Mehnert-Kolumne

Süßwaren-Steuer und eine Sportstunde!

Das Entwurf für ein Präventionsgesetz steht - trotz der Kritik aus den Ländern. Doch Appelle werden nicht ausreichen. Helfen würden vielmehr eine Steuer auf Süßes und täglicher Sportunterricht.

Von Prof. Hellmut Mehnert Veröffentlicht:

Prof. Hellmut Mehnert

Arbeitsschwerpunkte: Diabetologie, Ernährungs- und Stoffwechselleiden: Diesen Themen widmet sich Prof. Hellmut Mehnert seit über 50 Jahren.

Erfahrungen: 1967 hat er die weltweit größte Diabetes-Früherfassungsaktion gemacht sowie das erste und größte Schulungszentrum für Diabetiker in Deutschland gegründet.

Ehrung: Er ist Träger der Paracelsus-Medaille, der höchsten Auszeichnung der Deutschen Ärzteschaft.

Seit Januar liegt ein Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums für eine neue Präventionsstrategie vor. Sie könnte noch in diesem Jahr zum Tragen kommen. Im Wesentlichen geht es um zwei Punkte.

Erstens: Ärzte sollen künftig ihre Patienten vermehrt auf Gesundheitsrisiken und -belastungen untersuchen, sie dementsprechend beraten und gegebenenfalls Präventionskurse empfehlen. Zweitens: Krankenkassen sollen für die betriebliche Gesundheitsförderung zwei Euro pro Versicherten zur Verfügung stellen.

In Deutschland sind bereits 67 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen übergewichtig und 23 Prozent sogar adipös. Die Diabetesrate nimmt ständig zu. Schon heute werden 80 Prozent der Krankenkassenausgaben für nur 20 Prozent der Versicherten aufgewendet, was an der Zunahme chronischer Krankheiten liegt.

"Allein die Kosten für Diabetes betrugen im Jahr 2009 bereits 48 Milliarden Euro, darin sind die indirekten Kosten nicht enthalten. Dies ist eine Steigerung von 33 Prozent gegenüber dem Jahr 2000", so Dr. Dieter Garlichs, Geschäftsführer der Deutschen Diabetes-Gesellschaft.

Appelle an gesundheitsbewusstes Verhalten reichen zur Prävention von Übergewicht und den Folgen nicht aus, betont Garlichs: "Das liberale Verharren auf der Verantwortung des Einzelnen ist richtig - und es ist gleichzeitig auch falsch. Natürlich ist es richtig, dem Einzelnen die Verantwortung nicht abzunehmen. Aber Voraussetzung dafür ist, dass Familie und Gesellschaft ihn dazu befähigt haben. Und hier haben wir ein entscheidendes Problem. Die modernen Lebensstilkrankheiten sind typische Krankheiten der bildungsfernen Schichten!"

Lehrstück Nichtraucherschutz

Neue Daten belegen das eindrucksvoll: In einer Studie in Kassel waren bei der Schuleingangsuntersuchung 2012 zwei bis drei Prozent der Kinder aus wohlhabenden Stadtteilen übergewichtig, bei Kindern aus ärmeren Stadtteilen waren es jedoch 22 bis 23 Prozent.

Eine grundlegende Verhaltensprägung zu ungesunder Ernährung in der Kindheit lässt sich aber in späteren Jahren nur schwer verändern. Zu essen und zu trinken gibt es bei uns an jeder Ecke und zu jeder Zeit. Die Werbung sendet permanent Botschaften zu kalorienreichen Lebensmitteln.

Für Süßwaren stehen zum Beispiel hundertmal mehr Werbegelder zur Verfügung als für Obst und Gemüse. Und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat nicht einmal ein Prozent des Budgets, das in Deutschland in die Werbung für Süßwaren gesteckt wird.

Zu Recht wird daher ein Eingreifen des Staates in das Umfeld von Kindergärten und Schulen gefordert. Dort darf es nicht weiter Fast Food und Zuckergetränke (vom Hausmeister) geben, sondern jedes Kind sollte Zugang zu kostenlosem Trinkwasser haben. Und eine tägliche Sportstunde würde in den Gemeinschaftseinrichtungen Wunder wirken.

Die WHO empfiehlt zudem höhere Steuern außer auf Tabak und Alkohol auch auf verarbeitete Lebensmittel mit hohem Fett-, Zucker- und Salzgehalt sowie Einschränkungen bei der Werbung für solche Produkte.

Die Besteuerung ungesunder Lebensmittel muss auch bei uns - wie in Frankreich und Ungarn - dauerhaft umgesetzt werden. Das ist nicht einfach: Selbst einfache Maßnahmen, wie kleinere Becher mit Softdrinks in Fast-Food-Restaurants (ein halber statt ein Liter!) lassen sich nicht durchsetzen.

Eine entsprechende Anordnung in New York wurde per Gerichtsbeschluss wieder rückgängig gemacht.

Dass Preiserhöhungen durch hohe Steuern und Informations-Kampagnen durchaus erfolgversprechend sind, hat die Raucherprävention gezeigt: Der Anteil der Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren, der raucht, hat sich im letzten Jahrzehnt mehr als halbiert!

Auch bei Diabetes ist Prävention das Gebot der Stunde. Ob sich die hohen Zuwachsraten bei der Erkrankung bremsen lassen, hängt dabei auch von den richtigen Entscheidungen der Politik ab.

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