Diabetes

Jährliches Screening auf Demenz?

Diabetes mellitus gilt heute als Risikofaktor für die Entwicklung einer Demenz. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft empfiehlt daher ein jährliches Screening für alle Senioren mit langer Diabetesdauer und spürbaren Einschränkungen der Gedächtnisleistung.

Von Dr. Elke Oberhofer Veröffentlicht:
Für die Praxis ist es wichtig, kognitive Beeinträchtigungen früh zu erkennen.

Für die Praxis ist es wichtig, kognitive Beeinträchtigungen früh zu erkennen.

© Alexander Raths / fotolia.com

NEU-ISENBURG. Die ohnehin schon umfangreiche Liste der möglichen Folgen eines Diabetes muss wohl um ein Krankheitsbild erweitert werden: Demenz. Dass ein epidemiologischer Zusammenhang zwischen beiden besteht, haben mittlerweile zahlreiche Metaanalysen und Kohortenstudien belegt.

Demnach ist das Risiko für eine Alzheimer-Demenz bei Diabetespatienten eineinhalb- bis zweifach, für eine vaskuläre Demenz sogar bis zu vierfach erhöht.

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) fordert nun ein jährliches Demenz-Screening bei Risikopatienten über 65 Jahren, die schon seit Längerem an Diabetes erkrankt sind und "klinische Hinweise auf eine kognitive Beeinträchtigung" zeigen.

In der im Juni 2013 vorgestellten DDG-Leitlinie "Psychosoziales und Diabetes mellitus" wird außerdem auf frühzeitige Aufklärung der Patienten gedrungen: "Patienten mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes sollen über die Assoziation zwischen einer langfristig unzureichenden Stoffwechseleinstellung und einem erhöhten Risiko für MCI (Mild Cognitive Impairment) informiert werden."

Gemeinsame Pathogenesepfade?

Noch nicht geklärt ist, ob diese Assoziationen kausal sind oder ob sich die beiden Krankheiten nur gemeinsame Pathogenesepfade teilen. Jedenfalls betrifft Typ-2-Diabetes vor allem ältere Menschen - und diese haben naturgemäß ein besonders hohes Risiko für kognitive Störungen.

Der Allgemeinmediziner und Epidemiologe Dr. José A. Luchsinger aus New York hält es für wahrscheinlich, dass hier Prozesse ablaufen, die für beide Krankheitsbilder relevant sind (J Alzheimer's Dis 2012; 30: S185-198).

Nach Luchsinger ist gut belegt, dass die bei Diabetes auftretende Makroangiopathie das Schlaganfallrisiko erhöht. Und nach einem Schlaganfall steigt das Risiko für kognitive Störungen bis hin zur Demenz. Aber auch die diabetische Mikroangiopathie schadet dem Gehirn; dieses wird dadurch chronisch mangeldurchblutet.

Als Folge werden im MRT bei kognitiv beeinträchtigten Patienten vielfach sogenannte White Matter Hyperintensities (WHI) sichtbar. Diese beobachtet man auch im Zuge eines LOAD (Late Onset Alzheimer's Disease).

Die chronische Entzündung des Gefäßendothels bei Diabetes scheint noch so ein Schlüsselphänomen zu sein: Endothelzellen setzen das Amyloidvorläuferprotein APP (Amyloid Precursor Protein) frei. Dessen Spaltprodukt, Beta-Amyloid, verklumpt bei Alzheimerpatienten zu den charakteristischen Amyloid-Plaques.

Diese Akkumulation wird durch Peroxide begünstigt; und Peroxide bilden sich bevorzugt bei diabetischer Stoffwechsellage mit oxidativem Stress. Offenbar wird auch die alzheimertypische Bildung von Neurofibrillen aus dem Tau-Protein durch Diabetes befördert.

Extrazelluläre Amyloid-Plaques und intrazelluläre Neurofibrillen sind in einem noch nicht geklärten Zusammenspiel für den Tod der Nervenzellen verantwortlich.

Ein weiteres Bindeglied zwischen Demenz und Diabetes ist Insulin. Wie Dr. Bastian Fatke und Professor Hans Förstl vom Klinikum rechts der Isar in München im "Diabetologen" (Der Diabetologe 2013; 9: 475-486) berichten, konkurriert dieses mit Beta-Amyloid um ein Insulin-abbauendes Enzym. Dadurch wird der Abbau von Beta-Amyloid behindert.

Während die Alzheimer-Therapie noch in den Kinderschuhen steckt, kann man Diabetes heute - zumindest theoretisch - effektiv vorbeugen und therapeutisch Paroli bieten. Die Münchner Experten sehen darin einen Weg, auch der Demenzepidemie zu begegnen: "Von den über 100 Millionen Demenzfällen, die weltweit im Jahr 2050 erwartet werden, könnten Schätzungen zufolge über 20 Millionen vermieden werden, wenn es gelänge, den Beginn der Erkrankung um zwei Jahre zu verzögern", schreiben die Psychiater.

Diabetes sei einer von sieben behandelbaren Risikofaktoren, auf die womöglich bis zur Hälfte der Alzheimer-Erkrankungen zurückzuführen sind.Dass Patienten mit Diabetes durchschnittlich zwei Jahre früher an einer Demenz erkranken als Nicht-Diabetiker hat vor Kurzem eine australische Studie gezeigt.

Die Autoren fanden außerdem heraus, dass die Betroffenen nach der Demenzdiagnose eine verkürzte Überlebenszeit haben.

Für die Praxis ist es wichtig, kognitive Beeinträchtigungen früh zu erkennen. Die DDG weist auf bewährte Screening-Instrumente wie den DemTect (Demenz-Detektionstest), den Mini-Mental-Status-Test (MMST) und den Uhrentest hin. Ratsam ist es auch, den Hilfsbedarf der Patienten einzuschätzen: Kommt er im Alltag alleine zurecht? Ist er in der Lage, die antidiabetische Therapie angemessen durchzuführen?

"Viele Patienten mit einer demenziellen Erkrankung können ihre Medikamente und ihre Ernährung nicht mehr richtig aufeinander abstimmen", sagte die Mitautorin der neuen Leitlinie, Professorin Karin Lange, bei der Präsentation im Juni 2013 in Berlin.

"Sie nehmen dann beispielsweise eine zu hohe Dosis Medikamente ein, überschätzen den Kohlenhydratgehalt einer Mahlzeit oder vergessen, nach dem Spritzen etwas zu essen." Die Fachpsychologin für Diabetesfragen wies auf die besondere Gefahr von Hypoglykämien bei diesen Patienten hin.

Aktuelle Studien deuten zudem darauf hin, dass schwere Hypoglykämien das Fortschreiten einer bestehenden Demenz beschleunigen können.

Ziel: HbA1c von etwa 8 Prozent

Von einer normnahen Blutzuckereinstellung sollte man gerade bei älteren Patienten mit kognitiven Beeinträchtigungen oder gar fortgeschrittener Demenz Abstand nehmen, rät die DDG. Zu groß sei das Sturzrisiko und auch das kardiovaskuläre Risiko.

Aber auch Hyperglykämien gelte es zu vermeiden: Diese können den Experten zufolge die geriatrischen Syndrome verstärken und außerdem zur Dehydratation führen. Anzustreben ist ein HbA1c im mittleren Bereich, also von etwa 8 Prozent. Der Zielwert ist jedoch an die individuellen funktionellen und kognitiven Defizite sowie an Begleiterkrankungen und Risiken anzupassen.

"Die Therapiekonzepte sollten möglichst einfach sein, um die Betroffenen und ihre Betreuer nicht zu überfordern", empfiehlt Lange, die die Forschungseinheit Medizinische Psychologie an der Medizinischen Hochschule Hannover leitet.

Im Hinblick auf Hypoglykämien relativ gefahrlos sind nach Fatke und Förstl Metformin, DPP4-Hemmer und Inkretinmimetika. Diese dürfen jedoch nicht mit Insulin, Sulfonylharnstoffen oder Gliniden kombiniert werden. Wird eine Insulintherapie erforderlich, reicht den Experten zufolge oft ein einfaches Regime mit Mischinsulinen.

Spezielle Schulungsprogramme für ältere Patienten mit kognitiven Defiziten stehen heute schon zur Verfügung, beispielsweise die strukturierte geriatrische Schulung (SGS) von Zeyfang und Feucht. Aber auch pflegende Angehörige und Betreuer müssen entsprechend instruiert werden.

Für Fatke und Förstl besteht ein wichtiger präventiver Aspekt darin, den Diabetespatienten zu ausreichend Bewegung und gesunder Ernährung anzuhalten. Damit lasse sich möglicherweise auch der geistige Abbau bremsen: In einer Studie senkte regelmäßige mediterrane Kost das Risiko für leichte kognitive Defizite um nahezu ein Drittel.

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