ist höchste Zeit, systematisch geschlechtsspezifische Unterschiede in Studien zu untersuchen. Das passiert immer noch viel zu wenig.

So berücksichtigten beispielsweise nur 7 von 49 Berichten von bei der FDA registrierten Phase-IV-Studien mit Medizinprodukten aus allen Fachgebieten das Geschlecht als Einflussfaktor in den Ergebnisanalysen (J Womens Health (Larchmt) 2014; 23: 218).

Geschlechtsspezifische Subgruppenanalysen gab es nur bei zwei von ihnen. In Zeiten, in denen inflationär über eine individualisierte Therapie gesprochen wird, wird also gleich eine ganze Hälfte der Menschheit in Studien zu wenig berücksichtigt. Wer ein wissenschaftliches Betätigungsgebiet sucht, findet hier noch ein weites Feld!

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