Lange gut leben

Eine "mission impossible" für Diabetiker?

Für Diabetiker gibt es keinen Zweifel: Eine gute Blutzuckereinstellung zusammen mit einer Korrektur der übrigen Risikofaktoren lohnt sich. Dies erfordert außer Medikamenten aber auch eine geschickte Kommunikation, um Motivationsquellen zu erschließen.

Von Peter Stiefelhagen Veröffentlicht:
Blutzucker im Keller: Das fürchten vor allem alte Patienten.

Blutzucker im Keller: Das fürchten vor allem alte Patienten.

© fovito / fotolia.com

MÜNCHEN. Die Lebenserwartung von Diabetikern konnte in den letzten Jahrzehnten wesentlich verlängert werden. Bei Typ 1-Diabetikern ist sie heute nach neueren Studienergebnissen annähernd ähnlich lang wie bei Stoffwechselgesunden. Doch dies gilt nicht überall: In einer schottischen Studie war die Lebenszeit bei Typ-1-Diabetikern weiterhin deutlich verkürzt. "Dies spiegelt die schlechte Versorgungsqualität in diesem Land wieder", erläuterte Professor Karin Lange aus Hannover beim 5. Forum: Die Hausarztpraxis im Fokus, zu dem das Unternehmen MSD nach München eingeladen hatte.

In der schottischen Studie habe sich auch gezeigt, dass gerade bei jüngeren Patienten neben Koma und Hypoglykämien, also der Compliance, auch Suizide und psychische Komorbiditäten als Todesursachen eine wichtige Rolle spielen.

Eine Kohortenstudie mit Patienten, die mehr als 50 Jahre mit Typ-1-Diabetes gelebt haben, hat ergeben: Langlebigkeit ist das Ergebnis einer komplexen Interaktion verschiedener Risikofaktoren. Günstig wirken akzeptable, aber nicht unbedingt ideale Blutzuckerwerte, hohes HDL-Cholesterin, niedriger täglicher Insulinbedarf, normales Köpergewicht, Nichtrauchen, Normotension, keine Mikroalbuminurie und Langlebigkeit in der Familie, sprich die genetische Prädisposition. "Was für Typ-1-Diabetiker gilt, trifft auch grundsätzlich für den Typ-2-Diabetiker zu", so Lange. Entscheidend für die Lebenserwartung seien die Qualität der Stoffwechseleinstellung und darüber hinaus auch die Korrektur des gesamten Risikoprofils. Doch dies erfordert meist eine tiefgreifende Umstellung der Lebensgewohnheiten und dies wiederum eine gute Kommunikation. Dabei müssen Motivationsquellen erschlossen und Barrieren überwunden werden. "Wir müssen den Patienten davon überzeugen, dass sich die Mühe lohnt und eine nachhaltige Therapie sinnvoll ist", so Lange.

Hürde 1: Psychologische Barrieren

Doch gerade zu Beginn der Diabetestherapie müssen eine Reihe von psychologischen Barrieren abgebaut werden. Zunächst sollten Vorwissen und Bewertungen validiert werden. Dabei sollten die Stärken und die Fähigkeiten des Patienten zur Problemlösung erfasst werden. "Bitte bedenken Sie dabei immer: Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern die Gedanken, die sie mit den Dingen verbinden", so Lange. Wer etwas wolle, finde auch einen Weg, wer aber nicht wolle, der finde immer irgendwelche Gründe, warum es nicht geht.

Auch ist es sinnvoll, Behandlungspräferenzen zu erfahren, um eine individualisierte Therapie einleiten zu können. Für den Patienten ist wichtig, dass er mit der Therapie im Alltag zurechtkommt. Der ältere Patient befürchtet vor allem, dass durch die Erkrankung und die Therapie sein selbstbestimmtes Leben bedroht ist und seine sozialen Beziehungen beeinträchtigt werden. "Besonders gefürchtet sind deshalb auch Hypoglykämien, was bei der Wahl der Medikamente berücksichtigt werden sollte", so Lange. So könne ein gutes Leben mit dem Diabetes zu einer "Mission possible" werden.

Hürde2: Die Umstellung auf Insulin

Die Ein- oder Umstellung auf Insulin bedeutet für viele Diabetiker eine Zäsur, zumal "die Spritze" mit einer starken Verschlimmerung assoziiert wird. Dabei wird der Hausarzt nicht selten mit der Frage konfrontiert: Muss es denn wirklich Insulin sein? "Statt eigentlich schon" sollten Sie diesen Patienten "Ja unbedingt" entgegensetzen. "Mit Ihrem Wissen, Ihrer Haltung, Ihren Emotionen, Ihren Worten und vor allem Ihrem nonverbalen Ausdruck müssen Sie den Patienten von der Notwendigkeit der Therapie überzeugen", so Lange. Gerade die nonverbale Kommunikation sei besonders wichtig; sie werde emotional und auch unbewusst gesteuert, sie reguliere zwischenmenschliche Beziehungen und unterstütze Verständnis und Einordnung. Sie dürfe nie im Widerspruch zur sprachlichen Information stehen, sonst komme es zu Missverständnissen.

Die Insulinspritze werde von den Patienten oft wie ein "Scheinriese" wahrgenommen. Wenn man sich der Angst aber nicht stellt, wird sie sich negativ verstärken. "Deshalb sollten auch hier die Prinzipien der Angsttherapie gelten: Nicht aufschieben, wiederholte Exposition, hilfreiche Gedanken, gute Praxis und vor allem Humor" so die Empfehlung von Lange.

Mehr zum Thema

Doppelter Nutzen

SGLT2-Hemmer sind bei Diabetes und Fettleber im Vorteil

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Rechtzeitig eingefädelt: Die dreiseitigen Verhandlungen zwischen Kliniken, Vertragsärzten und Krankenkassen über ambulantisierbare Operationen sind fristgerecht vor April abgeschlossen worden.

© K-H Krauskopf, Wuppertal

Ambulantisierung

90 zusätzliche OPS-Codes für Hybrid-DRG vereinbart

Führen den BVKJ: Tilo Radau (l.), Hauptgeschäftsführer, und Präsident Michael Hubmann im Berliner Büro des Verbands.

© Marco Urban für die Ärzte Zeitung

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“