HINTERGRUND

Wenn das Herz rast beim Achterbahnfahren, liegt das an der Aufregung, nicht an der körperlichen Belastung

Von Ingeborg Bördlein Veröffentlicht:

Wie wirkt sich eine Achterbahnfahrt mit der Höchstgeschwindigkeit von 120 Stundenkilometern und einem fast senkrechten freien Fall aus 62 Metern Höhe mit einer Belastung durch Gravitationskräfte um das Sechsfache auf das Herz-Kreislaufsystem aus? Dies haben Mannheimer Kardiologen jetzt bei 50 Probanden zwischen 18 und 70 Jahren untersucht.

Sie stellten fest, daß der psychische Streß zu Beginn der rasenden Fahrt das Herz offenbar noch stärker beschleunigt als der spätere freie Fall im Laufe der 90-Sekunden-Fahrt. Spitzenwerte von über 200 Schlägen pro Minute wurden nach den ersten Ergebnissen eher selten gemessen. Die durchschnittliche Herzfrequenz auf der "GeForce-Bahn" im Holiday-Park in Haßloch betrug 150 Schläge pro Minute.

Achterbahn als ideales Experimentierfeld

Leiter des Kardiologenteam der Universitätsklinik in Mannheim war Dr. Jürgen Kuschyk, der sich übrigens selbst gerne dem Kitzel einer solchen rasanten Fahrt aussetzt. Er wollte erstmals experimentell überprüfen, was jeder zu wissen glaubt oder schon am eigenen Leibe gespürt hat, daß nämlich das Herz bei einem solchen Parforceritt auch ins Rasen kommt. So war der hauptsächliche Beweggrund für die 50 Freiwilligen, die sich für den Versuch zur Verfügung stellten, die Neugierde, wie sich der Kick bei einer solchen Fahrt mit Herzfrequenzmessungen objektivieren läßt.

Für die meisten der 50 Probanden war es nicht die erste Achterbahnfahrt. Die 1,3 Kilometer lange Haßlocher "Ge-Force Bahn" ist nach Einschätzung des Projektleiters ein ideales Experimentierfeld. Denn am Ende des freien Falls wird der Körper um das 4,5fache seines Gewichts belastet und wird schon eineinhalb Sekunden später mit einer Kraft von minus 1,5 G hochgepreßt. Diese Erdbeschleunigungen um das Sechsfache gilt als weltweit einmalig. Bislang sei es während der dreijährigen Laufzeit der Achterbahn noch nicht zu schwerwiegenden Herzkreislaufproblemen gekommen.

Für die Datenerhebung hatten die Probanden einen Fragebogen mit Angaben über ihr Alter, Gewicht, Größe, Vorerkrankungen und Medikamenteneinnahme zu beantworten. Ärztinnen der kardiologischen Abteilung des Klinikums Mannheim baten die Teilnehmer vorher in den Notarztwagen, um den Blutdruck vor und nach der Fahrt zu messen und ein Langzeit-EKG anzulegen.

Die EKG-Daten wurden mit tragbaren Geräten des US-Herstellers "Mortara Instrument" erhoben, die es nach Aussage von Kuschyk ermöglichen, mit einem 12-Kanal-System die Vitaldaten der Probanden vor, während und direkt nach der Fahrt telemetrisch zu erfassen und direkt in den Rechner einzuspeisen. Dann geht es an den Start. Was man an den Gesichtern abzulesen glaubt - Aufregung und Anspannung - soll jetzt objektiviert werden.

Nach der Auswertung von 30 der insgesamt 50 Testbögen gibt der Projektleiter die Zwischenergebnisse bekannt. Der Ruhepuls der Versuchsteilnehmer - Männer und Frauen waren gleich verteilt - betrug im Mittel 85 Schläge pro Minute. Der erste für den Körper an sich unbelastende Anstieg führte zu einem von den Ärzten so nicht erwarteten sprunghaften Anstieg von 40 Schlägen: "Da zeigt sich der emotionale Streß deutlicher, als wir vermutet haben", kommentiert Kuschyk. Beim ersten freien Fall steigt die Frequenz im Mittel um weitere 20 bis 40 Schläge. Im roten Bereich, nämlich über 200 Schläge, waren nur wenige der Passagiere.

Nur bei einem Probanden stieg der Puls nicht über 100 Schläge

Ein einziger Mitfahrer - ein 66jähriger Mann - kam auch in der Extrembelastung des freien Falls nicht über 100 Schläge hinaus. Ihm wird von den Ärzten eine weitere medizinische Abklärung empfohlen, ebenso wie dem ältesten Teilnehmer (70 Jahre), dem dringend von künftigen Achterbahnfahrten abgeraten wurde. Bei ihm wurde ein Vorhofflimmern registriert.

Ansonsten haben die Probanden die rasende Fahrt körperlich gut weggesteckt, so die Bilanz der Kardiologen. Im Ziel ging der Puls in der Regel auf 90 Schläge herunter.

Fazit: Allein die Aufregung läßt die Herzfrequenz auf bis 120 Schläge steigen. Dies sei auf den psychischen Streß, nicht auf die körperliche Belastung zurückzuführen, so Kuschyk. "Ich würde Achterbahnfahren nicht unbedingt verschreiben, aber für gesunde Menschen können extreme Frequenzen wie beim schnellen Joggen oder Fußballspielen durchaus anregend sein." Sprach’s und ging selbst Achterbahn fahren.

Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Ulrike Elsner

© Rolf Schulten

Interview

vdek-Chefin Elsner: „Es werden munter weiter Lasten auf die GKV verlagert!“