Experten fordern

Diabetes-Screening bei jungen Dicken

Immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene haben einen Typ-2-Diabetes. Daher sollte in Risikogruppen gezielt nach dieser Erkrankung gesucht werden, meinen Diabetologen.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
Dreizehn Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind adipös.

Dreizehn Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind adipös.

© Simon Stone / Image Source

DATTELN. Es müsse dringend reagiert werden, fordert Professor Thomas Reinehr aus Datteln und meint damit Entscheider im Gesundheitswesen und in der Politik.

Der pädiatrische Endokrinologe von der Vestischen Kinder- und Jugendklinik der Universität Witten/Herdecke verweist in einem Beitrag für die "MMW - Fortschritte der Medizin" auf erschreckende Zahlen: Sechs Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind adipös und dreizehn Prozent übergewichtig - mehr als doppelt so viele wie vor 20 Jahren.

Schätzungsweise 180.000 Jugendliche und junge Erwachsene müssen mit einem Body Mass Index (BMI) von über 35 kg/m2 als extrem adipös bezeichnet werden.

Die individuellen und volkswirtschaftlichen Konsequenzen dürften erheblich sein (MMW 2014; 156(8): 57).

Glukosetoleranztest empfohlen

Die Fettleibigkeit nimmt parallel zur Typ-2-Diabetes (T2DM)-Häufigkeit in dieser Altersklasse zu.

"Es ist wahrscheinlich, dass eine bedeutende Zahl von adipösen Jugendlichen und jungen Erwachsenen einen bislang nicht diagnostizierten T2DM aufweist", so Reinehr in seinem Beitrag.

Denn die Erkrankung ist weitgehend asymptomatisch, Polyurie und Polydipsie fehlen oft, der Nüchternglukose-Wert kann normal sein. Benötigt wird daher ein gezieltes Screening mit einem Glukosetoleranztest in Risikogruppen.

Besonders gefährdet sind bestimmte Ethnien, Jugendliche mit Zeichen eines metabolischen Syndroms oder mit positiver Familienanamnese mit T2DM. Manchmal ist eine Acanthosis nigricans als Zeichen der Insulinresistenz erkennbar.

Die Diagnose Diabetes mellitus gilt als sicher bei einem Nüchternblutzucker von über 125 mg/dl, bei einem zufälligen Glukosewert von über 199 mg/dl oder bei einem positiven Glukosetoleranztest mit einem Zweistundenwert von über 199 mg/dl, neuerdings auch mit einem HbA1c von = 6,5 Prozent.

Es sei aber noch unklar, inwiefern sich nach Standardisierung des HbA1c-Messverfahrens dieses zum Screening eigne, so Reinehr.

Weil bei Diagnose eines Diabetes mellitus bereits Folgeerkrankungen vorliegen können, soll außerdem der Blutdruck gemessen und der Lipidstatus erhoben werden. Hinzu kommen die Augenhintergrunduntersuchung, eine Albumin-Bestimmung im Nachturin sowie der neurologische Status.

Weil bereits bei adipösen Jugendlichen mit Zeichen des metabolischen Syndroms atherosklerotische Veränderungen festgestellt worden sind, soll ab dem zwölften Lebensjahr die Intima-media-Dicke sonografisch gemessen werden.

T1DM und MODY-Diabetes können bei jungen Erwachsenen nicht immer eindeutig vom T2DM abgegrenzt werden.

Nach wie vor kommen in dieser Altersgruppe die beiden Diabetesformen häufiger vor als T2DM. Zudem gelten vorhandene Betazell-Autoantikörper heute nicht mehr generell als Ausschlusskriterium für einen T2DM.

Reinehr: "Der T1DM und T2DM sind keine sich ausschließenden Erkrankungen." Es gebe Überlappungen, weil auch bei übergewichtigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit T1DM eine gesteigerte Insulinresistenz zu beobachten sei.

Fokus auf Bewegung im Alltag

Mit Lebensstilinterventionen wird primär versucht, den Stoffwechsel zu normalisieren und das Körpergewicht zu reduzieren.

Wenn drei Monate lang kein HbA1c unter sieben Prozent oder ein Nüchternblutzucker von unter 126 mg/dl erreicht worden ist, ist die zusätzliche pharmakologische Behandlung angezeigt.

Liegt bereits bei Diagnosestellung eine Ketoazidose oder eine erhebliche Hyperglykämie vor (HbA1c über 8,5 Prozent, Nüchternglukose über 200 mg/dl), muss mit Insulin behandelt werden.

Reinehr weist darauf hin, dass in puncto Gewichtsreduktion die verstärkte Bewegung im Alltag wichtiger sei als Sport. Leider sind strukturierte Schulungsprogramme bislang kaum etabliert. Eine gemeinsame Schulung mit Erwachsenen erscheint wenig sinnvoll.

Günstig wäre eine altersgerechte Therapie und Schulung, wobei die Familie und idealerweise die Peergroup mit einbezogen werden sollten, meint der Experte.

"Die Therapie der Komorbiditäten ist für die Prognose entscheidend, wird in Deutschland bei Jugendlichen aber bisher nur unzureichend durchgeführt."

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