Selbstmessung

Kompass für jeden Diabetiker

Die Blutzucker-Selbstmessung nutzt auch Typ-2-Diabetikern ohne Insulintherapie. Das bestätigt eine umfangreiche Metaanalyse.

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Wenn Diabetologen über die Blutzucker-Selbstmessung sprechen, wird gern auf den Vergleich zum Geschwindigkeitsmesser im motorisierten Untersatz zurückgegriffen: Es sei wie Autofahren ohne Tacho, wenn ein Diabetes-Patient ohne Selbstmessung der Blutglukose (SMBG) behandelt werde – egal ob mit oder ohne Insulin. Niemand, so etwa Professor Stephan Martin aus Düsseldorf in einem Beitrag für die "Ärzte Zeitung", würde auf die Idee kommen, nur weil sich kaum jemand an Tempolimits halte, die Tachos abzuschaffen. "Genau das tut man aber, wenn man Typ-2-Diabetikern ohne Insulintherapie die SMBG vorenthält."

Ein Hauptargument der Gegner von SMBG bei nicht mit Insulin behandelten Typ-2-Diabetikern lautet, dass ein Nutzen für diese Patientenklientel bislang nicht in prospektiven randomisierten Studien nachgewiesen sei. Mal abgesehen davon, dass nur motivierte Patienten an Studien teilnehmen, die SMBG aber ja gerade dazu da ist, für eine gesunde Lebensführung zu motivieren, darf man sagen: Das Argument ist weitgehend entkräftet!

Denn im vergangenen Jahr haben chinesische Kollegen eine umfassende Metaanalyse aktueller Daten vorgelegt, in die die Ergebnisse von nicht weniger als 15 randomisierten kontrollierten Studien mit fast 3400 ohne Insulin behandelten Typ-2-Diabetikern eingeflossen sind. Dr. Hongmei Zhu von der Universität Macau in China und Kollegen haben bei ihrer Literaturrecherche nicht nur nach dem HbA1c geschaut, sondern auch nach dem Body Mass Index (BMI), nach Blutdruck, Blutfettwerten und Bauchumfang. Ihr Fazit: Die SMBG nutzt kurz- wie langfristig (BMJ Open 2016; 6: e010524).

Für die Analyse wurden elektronische Datenbanken nach Veröffentlichungen bis Oktober 2015 durchforstet, die gefundenen Studien nach etablierten Qualitätsmarkern gesiebt, die verbliebenen Daten unabhängig voneinander extrahiert und ihre jeweiligen Ergebnisse miteinander abgeglichen. Heraus kamen neun zweiarmige Studien, in denen SMBG mit Standardversorgung oder keiner SMBG verglichen worden war sowie sechs dreiarmige Studien, in denen Kontrollgruppen zum Beispiel mit Uringlukose-Messungen oder mit mehr oder weniger intensiver SMBG verglichen worden waren.

Zusammengefasst ergab sich daraus, dass Typ-2-Diabetiker ohne Insulin-Therapie von der SMBG mit einer signifikanten Reduktion der HbA1c-Spiegel profitieren. Dies bestätige nicht nur Ergebnisse vorangegangener systematischer Reviews, erklären Zhu und Mitarbeiter. Mit einer Sensitivitätsanalyse unterstreichen sie, wie robust die errechneten Daten sind. Wichtig: Nicht nur neu diagnostizierte Patienten ziehen Nutzen aus der SMBG, auch jene, bei denen die Erkrankung bereits ein Jahr und länger bekannt ist. Der Nutzen ist unabhängig vom Ausgangs-HbA1c, wobei der größte Nutzen bei Patienten mit HbA1c-Werten unter 8,0 Prozent festzustellen war.

Das Ausmaß der HbA1c-Änderungen fiel beim Vergleich der Einzelstudien sehr unterschiedlich aus. Das könnte mit verschieden intensiven Schulungen, den jeweils an die SMBG gekoppelten Interventionen und der SMBG-Frequenz zusammenhängen. Zusätzlich werden weitere klinisch bedeutende Indizes günstig beeinflusst: BMI, Gesamtcholesterin-Spiegel und Bauchumfang. Dies zeige, so die Autoren, dass die SMBG nicht einfach nur ein Blutzucker-Monitoring-Werkzeug sei, sondern als Komponente einer komplexen Intervention betrachtet werden müsse, die insgesamt dazu beitrage, die glykämische Kontrolle zu verbessern. Gerade übergewichtigen Patienten nutze die SMBG offenbar besonders.

Keine signifikanten Unterschiede zwischen Interventions- und Kontrollgruppen stellten die Wissenschaftler in Bezug auf Blutdruck, HDL-, LDL- und Triglyceridspiegel sowie Körpergewicht fest. Sie machen außerdem auf das hohe Verzerrungsrisiko aufmerksam, da die Teilnehmer für die Intervention nicht verblindet werden konnten, bei immerhin vier Studien waren die Ergebnisse verblindet ausgewertet worden.

Werden also künftig doch noch Teststreifen für nicht Insulin-behandelte Typ-2-Diabetespatienten zulasten der GKV verordnet werden können? In der Nationalen Versorgungsleitlinie "Therapie des Typ-2-Diabetes" findet sich eine Liste klinischer Situationen, wonach auch bei Patienten ohne Insulin-Therapie "Plasmaglukosemessungen, gegebenenfalls als Selbstmessung (SMBG) notwendig oder passager notwendig sein können." Dazu zählen eine labile Stoffwechsellagen mit häufigen Hypoglykämien, Therapieeskalation, schwere Infektionen, geplante Operationen oder Erkrankungen, die sich akut auf die Ernährung auswirken, etwa wegen Durchfalls und Erbrechens. (ner)

Erstattung: Patienten ohne Insulintherapie - Stadium: In der Einstellphase bei neu diagnostiziertem Diabetes.

- Verlauf: Bei häufigen Hypoglykämien sollte vor Mahlzeiten gemessen werden, solange bis das Therapieziel erreicht ist. Auch bei Therapieeskalation oder beim Rückgang von Insulin auf orale Antidiabetika können vorübergehend mehr Messungen nötig sein.

- Erkrankungen/Interventionen: Schwere Infektionen, geplante Operationen sowie Erkrankungen mit akuten Veränderungen der Ernährung (etwa Durchfall, Erbrechen), psychische Erkrankungen, sofern sie die Therapie-Adhärenz gefährden. Sport: Wenn mit Antidiabetika Hypoglykämien aufgetreten sind.

- Diabetestherapie: Bei Sulfonylharnstoffen, wird zu Gelegenheitsmessungen geraten. Wichtig sind Gefahrensituationen: längere Autofahrten oder bei Berufskraftfahrern.

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