Insulintherapie

Ist die Zeit reif für das künstliche Pankreas?

In zwei Jahren könnte ein künstliches Pankreas für die Behandlung von insulinpflichtigen Diabetikern zur Verfügung stehen. Closed-loop-Systeme seien so gut wie marktreif, meinen britische Diabetologen.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
Auf dem Weg zum künstlichen Pankreas: Insulinpumpe sowie System zur kontinuierlichen Glukosemessung.

Auf dem Weg zum künstlichen Pankreas: Insulinpumpe sowie System zur kontinuierlichen Glukosemessung.

© Medtronic

"Das künstliche Pankreas bringt uns dem Traum von Diabetes-Patienten einen Schritt näher: keine Injektionen mehr und keine Hypoglykämien." So lautet ein Satz aus dem "British Medical Journal" von 1974 (BMJ 1974; 4: 178).

Doch bis in die jüngste Vergangenheit winkten Experten stets ab: zu ungenau messende Glukosesensoren, zu variabel die Insulin-Resorptionsgeschwindigkeit, zu lang wirkende Insuline sowie unzureichende Computer-Algorithmen, als dass tatsächlich eine dauerhaft autonome Steuerung des Glukosestoffwechsels funktionieren würde. Versuche, bihormonell, also mit Insulin und Glucagon zu behandeln, blieben ohne durchschlagenden Erfolg. Man könne froh sein, mit der Sensor-unterstützten Insulinpumpen-Therapie das Hypoglykämie-Risiko ganz gut in den Griff bekommen zu haben, hieß es.

Das hört sich nun bei Dr. Hood Thabit und Dr. Roman Hovorka von der Universität Cambridge in England ganz anders an: In Studien unter Alltagsbedingungen hätten sich Closed-loop-Systeme bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen im Vergleich zu Sensor-unterstützten Insulinpumpentherapie mit verbesserten Blutzuckereinstellungen hervorgetan, mit reduzierten Hypoglykämieraten und mit einer hohen Anwenderakzeptanz (Diabetologia 2016; 59: 795).

 Die Ärzte verweisen auf das UK National Institute for Health Research, wo man davon ausgehe, dass bis Ende 2018 mit der Markteinführung eines automatisierten Closed-loop-Systems gerechnet werden könne .

Autonomer Kontrollalgorithmus

Der wesentliche Unterschied zwischen einer konventionellen Pumpentherapie mit programmierter Basalrate und manuellen Bolusinjektionen sowie einem Closed-loop-System ist, dass ein Kontrollalgorithmus autonom und kontinuierlich den Glukosespiegel misst und entsprechend die Freisetzung von Insulin moduliert. Es handelt sich also um einen komplett geschlossenen Regelkreis (closed loop) zwischen Glukosesensor und computergesteuerter Insulinpumpe.

Keine Zwischenmessungen per Hand, keine manuellen Korrekturen der Basalrate oder Bolusinjektionen mehr. Kann das wirklich funktionieren: anlegen, anschalten, vergessen? Zumindest für einen oder gar mehrere Tage? Medizinisches Ziel ist es, den Blutzucker scharf einzustellen, ohne damit Hypoglykämien zu provozieren und ohne ausgeprägt hyperglykämische Spitzen zuzulassen.

Ein System, das all dies können soll, muss mit dem stark schwankenden Insulinbedarf eines Menschen zurechtkommen, Intervallen, die zwischen einem Drittel bis zum Dreifachen des üblichen Tages- oder Nachtbedarfs liegen. Der subkutan platzierte Glukosesensor muss zuverlässig und genau messen, das freigesetzte Insulin soll rasch wirken und diese Wirkung muss in adäquater Geschwindigkeit wieder nachlassen. Zwei wesentliche Informationen fehlen dem künstlichen System: Wie körperlich aktiv ist der Patient gerade? Und: Wie setzt sich die gegenwärtige Mahlzeit zusammen?

Deutlich weniger Hypoglykämien

Dennoch sei die Evidenz aus klinischen Studien über bis zu drei Monate ermutigend, schreiben Thabit und Hovorka. Evidenz, die aus kontrollierten Studien in Diabetes-Camps und Hotels stammt und schließlich aus Untersuchungen, die unter ambulanten Bedingungen vorgenommen worden sind.

Die Diabetologen zitieren Studien mit Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern, in denen die Hypoglykämie-Zeiten und -Häufigkeiten im Vergleich zur konventionellen Pumpentherapie signifikant reduziert wurden, obwohl der durchschnittliche Blutzuckerwert mit Closed-loop-System ebenfalls niedriger war als unter Pumpentherapie. Auch HbA1c-Spiegel besserten sich signifikant, wobei der Insulinverbrauch gleich blieb oder sich teilweise verminderte. Teilnehmer gaben an, dass sie es genossen, eine zeitlang nicht mehr an das Management ihrer Krankheit denken zu müssen. Das bedeutet eine erhebliche Entlastung für die Patienten oder für die Eltern diabeteskranker Kinder. Die auf diese Weise gesteigerte Lebensqualität müsse in künftigen Studien verstärkt erfasst werden, meinen Thabit und Hovorka.

Ähnliche Ergebnisse sind bei Erwachsenen und Kindern mit bihormonellen Systemen erreicht worden, wenngleich sie nur über jeweils wenige Tage angewendet worden waren. Der Vergleich eines bihormonellen und eines Nur-Insulin-Closed-loop-Systems über Nacht bei Kindern in einem Diabetes-Camp ergab signifikante Vorteile für das bihormonelle System in Bezug auf hypoglykämische Phasen. Nachteile der bihormonellen Systeme sind die erhöhte Komplexität der Therapie und die Patienten benötigen eine zweite Pumpe.

Das Glucagon-Infusionsset muss wegen der Instabilität des Hormons täglich getauscht werden. Künftig brauche es also langzeitstabile Glucagon-Formulierungen sowie Doppelkammer-Pumpen, so die beiden Forscher.

Noch sind Kalibrationen nötig

Auch sonst sind längst nicht alle Hausaufgaben erledigt. Zwar liegen die durchschnittlichen Messabweichungen moderner Glukosesensoren bei nur noch neun bis elf Prozent. Aber weiterhin sind regelmäßige Kalibrationen nötig.

Würde die Sensor-Tragedauer von derzeit wenigen Tagen deutlich verlängert, könnte dies maßgeblich die Einführung von Closed-loop-Systemen vorantreiben, meinen Thabit und Hovorka. Weiterhin bedarf die Insulinfreisetzung weiterer Verbesserungen. Die Insulinabsorption muss beschleunigt werden, Katheterokklusionen gilt es zu vermeiden und die Katheter-Nutzungsdauern sollen erhöht werden.

Die Kontrollalgorithmen des integrierten Computers sind essenziell. Sie ermöglichen die individuelle Adaptation des Systems an die Lebensverhältnisse des einzelnen Patienten. Die Computer sind prinzipiell vulnerabel für nicht autorisierte Zugriffsversuche und müssen geschützt werden vor Interferenzen mit allseits präsenten elektromagnetischen Signalen anderer Geräte.

Schließlich müsse noch die Kosteneffektivität von Closed-loop-Systemen ermittelt werden, schreiben die Diabetologen. Nach ihren Angaben sind multinationale Studien zu technischen und medizinischen Fragen über sechs bis 24 Monate geplant oder laufen bereits.

"Jahre der Entwicklung werden nötig sein für die Miniaturisierung und die Implantation [eines künstlichen Pankreas], und selbst dann erscheint es unwahrscheinlich, dass es universell anwendbar sein wird", heißt es in oben zitierten 42 Jahre alten Fachartikel im "British Medical Journal". Es sieht so aus, als hätten sich einmal mehr Geduld, Beharrlichkeit und Optimismus in der Medizintechnologieforschung bewährt.

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