Hautverletzungen

Ein Schiebedach für Wunden

Einem Grundmechanismus zum Wundverschluss sind Forscher des Uniklinikums Heidelberg auf der Spur. Mit hochauflösender Mikroskopie haben sie beobachtet: Umliegende Hautareale schieben neue Zellen unter intakter Haut hindurch in die Wunde.

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Querschnitt einer heilenden Hautwunde unter dem Mikroskop: Die mit einem roten Farbstoff markierten Hautzellen wurden von den in die Wunde einwandernden Zellen (grün) nach oben geschoben und bilden einen Schild über den nachrückenden Zellen.

Querschnitt einer heilenden Hautwunde unter dem Mikroskop: Die mit einem roten Farbstoff markierten Hautzellen wurden von den in die Wunde einwandernden Zellen (grün) nach oben geschoben und bilden einen Schild über den nachrückenden Zellen.

© Hamamatsu TIGA Center, Uniklinikum Heidelberg

HEIDELBERG. Anders als bisher angenommen tragen die in eine Wunde einwandernden Zellen nur wenig zur neuen Zellmasse bei, die eine Wunde verschließt. Stattdessen bilden die umliegenden Hautareale massiv neue Zellen und schieben diese unter der intakten Haut hindurch in die Wunde, wie ein Team um Privatdozent Niels Grabe in einer Mitteilung der Universitätsklinik berichtet.

Die neuen Zellen legen dabei für ihre Größenverhältnisse erstaunliche Entfernungen von einigen Millimetern zurück. Die Arbeit widerlegt bisherige Theorien zum Wundverschluss und unterstützt zukünftige Forschungsarbeiten etwa zu chronischen Wunden, so die Forscher (J Cell Biol 2013; 203: 691).

Für die Beobachtungen wurden mehrschichtige Gewebekulturen aus zwei Typen menschlicher Hautzellen verwendet: Keratinozyten und Fibroblasten in verschiedenen Entwicklungsstufen. Diese im Reagenzglas gezüchteten Gewebestückchen sind zwar nur eine sehr vereinfachte Version der natürlichen Haut - es fehlen unter anderen Immunzellen, Nerven oder Schweißdrüsen.

Aber sie organisieren sich selbst und reparieren Verletzungen. "Dieses System ist ausreichend komplex, um dem natürlichen Heilungsmechanismen sehr nahe zu kommen, aber trotzdem gut zu untersuchen", sagt Dr. Niels Grabe, Leiter des Hamamatsu Tissue Imaging and Analysis (TIGA) Center am Bioquant Forschungszentrum der Universität Heidelberg.

Zellen für den Wundverschluss schieben sich unter intakter Haut hindurch

In die acht Millimeter durchmessenden Gewebekulturen stanzten die Wissenschaftler jeweils zwei kleine Löcher von zwei Millimetern Durchmesser und verfolgten den Heilungsprozess bis zu zehn Tage lang.

Dazu wurden zu verschiedenen Zeitpunkten Dünnschnitte angefertigt, mit speziellen Techniken gefärbt und vom Imaging-Roboter "NanoZoomer" des TIGA Centers vollautomatisch im Millionstel-Millimeter-Bereich aufgearbeitet und abgebildet.

Mithilfe der Daten aus dem NanoZoomer hatten die Forscher bereits ein virtuelles Hautgewebe erstellt, das sie nun mit den Informationen aus den einzelnen Schritten des Heilungsprozesses verknüpften. Heraus kam nun die erste dreidimensionale Computersimulation, die den zugrunde liegenden Mechanismus von Wundverschluss und Heilung aufzeigt.

"Es hat sich eindrucksvoll gezeigt, dass Wundheilung und speziell die Einwanderung der Zellen in die Wunde eine sehr komplexe Gesamtleistung des umliegenden Gewebes ist. Das kann man an einschichtigen Zellkulturen nicht erforschen", erklärt Grabe. "Den größten Beitrag leisten die Hautregionen, die verhältnismäßig weit von der Wunde entfernt sind."

Im Experiment startete die Bewegung der neuen Hautzellen in den äußersten Bereichen der Gewebekulturen, bis zu drei Millimeter von der Verletzung entfernt. Im lebenden Organismus könnte diese Strecke sogar noch weiter ausfallen.

Wie auf einem Förderband schieben sich die neu gebildeten Zellen aus allen Richtungen unter der intakten Haut hindurch auf die Wunde zu. Gelangen sie dort ins Freie, werden sie von den nachrückenden Zellen nach oben gedrückt und reifen zu schildförmigen Zellen aus.

Unter ihnen geschützt wandern weitere Zellen ein, bis die Wunde verschlossen ist. Das Team um Grabe nannte den Mechanismus "ExtendingShield Mechanismus".

Neues Modell Voraussetzung für Fehlersuche bei chronischen Wunden

Die bisherigen Theorien zur Wundheilung besagten, dass sich die Zellen der Wundränder oder unmittelbar dahinter liegender Bereiche teilen und die Haut so in die Wunde hineinwächst. Diese Modelle sind nun widerlegt.

"Mit dem neuen Modell haben wir den Grundstein zum besseren Verständnis von Problemen mit der Wundheilung gelegt. Erst jetzt kann man zum Beispiel bei chronischen Wunden gezielt nach Fehlern in diesem Prozess suchen", so Grabe.

Auch für die Krebsforschung könnte das neue Modell wertvolle Impulse liefern. So ist der Mechanismus der Wundheilung vergleichbar mit der Einwanderung von Tumorzellen in gesundes Gewebe. "Eventuell sind die Steuerungsmechanismen ähnlich. Daraus könnte sich ein neuer Ansatz der Tumorkontrolle ergeben", hofft der Wissenschaftler. (eb)

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