HINTERGRUND

Als ob ein Vorhang aufgezogen wird - beim Kontakt mit Hunden blühen demenzkranke Altenheimbewohner auf

Von Heidi Niemann Veröffentlicht:

Regungslos und in sich gekehrt sitzt die alte Frau in ihrem Rollstuhl. Von den anderen Menschen, die mit ihr in dem Aufenthaltsraum des St.-Paulus-Stifts in Göttingen sitzen, nimmt sie keine Notiz.

Sie spricht nicht und reagiert auch nicht, als drei Frauen mit vier Hunden den Raum betreten. Als einer der Hunde seinen Kopf auf ihre Knie legt, ist die alte Frau plötzlich wie verwandelt. "Mein Liebling", sagt sie immer wieder und streichelt dem Tier über das Fell.

Nicht nur die Hundehalterinnen, sondern auch die Betreuer kommen aus dem Staunen nicht heraus: Als würde plötzlich ein Vorhang aufgehen, nimmt die demenzkranke Altenheimbewohnerin wieder Kontakt mit der Außenwelt auf. Seit Anfang des Jahres kommen einmal wöchentlich einige Mitglieder der Göttinger Hundesportfreunde in das Altenheim, und seitdem geschehen jede Woche solche kleinen Wunder.

In den USA ist die Therapie mit Hunden längst etabliert

Während in den USA der Einsatz von Hunden in der Therapie bereits weit verbreitet ist, gibt es in Deutschland bislang erst wenige derartige Projekte. Die Göttinger "Hunde-Runde" für kranke Senioren ist auf Initiative des örtlichen Bonus-Freiwilligenzentrums entstanden, das ehrenamtliche Projekte organisiert und koordiniert.

Anlaß seien auch eigene Erfahrungen gewesen, sagt Doris Kahl vom Freiwilligenzentrum. Ihre Mutter sei nach einem Schlaganfall geistig verwirrt gewesen und habe in einem Altenheim gelebt. Bei ihren Besuchen habe sie des öfteren ihren Hund mitgebracht und dabei erstaunliche positive Verhaltensänderungen bei ihrer Mutter festgestellt.

"Die Hunde tun den Bewohnern sehr gut, und es geschehen bei den Besuchen erstaunliche Dinge", sagt auch Altenheimleiterin Eleonore Roth. Allerdings kann nur eine achtköpfige Gruppe der Stiftsbewohner an der wöchentlichen "Hunde-Runde" teilnehmen. Von diesen Demenzkranken wisse man, daß sie früher mit Hunden zu tun hatten und keine Angst haben. Dies habe man vorher in Gesprächen mit den Angehörigen abgeklärt, sagt Roth.

Der Hunde-Besuch beschränkt sich zwar jeweils auf eine Dreiviertelstunde, doch diese 45 Minuten haben eine enorme Wirkung. Als beispielsweise Hundebesitzerin Marion Steinmetz die Hand einer Frau im Rollstuhl auf das Fell ihres Mischlingshundes Linus legt, strahlt diese.

Sprechen kann sie nicht, stattdessen seufzt sie zufrieden und tastet den Rücken des Tieres ab. Eine andere Heimbewohnerin beugt sich nach unten, um den Hund zu ihren Füßen zu streicheln. "So weit würde sie sich sonst nie bücken", sagt Altenpflegerin Gudrun Trapphagen. "Plötzlich zeigen sich wieder ungeahnte Fähigkeiten."

Eine Bewohnerin, die sonst völlig apathisch wirkt, liebkost einen Hund und reagiert plötzlich auch auf Fragen. Sie habe früher auch einen Hund gehabt, zu Hause in Breslau. "Das war damals noch deutsch." Eine andere Frau freut sich, als ein Hund seinen Kopf auf ihren Schoß legt: "Du bist ein feiner Kerl, ich mag dich sehr gern". Strahlend erzählt sie: "Der mag mich auch."

Die Hundebesitzer staunen über die Folgen ihres Besuchs

Für die Besitzerinnen der gutmütigen und intensiv geschulten Hunde ist der Besuch im Altenheim immer wieder beeindruckend. "Wir nehmen dabei auch für uns selbst viel mit", sagt Marion Steinmetz. Die Hundesportfreunde staunen nicht nur über die positiven Effekte auf die Altenheimbewohner, sondern sind auch verblüfft über die Reaktionen ihrer Vierbeiner. Diese müssen sich zwar körperlich nicht anstrengen, seien aber spürbar erschöpft, so Hundebesitzerin Veronika Hampe.

Als sich die Besucherinnen mit ihren Vierbeinern verabschieden, sagt eine Frau: "Danke, das war sehr schön." Dann gibt es wieder Verwandlungen: Eine Bewohnerin, die eben noch lebhaft geplaudert hatte, wirkt plötzlich wieder ganz teilnahmslos. Trotzdem seien durchaus langfristige Effekte erkennbar, sagt Stiftsleiterin Roth. Der Hunde-Besuch wirke nach, und die Teilnehmer seien danach sehr viel entspannter als sonst.



STICHWORT

Therapie mit Tieren

Die Therapie mit Tieren zeigt vor allem bei Demenzkranken Erfolg. Wie in den USA und den Niederlanden längst üblich, werden Hunde und Katzen auch in deutschen Altenheimen eingesetzt. Eine US-Studie der Universität St. Louis mit 45 Frauen über 75 Jahren kam zu dem Ergebnis, daß sich die Altenheimbewohnerinnen durch den regelmäßigen Kontakt mit den Hunden vor allem weniger einsam fühlten.

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