Experten-Kommentar

Das IQWiG befeuert Konflikte und trägt nicht zu ihrer Lösung bei

Von Prof. Stephan Martin Veröffentlicht:

Es ist bekannt, dass es zwischen den Bürgern der Landeshauptstadt Düsseldorf und der Domstadt Köln gewisse Rivalitäten gibt. Die Gründe dafür liegen in der Schlacht bei Worringen im Jahr 1288, als eine kleine Schar mutiger Kämpfer aus dem Dorf an der Düssel den Ausschlag gaben, dass der Kölner Erzbischof geschlagen und aus der Stadt vertrieben wurde.

Jedoch kämpften die Düsseldorfer nicht gegen, sondern an der Seite der Kölner Bürger, die mit dem Verhalten Ihres Fürstbischofs nicht einverstanden waren.

Diesen Konflikt gibt es heute nicht mehr, denn der neue Kölner Erzbischof ist auf dem besten Weg ein wirklicher Volksbischof zu werden. Aber auch heute gibt es in Köln mit dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) eine Institution, die nicht nur Düsseldorfer Bürger erzürnt.

Dieses unabhängige von - Krankenkassenbeiträgen finanzierte - Institut soll den Nutzen und Schaden von medizinischen Maßnahmen untersuchen.

Meilenstein, sogar für Kardiologen

Eine Anfang Juni publizierte Analyse lässt aber auch kritische Experten in Deutschland erstaunen. In den vergangenen Monaten hat sich das IQWiG die Mühe gemacht, die Daten der sogenannten EMPA-REG OUTCOME Studie zu analysieren. Diese Studie mit dem SGLT2-Hemmer Empagliflozin wurde vom Hersteller Boehringer Ingelheim nach den Vorgaben der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA durchgeführt, um das kardiovaskuläre Risiko des Diabetesmedikaments zu untersuchen. Zum ersten Mal bei einem Antidiabetikum konnte in dieser Studie bei Hochrisikopatienten eine Reduktion von kardiovaskulärer Sterberate und sogar der Gesamtmortalität nachgewiesen werden.

 Die Arbeit wurde in einem der renommiertesten Medizinjournale publiziert und sogar von Kardiologen - die erfahrungsgemäß der Diabetologie kritisch gegenüberstehen - als Meilenstein gefeiert. Die aktuelle Subanalyse der Studie, wonach anscheinend zusätzlich die Progression der Nephropathie reduziert wird, unterstreicht die Bedeutung der Daten. Doch das Kölner Institut sieht das ganz anders. So wird in der Presseerklärung vom 1. Juni von einer "vertanen Chance" gesprochen.

Anscheinend gründlicher als die Gutachter des "New England Journal of Medicine" haben die Kölner Wissenschaftler in Subanalysen - die das Institut eigentlich ablehnt - angeblich den Effekt bei europäischen Teilnehmern nicht nachweisen können. Zusätzlich stoßen sie sich an der in der EMPA-REG OUTCOME Studie verwendeten Standardtherapie, die nach ihrer Ansicht nicht dem Standard in Deutschland entspricht.

Fragwürdige Vergleichstherapie

Interessanterweise gibt es für die vom IQWiG immer geforderte zweckmäßige Vergleichstherapie bestehend aus Sulfonylharnstoffen und Insulin überhaupt keine Hinweise, dass dadurch kardiovaskuläre Endpunkte oder Mortalität reduziert werden können. Gerade bei der Insulintherapie bestehen erhebliche Zweifel, ob diese bei Typ-2-Diabetes nicht manchmal sogar mehr schadet, als sie nützt. Nicht zuletzt durch die Entscheidungen des IQWiG hat die Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes in Deutschland ein Ausmaß erreicht, wie in keinem anderen Land der Welt.

Hat das IQWiG nicht auch die Aufgabe, den Schaden von medizinischen Maßnahmen zu untersuchen? Warum hat das Kölner Institut nicht den Mut, für diese Therapien eine vergleichbare Analyse zu erstellen. Oder packt man das heiße Eisen nicht an: Denn die Insulintherapie ist in Deutschland sogar im Interesse der Krankenkassen. Sie bekommen im Rahmen des Risikostrukturausgleichs jährlich über 2000 Euro für jeden Insulin-behandelten Patienten und so deutlich mehr, als sie im Schnitt für die Arzneien des Patienten aufzuwenden haben.

Vielleicht sollten wir aus der Geschichte lernen und wie im 1288 den Mitbürgern in Köln zu Seite stehen ...

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