HINTERGRUND

Können Kapseln oder Inhalatoren Diabetikern frühe Insulintherapie schmackhafter machen als bislang?

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:

Insulin als Tablette oder Kapsel? Als Nasenspray, Pflaster oder zum Inhalieren? Seit langem schon arbeiten Wissenschaftler daran, Insulin zur Substitution bei Diabetes anders als per Spritze zu verabreichen. Heute ist das Thema angesichts der rasant wachsenden Diabetes-Inzidenz aktueller denn je.

Diabetologen fordern daß bei Typ-2-Diabetikern schon früh mit einer Insulintherapie begonnen werden sollte. Die mit Spritzen verbundene psychologische Barriere bei Betroffenen verzögert aber oft den Beginn der Insulintherapie.

Rachen- und Nasensprays haben sich nicht durchgesetzt

Alternative Applikationen per Nasen- oder Rachenspray haben die meisten Diabetologen jedoch aufgegeben. Zu schlecht waren die Ergebnisse, zu klein war die Resorptionsfläche, zu sehr wurden die Schleimhäute gereizt.

Insulin in Tabletten- oder Kapselform haben in Machbarkeitsstudien im Gegensatz dazu zunächst akzeptable Effekte gehabt. Oral eingenommenes Insulin sei sehr schnell und kurz wirksam, sagt Dr. Tim Heise vom Profil Institut für Stoffwechselforschung in Neuss, schneller noch als subkutan gespritzte Analoga.

Der Abbau des Peptids im Magen könne durch geeignete Formulierungen verhindert werden. Durch Zugabe bestimmter Substanzen fördert man die Resorption im Duodenum.

Allerdings braucht man sehr hohe Dosen. Forscher arbeiten mit 100 bis 300 Einheiten, um Wirkungen zu erzielen. Ein anderes Problem: Insulin oral wirkt zwar im nüchternen Zustand sehr gut, während oder nach dem Essen eingenommen dagegen schlecht.

Inter- und intraindividuelle Resorptions- und Wirkschwankungen seien noch nicht ausreichend untersucht, so Heise. Eine exakte Titration, wie sie bei Typ-1-Diabetikern erforderlich ist, erscheint derzeit kaum realisierbar. Von der klinischen Anwendung ist man weit entfernt.

Beim US-Diabetologenkongreß in San Diego wurde auch ein transdermaler Applikationsversuch von Insulin per Iontophorese vorgestellt. Durch Anlegen eines galvanischen Stromes war es einer israelisch-indischen Arbeitsgruppe bei fünf Gesunden tatsächlich gelungen, Insulin durch die Haut in den Körper zu transportieren. Die Bioverfügbarkeit lag bei knapp zehn Prozent. Doch Heise ist skeptisch: "Das ist umständlich, und die Haut leidet darunter."

Es gibt Vier-Jahres-Daten zu inhalierbarem Insulin

Am weitesten ist derzeit die Entwicklung inhalierbarer Insuline. Die Applikation in den unteren Atemwegen, auf einer Oberfläche von der Größe eines Tennisfeldes und die Resorption durch die nur etwa einen Mikrometer dicke Barriere der Lungenbläschen machen diesen Therapieansatz attraktiv.

Daß er auch im klinischen Alltag funktioniert, ist in Studien mit mehreren tausend Patienten nachgewiesen worden, sowohl mit Insulinpulver als auch mit Aerosol.

Sicherheitsbedenken konnten bis jetzt nicht belegt werden. Derzeit liegen Daten über Anwendungen mit dem inhalierbaren Insulin der Unternehmen Pfizer und Sanofi-Aventis von bis zu vier Jahren vor. Zwar komme es bei etwa zehn Prozent der Patienten zur Antikörperbildung, hieß es in San Diego.

Und auch die Lungenfunktion werde beeinträchtigt. Klinisch habe das aber keine Auswirkungen, so Professor Joseph D. Brain von der Harvard School of Public Health in Boston, Massachusetts.

So verschlechtert sich die Einsekundenkapazität (FEV1) pro Jahr um etwa 0,05 Liter. Dies ist nach Absetzen des inhalierbaren Insulins reversibel. Die Verschlechterung ergibt sich innerhalb weniger Wochen nach Therapiebeginn, dann bleibt der FEV1-Wert stabil. Insgesamt nehme die Lungenfunktion über Monate und Jahre betrachtet nicht schneller ab als bei konventionell mit Insulin behandelten Diabetikern, sagte Brain.

Die Antikörperbildung ist nicht progressiv und hat keine Auswirkungen auf den Blutzucker oder die Hypoglykämierate. Eine Anpassung der Insulindosis soll bei Auftreten von Antikörpern nicht nötig sein.

Inhalierbares Insulin ist wohl für Raucher wenig geeignet

Für Raucher und Asthmatiker ist inhalierbares Insulin offenbar wenig geeignet. Rauchen erhöht die Insulinresorption in der Lunge und steigert damit die Gefahr von Hypoglykämien. Asthmatiker resorbieren im Gegensatz dazu weniger Insulin als Nicht-Asthmatiker.

Die an den Studien beteiligten Diabetologen äußern sich überwiegend optimistisch, daß inhalierbare Insuline die Therapie erleichtern können, bei anderen überwiegt noch die Skepsis.

Beim inhalierbarem Insulin werden Kostenträger mitreden

So glaubt der Züricher Endokrinologe Professor Giatgen A. Spinas nicht, daß inhalierbares Insulin sich bei Typ-1-Diabetikern durchsetzen wird, obwohl auch für solche Patienten erfolgreiche Studiendaten vorliegen. Als Einstieg in die Insulintherapie bei manchen Typ-2-Diabetikern könne er sich das inhalierbare Insulin vorstellen.

Er sieht eine Option für Diabetiker, die mit Ernährungs- und Bewegungstherapie nicht mehr auskommen. Ob inhalierbares Insulin sich durchsetzen wird, werde seiner Meinung nach auch von der Bereitschaft der Kassen abhängen, die wohl hohen Kosten zu erstatten.



STICHWORT

Inhalierbare Insuline

Derzeit befinden sich drei inhalierbare Insuline in der Entwicklungsphase III: ein Produkt von Pfizer und Sanofi-Aventis, für das in Europa und den USA bereits Zulassungsverfahren laufen, ein Produkt von Novartis sowie ein Produkt von Alkermes und Eli Lilly. Weitere sechs inhalierbare Insuline werden derzeit in Phase-I- und Phase-II-Studien erforscht. (ner)

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