Diabetesbehandlung ohne Rezept

Fernsehen gefährdet die Gesundheit und kann tödlich sein

Von Professor Stephan Martin Veröffentlicht:
Studiendaten: Pro zwei Stunden zusätzlichem Fernsehkonsum am Tag ergaben sich in einem Jahr 176 zusätzliche Fälle von Typ-2-Diabetes, 38 tödliche kardiovaskuläre Ereignisse und 104 Todesfälle.

Studiendaten: Pro zwei Stunden zusätzlichem Fernsehkonsum am Tag ergaben sich in einem Jahr 176 zusätzliche Fälle von Typ-2-Diabetes, 38 tödliche kardiovaskuläre Ereignisse und 104 Todesfälle.

© Christoph Schmidt / dpa / picture-alliance

Bei Menschen mit hohem Fernsehkonsum finden sich hohe Raten von Typ-2-Diabetes, kardiovaskulären Erkrankungen und vorzeitigem Tod. Dies hat der Epidemiologe Professor Frank Hu von der Harvard Medical School bereits 2011 in einer Meta-Analyse belegt. Dazu waren Daten von acht Studien mit über 175.000 Teilnehmern ausgewertet worden (JAMA. 2011; 305: 2448). Ergebnis: Pro zwei Stunden zusätzlichem Fernsehkonsum am Tag ergaben sich in einem Jahr (bezogen auf 100.000 Personen) 176 zusätzliche Fälle von Typ-2-Diabetes, 38 tödliche kardiovaskuläre Ereignisse und 104 Todesfälle. Andere mögliche Einflussfaktoren als TV wie Körpergewicht oder körperliche Inaktivität waren dabei sogar herausgerechnet worden.

Allerdings: Eine Kausalität wird hier nicht belegt. Ob hoher TV-Konsum tatsächlich die Mortalität erhöht, ließe sich nur durch eine prospektive randomisierte Studie klären. Eine Ethikkommission würde aber nie eine jahrelange Studie akzeptieren, bei der die eine Gruppe täglich mehrere Stunden Fernsehen muss und es einer anderen Gruppe verboten wird.

Während epidemiologische Studien also auf eine "passive Sterbehilfe" durch Fernsehen hinweisen, gibt es auch Fälle, bei denen Fernsehen eine weitaus aktivere Rolle einnimmt. Kürzlich berichtete mir ein Patient mit Typ-2-Diabetes und Zustand nach Myokardinfarkt, dass er nach der Sendung "Cholesterin, der große Bluff" (gezeigt am 18. Oktober 2016 in ARTE) seine Statin-Therapie beendet habe. Diese Sendung beschäftigte sich im ersten Teil mit der Frage, ob Cholesterin bei der Entstehung kardiovaskulärer Ereignisse eine wesentliche Rolle spielt und ob man durch eine cholesterin-arme Ernährung in Form von reduzierten tierischen Fetten das Risiko für Herzkreislauf-Erkrankungen reduzieren kann.

Im zweiten Teil der Sendung ging es um die medikamentöse Therapie mit Statinen. Hier wurde leider nicht klar dargestellt, dass es primär um die Reduktion des Cholesterins bei ansonsten gesunden Menschen ging.

Eine systematische Nachfrage bei meinen Patienten hat ergeben, dass anscheinend viele Risikopatienten die Statin-Therapie als Reaktion auf die ARTE Sendung ohne ärztliche Rücksprache abgesetzt haben. Dies kann gefährlich sein, wie eine dänische Studie zeigen konnte (Eur Heart J. 2016; 37: 908). Auf Populationsebene ergab sich darin ein Zusammenhang von negativer Berichterstattung über Statine in den Medien mit reduzierter Einnahme und nachfolgendem Anstieg von Myokardinfarkten und Mortalität. Ob es den ARTE-Autoren bewusst ist, dass sie vermutlich für Herzinfarkte und Sterbefälle bei Zuschauern moralisch verantwortlich sind?

Würde eine Chemikalie oder ein Lebensmittel identifiziert, das man mit ähnlichen Gesundheits- oder Sterberisiken in Zusammenhang bringen würde, gäbe es Sondersendungen im Fernsehen, die Geschäftsführer der Firmen würden im Fernsehen öffentlich an den Pranger gestellt und die verantwortlichen Politiker würden im Fernsehen zum Rücktritt gezwungen.

Das ist beim Fernsehen als Risikofaktor ganz anders. Die Gefahren des Mediums werden offenbar ausgeblendet. Gibt es da etwa Maulkörbe und Denkverbote aus den Geschäftsführungen der Sender? Und welcher Politiker hat den Mut, ein solches Thema anzusprechen, wohl wissend, dass sein Wohl und Wehe vom Fernsehen abhängt.

Diese Daten sollten uns aufmerksam machen! Als Ärzte müssen wir nach solchen Medienberichten aktiv auf unsere Patienten zugehen. Wir haben zum Beispiel im Wartezimmer unserer Klinik eine Erklärung zum Sachverhalt der ARTE-Sendung ausgelegt. Auch die Gefahren durch "Passiv-Fernsehen" sollten wir stärker thematisieren: Eigentlich müsste vor jeder Sendung – vergleichbar den Aufdrucken auf Zigarettenschachteln – darauf hingewiesen werden: "Fernsehen gefährdet Ihre Gesundheit und kann tödlich sein".

Professor Stephan Martin ist Chefarzt für Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums (WDGZ).

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