Diabetes-Umfrage: Ärzte setzen auf Prävention und Therapiefreiheit

Die Leserumfrage der "Ärzte Zeitung" "Was steht bei Ihren Diabetikern im Fokus?" bestätigt: Primär- und Sekundärprävention liegen den Kollegen sehr am Herzen. Die Umfrage verdeutlicht aber auch: Vielen bereitet die eingeschränkte Therapiefreiheit Sorgen.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:
Für die Verlaufskontrolle bei Diabetikern nutzen Ärzte vor allem den HbA1c-Wert.

Für die Verlaufskontrolle bei Diabetikern nutzen Ärzte vor allem den HbA1c-Wert.

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NEU-ISENBURG. "Kein Regress für Antidiabetika!", "Mehr Zeit für unsere Patienten!" und "Ruhe für individuelle Therapie ohne ständige Restriktionen!" - das sind drei der vielen Wünsche an die Gesundheitspolitik, die die Teilnehmer der Umfrage dieser Zeitung formuliert haben.

Teilgenommen haben fast 400 Allgemeinmediziner, niedergelassene Internisten und Ärzte von Diabetes-Schwerpunktpraxen.

Primär- und Sekundärprävention liegen den Teilnehmern besonders am Herzen. Sie wünschen sich mehr Zeit und eine adäquate Honorierung von Schulungen, etwa zur Ernährungsberatung und sportlichen Maßnahmen.

Mehr als 70 Prozent der Teilnehmer gaben an, ihren Patienten Schulungen anzubieten. Viele Teilnehmer fordern zudem, dass bereits in der Schule Kinder über gesunde Ernährung und die Bedeutung von Bewegung für die Diabetes-Prävention aufgeklärt werden.

Verschätzt haben sich die meisten bei der Frage, wieviele Patienten an den Folgen akuter Verschlüsse, vor allem am Herzinfarkt sterben. Nur etwa jeder Vierte lag in der Umfrage mit der Angabe "über 75 Prozent" richtig.

Die MONICA/CORA-Studie zum Beispiel hatte ergeben, dass die Inzidenzen des Myokardinfarkts in den Jahren 1985 bis 1994 bei 915 und 442 (Männer und Frauen) pro 100.000 in der diabetischen und bei 193 und 60 pro 100.000 in der nichtdiabetischen Bevölkerung lagen.

Die Analyse der Daten von 1986 bis 2006 hatte dann bei Diabetikern eine Zunahme des relativen Risikos ergeben: Bei nichtdiabetischen Männern wurde eine Reduktion der Inzidenz um 27 Prozent registriert, dagegen ein Inzidenzanstieg bei diabetischen Männern um 25 Prozent.

Die Lebenserwartung ist infolge der diabetesassoziierten Komplikationen deutlich reduziert. Je früher die Diabetesmanifestation, desto ausgeprägter ist der Verlust an Lebensjahren.

Nach Angaben von Dr. Peter Hien auf Freiberg und Professor Bernhard Böhm aus Ulm liegt bei Männern durch Diabetes ein Verlust von 5,3 Lebensjahren, für Frauen sogar von 6,4 Jahren vor.

Dass sich das KHK-Risiko reduzieren lässt, belegen Studienergebnisse. So reduzierte die intensivierte Insulintherapie (ICT) in der Studie DCCT*/EDIC** bei Typ-1-Diabetikern das Risiko einer koronaren Herzerkrankung - in der Primärprävention - um 40 bis 50 Prozent.

Jeder nutzt den HbA1c

Patienten mit Diabetes werden von Hausärzten, Allgemeinärzten und niedergelassenen Internisten gut betreut. Der nichtrepräsentativen Umfrage der "Ärzte Zeitung" zufolge nutzt jeder der knapp 400 Teilnehmer den HbA1c als Verlaufsparameter zur Verlaufskontrolle - und zwar regelmäßig einmal im Quartal.

Um mikro- und makrovaskuläre Folgekomplikationen zu vermeiden, sind bekanntlich möglichst niedrige HbA1c-Werte erforderlich. Für Typ-2-Diabetiker sollte nach den Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft ein HbA1c von 6,5 Prozent angestrebt werden.

Allerdings nur dann, wenn dabei Hypoglykämien und wenig untersuchte Mehrfachkombinationen oraler Antidiabetika (in der Regel mehr als zwei) vermieden werden und mit der Therapie keine wesentliche Gewichtszunahme verbunden ist.

Ansonsten ist ein HbA1c-Ziel von 7 Prozent anzustreben. Eine Insulintherapie ist indiziert, wenn durch modifizierte Ernährungstherapie und orale Antidiabetika das individuelle Therapieziel nicht erreicht werden kann.

Immerhin fast drei Viertel der Befragten gaben darüber hinaus an, dass sie auch den Nüchtern-Blutzucker und den postprandialen Blutzucker zur Verlaufskontrolle nutzen.

Das Risiko für Folgekomplikationen des Diabetes lässt sich bei HbA1c-Werten von 7 Prozent niedrig halten und ebenso, wenn der Blutzucker nüchtern nicht über 110 mg/dl und postprandial nicht über 145 mg/dl liegt.

Normalerweise liegen bei Gesunden die Nüchternblutzuckerwerte am Morgen nicht über einem Wert von 126 mg/ml. Als Kennzeichen einer guten Insulin- oder Tablettendosierung wird Patienten vermittelt zu überprüfen, ob der Blutzuckerwert vor einer Mahlzeit regelmäßig ungefähr so hoch liegt wie vor der vorangehenden Hauptmahlzeit.

Hypoglykämie gut im Griff

Fast 85 Prozent der Teilnehmer unserer Leserumfrage "Was steht bei Ihren Diabetikern im Fokus?" gaben an, dass nur bei sehr wenigen ihrer Patienten eine Therapieumstellung aufgrund von Hypoglykämien erforderlich war - der Anteil lag bei den meisten unter fünf Prozent.

Die meisten Patienten sind offenbar so gut therapeutisch eingestellt und werden so gut betreut, dass das Risiko für Hypoglykämien sehr gering ist oder die Patienten die Gefahr frühzeitig erkennen. Mehr als 80 Prozent der fast 400 Teilnehmer der Umfrage gaben an, dass sie bis zu 25 Prozent ihrer Patienten mit Insulin behandeln.

Hypoglykämien - Thema bei Typ-1- wie bei Typ-2-Diabetikern - gelten als häufigste Akutkomplikationen. Wird versucht, durch die Therapie einen normnahen Blutzuckerspiegel zu erreichen, geht das auch mit einem erhöhten Risiko für Unterzuckerungen einher.

Als untere Grenze gilt bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes ein Blutzuckerwert zwischen 65 und 70 mg/dl. Schulungen der Kinder und Jugendlichen können wesentlich dazu beitragen, das Hypoglykämie-Risiko zu senken.

Vor allem Kleinkinder bis zu fünf Jahren profitieren von regelmäßiger Betreuung durch ein spezialisiertes Diabetesteam. Nur wenn die Zusammenhänge von Insulinwirkung, Nahrungszusammensetzung und körperlicher Aktivität erkannt sind, kann Hypoglykämien gut vorgebeugt werden.

Leichte Unterzuckerungen lassen sich durch schnell wirkende Kohlenhydrate beheben. Schwere Hypoglykämien dagegen können aufgrund der Bewusstseinseinschränkungen nur durch Fremdhilfe behoben werden.

Die besondere Gefahr bei schweren Hypoglykämien ist das Auftreten zerebraler Krampfanfälle. Bei Bewusstseinsverlust ist eine subkutane, intravenöse oder intramuskuläre Medikation mit Glukagon oder Glukose (i.v.) angezeigt.

Gut informierte Patienten

Nach der mündlichen Aufklärung über die Stoffwechselkrankheit erhalten die neudiagnostizierten Diabetiker von mehr als 90 Prozent der Befragten innerhalb der nichtrepräsentativen Umfrage dieser Zeitung auch schriftliches Informationsmaterial.

Das zeigt, wie wichtig den Therapeuten gut informierte Patienten sind. Nach Ansicht der meisten Befragten sollte das Material für die Patienten vor allem zusätzlich zu den Informationen über die Erkrankung selbst auch Infos über die Folgeerkrankungen haben.

Denn das Ziel einer erfolgreichen Diabetes-Therapie muss sein, Makroangiopathie, also koronare Herzkrankheit, Schlaganfall, arterielle Verschlusskrankheit, Mikroangiopathie, Neuropathie und Diabetisches Fußsyndrom auf lange Sicht zu verhindern.

Wenn Patienten gut über die möglichen Folgen des Diabetes mellitus informiert sind, wird meist auch die Therapie-Compliance gut sein. Oder wie es im "Wunsch an die Gesundheitspolitik" eines Teilnehmers heißt: "eine noch stärkere Warnung vor Folgekrankheiten des Diabetes".

Wie sehr den Teilnehmern der Umfrage die Sekundär-, aber auch die Primär-Prävention am Herzen liegen, wird daran deutlich, dass zum einen fasst jeder Befragte den Patienten schriftliche Tipps zur Änderung des Lebensstils mit auf den Weg gibt. Und sie setzen sich ein für eine noch bessere Ernährungsberatung und sportliche Maßnahmen für Diabetiker.

*DCCT: Diabetes Control and Complications Trial **EDIC: DCCT-Nachfolgestudie

Das wünschen sich Umfrage-Teilnehmer von der Gesundheitspolitik:

  • mehr Therapiefreiheit ohne Kostendeckelung!
  • mehr finanzielle Mittel für moderne Antidiabetika, bessere Prävention im Kindes-Jugendalter!
  • Freigabe der Therapie ohne Budgetzwang, Fortsetzung des DMP!
  • ... dass die Regierung uns in Ruhe arbeiten lässt!
  • deutlich bessere Honorierung der Hausärzte für die Diabetes-Vorsorge!
  • Diabetes als komplettes Krankheitsbild wahrnehmen! Moderne Anti-Diabetika erstattungsfähig lassen!
  • Kostenübernahme der Blutzucker-Testreifen für ALLE Diabetiker!
  • Motivationsgespräch für jeden Diabetiker als Zeitleistung bezahlen!
  • eine klare, ehrliche Stellungnahme zur Finanzierung des Systems
  • Kinder und deren Eltern aufklären und schulen: sonst "erstickt" das Gesundheitswesen an Übergewichtigen
  • Abschaffung der DMP- Begrenzung!
  • nicht ständig alles ändern!
  • mehr Patientenschulungen

Lesen Sie dazu auch: Hohes KHK-Risiko bei Diabetikern unterschätzt

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