Demenz

Schon kurzes Training bremst geistigen Abbau

Ein sechswöchiges kognitives Training bei älteren Menschen kann den geistigen Abbau bremsen. Erstaunlich: Der Effekt ist sogar noch nach zehn Jahren messbar. Bloß im Alltag scheint das nur wenig zu bringen.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Der Effekt eines kognitiven Trainings war in der Stude auch nach zehn Jahren noch messbar.

Der Effekt eines kognitiven Trainings war in der Stude auch nach zehn Jahren noch messbar.

© Peter Maszlen / fotolia.com

BALTIMORE. Es klingt zunächst unglaublich: Nur zehn Trainingssitzungen mit ein- bis eineinhalb Stunden Dauer genügen offenbar, um den geistigen Abbau bei älteren Menschen langfristig zu bremsen. Das legen zumindest Daten der US-Studie ACTIVE* nahe.

Ein Wermutstropfen: Der Effekt des Trainings ist nach zehn Jahren zwar noch messbar, aber offenbar ohne hohe Relevanz.

Für die Studie hat ein Team um Dr. George Rebok von der Johns Hopkins University in Baltimore mehr als 2800 Menschen über 65 Jahre ausgewählt, die noch ohne fremde Hilfe zurechtkamen (J Am Geriatr Soc 2014; online 13. Januar). Die Teilnehmer mussten dann eine Batterie neuropsychologischer Tests absolvieren.

Anschließend wurden sie in vier Gruppen eingeteilt: Eine Gruppe nahm an einem speziellen Gedächtnistraining teil. Hier ging es vor allem darum, sich Wörter zu merken.

In einer zweiten Gruppe standen Exekutivfunktionen und logisches Denken im Vordergrund, in der dritten Gruppe wurden Reaktion und Verarbeitungsgeschwindigkeit trainiert. Die vierte Gruppe bekam dagegen keine spezifische Intervention.

Das Training absolvierten die Teilnehmer im Laufe von fünf bis sechs Wochen. Knapp 40 Prozent der Teilnehmer in den Trainingsgruppen nahmen nach 11 und 35 Monaten an vier Sitzungen mit Auffrischübungen teil.

Effekt am größten bei der Verarbeitungsgeschwindigkeit

Zehn Jahre später untersuchten die Forscher die geistige Leistung der Teilnehmer erneut - das Durchschnittsalter lag nun bei 82 Jahren.

Bei den Exekutivfunktionen und dem logischen Denken hatten die Teilnehmer zu Studienbeginn zunächst einen Wert von 30 Punkten auf einer 75-Punkte-Skala erreicht. In der Gruppe mit gezieltem Training dieser Funktionen war der Wert über zehn Jahre hinweg konstant geblieben, in den anderen drei Gruppen hatte er um drei bis vier Punkte abgenommen.

Der Unterschied war zwar signifikant, aber nicht relevant: Die Effektstärke war mit 0,23 eher gering.

Etwas deutlicher waren die Unterschiede bei der Verarbeitungsgeschwindigkeit: Auf einer 1500-Punkte-Skala hatten sich die Teilnehmer, die in diesem Bereich trainiert worden waren, sogar leicht verbessert (plus 24 Punkte), in den anderen Gruppen dagegen um 120 bis 145 Punkte verschlechtert. Hier war die Effektstärke mit 0,66 deutlich größer.

Keine signifikanten Unterschiede gab es zwischen den Gruppen dagegen beim Gedächtnis. Hier führte das kurzfristige Training offenbar zu keinem langfristigen Nutzen.

Kein Vorteil im Alltag

Der geringere Abbau in zumindest zwei der trainierten kognitiven Domänen übersetzte sich aber nicht in eine bessere Leistung bei einer Reihe von Alltagsaufgaben: Wer in bestimmten Testaufgaben lernt, schneller zu reagieren, tut das demnach noch lange nicht im Straßenverkehr.

Dieses Phänomen ist auch in anderen Untersuchungen aufgefallen: In der Deutschen COGITO-Studie war es auch mit einem weit intensiveren Trainingsprogramm (100 Tage lang täglich 90 Minuten) bei älteren Teilnehmern lediglich gelungen, ihre kognitiven Fertigkeiten zu verbessern, nicht aber ihre Fähigkeiten.

Die Teilnehmer schnitten zwar bei den trainierten Aufgaben langfristig besser ab, zeigten aber keine Unterschiede mehr zu untrainierten Personen, wenn sie plötzlich andere kognitive Tests zu denselben Domänen absolvierten: Wer besser Gedichte auswendig lernen kann, vergisst trotzdem genauso häufig, wo er den Schlüssel hingelegt hat.

Nur bei jungen Teilnehmern war auch ein Transfer von den Fertigkeiten zu den Fähigkeiten erfolgt, was die Studienautoren der COGITO-Studie zur Schlussfolgerung führte, das Gehirn möglichst schon in jungen Jahren stets auf Trab zu halten.

Ein Manko der ACTIVE Studie ist auch, dass nur eine kognitive Domäne trainiert wurde. Es ist daher nicht überraschend, gibt Studienautor Rebok selbst zu, dass trainierte Teilnehmer damit Alltagsaufgaben, die ein Zusammenspiel sämtlicher kognitiver Funktionen erfordern, nicht unbedingt besser erledigen.

Mehr Erfolg verspreche daher wohl ein Training, welches multiple kognitive Domänen anspricht und Alltagsaufgaben sehr nahekommt.

Nichtsdestotrotz: Erstaunlich bleibt allemal, dass ein kurzes kognitives Training einzelner Domänen nach zehn Jahren noch messbar ist. Dieses Ergebnis sollte daher zunächst in weiteren Studien überprüft werden.

*Advanced Cognitive Training for Independent and Vital Elderly

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Überschätztes Hirnjogging

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