Hintergrund

Ärzte verbessern Therapie und Organisation - wie DMP schlussendlich Patienten nützen

Anfangs als Kochbuch-Medizin verschmäht, haben sich Disease-Management-Programme etabliert und sind auch bei Ärzten akzeptiert. Nicht zuletzt wegen der Zusatzhonorare. Erste größere Studien zeigen einen - allerdings begrenzten - Nutzen.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

Es war ein gesetzgeberischer Kraftakt, der vor sieben Jahren den DMP Beine machte: Erst die Verknüpfung mit massiven finanziellen Anreizen über den Risikostrukturausgleich und Arzthonorare sorgte dafür, dass eine Organisationsreform bei der Behandlung von chronisch kranken Patienten Krankheiten in Gang kam.

Die Vermutung, so Evert Jan van Lente, der beim AOK-Bundesverband das Ressort für medizinische Versorgung managt, war, dass Ressourcen durch unkoordinierte Inanspruchnahme von Leistungen, unzulänglichen Informationsfluss und Passivität von Patienten vergeudet werden. Strukturierte Behandlungsprogramme (DMP) zielen seitdem auf bessere medizinische Outcomes, eventuell auch auf Einsparungen.

Arzneitherapie stärker an Leitlinien orientiert

Ein zweitägiges Symposion des AOK-Bundesverbandes zeigte vor allem eines: Es ist in Deutschland schwierig, solide Studien zu machen. Prospektiv geplante, randomisierte kontrollierte Studien sind nicht möglich, so dass Aussagen mit hoher Evidenz nicht getroffen werden können. Zu viele Elemente beeinflussen die Wirkung von DMP. Gleichwohl ist ein Zusatznutzen wahrscheinlich.

Für Diabetes konnte dies die ELSID-Studie bestätigen, die das Institut für Allgemeinmedizin an der Universität Heidelberg initiiert und die die AOK finanziert hat. ELSID steht für "Evaluation of a Large Scale Implementation of Disease-Management Programms - Diabetes mellitus".

Untersucht wurden die Effekte in einem Routine-DMP, einem optimalen DMP und bei Nichtteilnahme (Regelversorgung). Einbezogen waren 20 625 Patienten der AOK, die in 518 Praxen behandelt wurden. Genutzt wurden Routinedaten aus der DMP-Dokumentation, den Arzneiverordnungen, Hospitalisierungen und den daraus resultierenden Kosten. Ergänzend gab es Praxisinformationen, Patientenbefragungen und Praxisvisiten. Verglichen wurden die Effekte zwischen dem zweiten Halbjahr 2005 und 2007.

Die Ergebnisse: Die Pharmakotherapie für die Diabetiker orientiert sich in DMP stärker an Leitlinien als in der Regelversorgung. Das gilt für den Einsatz antidiabetischer Erstwahlmittel (im Zeitablauf holt aber auch die Regelversorgung auf), vor allem aber für den intensiveren Einsatz von Lipidsenkern, wo es die größten Unterschiede zwischen DMP und Regelmedizin gibt (31,5 zu 22,8 Prozent im zweiten Halbjahr 2005, 35,3 zu 27,1 Prozent im zweiten Halbjahr 2007).

Generell fallen erhöhte Kosten in der Arzneitherapie bei DMP-Patienten an. Die Kosten für den Einsatz von Blutzuckerteststreifen sind fast verdoppelt. Andererseits können DMP bei den Krankenhausausgaben einsparen. Detaillierte Daten will die Forschergruppe um Professor Joachim Szecsenyi bald veröffentlichen.

Und der Nutzen für die Patienten? Es gibt Hinweise darauf, dass strukturierte Behandlungsprogramme die Mortalität im Dreijahreszeitraum (2006 bis 2008) im Vergleich zu Regelversorgung senken konnten.

Aus den Patientenbefragungen weiß man, dass die Betroffenen bei Teilnahme an einem DMP deutlich stärker in die Gestaltung des individuellen Behandlungsplans einbezogen wurden (56,3 zu 49 Prozent bei dem Item "meistens/fast immer") und dass ihnen häufiger im Voraus der Umgang mit schwierigen Krankheitsphasen erklärt wurde (55 zu 45,9 Prozent). Noch bedeutender war der Unterschied bei der Aufklärung darüber, wie wichtig die Konsultation etwa eines Augenarztes ist (66,1 zu 50 Prozent).

Fazit: DMP-Patienten sind besser informiert und motiviert. Das hat positive Effekte auf die Lebensqualität, vor allem bei Frauen und bei Komorbiditäten wie etwa Arthrose.

Neun von zehn Ärzten optimieren Praxiabläufe

Auch für Ärzte und ihre Teams scheinen DMP und deren Evaluation nützlich zu sein. Die Praxis-Visitationen im Zusammenhang mit der ELSID-Studie führte nur bei elf Prozent der Praxen zu keinen Konsequenzen. 89 Prozent berichteten im Schnitt von gut drei Verbesserungen, die sie vorgenommen hatten: an der Spitze Neuanschaffungen von Diagnose-Gerätschaften, regelmäßige Überprüfung der Blutzuckermessgeräte und Verbesserungen des DMP-spezifischen Ablaufs. Die Reflexion durch Teilnahme an Versorgungsforschung ist, wie Professor Szecsenyi berichtet, eine Chance, die Behandlung für chronisch Kranke zu optimieren.

RCT in Österreich: Signifikante Effekte

In Österreich ist ein Diabetes-DMP erstmals im Rahmen einer randomisierten kontrollierten klinischen Studie (RCT) im Land Salzburg evaluiert worden. Beteiligt waren 48 Interventionspraxen mit 654 Patienten und 50 Kontrollpraxen mit 840 Patienten. Elemente des DMP waren Ärztefortbildung, Patientenschulung, einheitliche Dokumentation, Therapiezielvereinbarung und Patienten- sowie Arzt-Reminder. Beobachtet wurde mindestens ein Jahr. Kontroll- und Interventionsgruppen waren hinsichtlich der Ausgangsdaten nicht signifikant unterschiedlich. Die Ergebnisse: Die HbA1c-Abnahme fällt in der Interventionsgruppe signifikant stärker aus als in der Kontrollgruppe. Besonders wichtig ist die Patientenschulung. Die Schlussfolgerung von Professor Andreas Sönnichsen, der die Studie geleitet hat: "DMP tragen substanziell dazu bei, die Versorgungsqualität von motivierbaren Patienten zu verbessern." Aber er schränkt ein: "Gesundheitsökonomische und Outcome-Effekte werden in nicht randomisierten Studien vermutlich überschätzt." Unzulängliche Evaluationsmöglichkeiten in Deutschland zeichnen ein etwas rosiges Bild. (HL)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: DMP - und der Deus ex Machina

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