Bei Kindern mit Hämophilie kann Sport möglichen Bewegungsstörungen vorbeugen

Kinder mit Hämophilie können ohne deutlich erhöhte Verletzungsrisiken Sport treiben. Gerinnungspräparate beugen Blutungen bei betroffenen Kindern effektiv vor.

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:

Etwa 5000 Menschen in Deutschland haben Hämophilie, etwa 3500 Familien sind betroffen. "Die interdisziplinäre Behandlung an einem Hämophiliezentrum durch Internisten, Orthopäden, aber auch Pädiater und Genetiker ist der Schlüssel dafür, dass ein Hämophilie-Patient ein weitgehend aktives Leben bei einer normalen Lebenserwartung führen kann", sagte Professor Johannes Oldenburg, Leiter des Hämophilie-Zentrums der Universitätsklinik Bonn.

Die ärztlich kontrollierte Selbstbehandlung mit Gerinnungskonzentraten könne - bei optimaler Einstellung und Compliance - Blutungen so effektiv vorbeugen, dass Kinder ohne Veränderungen der Gelenke aufwachsen und ohne deutlich erhöhte Verletzungsrisiken Sport treiben könnten, so Oldenburg bei einer von NovoNordisk Pharma unterstützten Veranstaltung in Bonn.

Bewegungsstörungen müssen früh erkannt werden

Voraussetzung ist, dass Bewegungsstörungen frühzeitig erkannt werden, um den komplexen Folgen am Bewegungsapparat entgegenzuwirken, so der Orthopäde und Sportmediziner Dr. Axel Seuser aus Bonn. Eine aktuelle multizentrische Studie mit 200 gesunden und 273 Kindern mit Hämophilie im Alter von 3 bis 18 Jahren habe ergeben, dass Hämophile vor allem bis zur Pubertät Defizite in der Koordination der Bewegung hätten.

Mit einem auf Ultraschall basierenden Bewegungsanalysesystem, das am Kniegelenk angebracht wird, lassen sich Regelmäßigkeit, Rhythmik und Rundheit beim Gehen auf dem Laufband und Übungen wie Kniebeugen analysieren. Ab etwa dem 12. Lebensjahr verringerten sich zwar die Unterschiede zwischen gesunden Kindern und solchen mit Hämophilie, im Durchschnitt blieben aber die Werte der Hämophilen unter denen gesunder Jugendlicher.

Ursache für die gestörte Koordination könnten etwa Störungen beim Zusammenwirken der motorischen Zentren des Gehirns sein, so Seuser. Möglich ist auch, dass schon kleinste, klinisch stumme Blutungen Gelenkschädigungen hervorrufen und so die Bewegung stören.

Ein weiterer Faktor liege wahrscheinlich im Verhalten der Eltern: "Die Ergebnisse einer eigenen Untersuchung weisen darauf hin, dass Eltern gesunde Kinder stärker motivieren, sich zu bewegen, als Eltern von Kindern mit Hämophilie. Diese bremsen eher, weil sie glauben, durch wenig Bewegung der Kinder das Blutungsrisiko zu reduzieren", sagte Seuser.

Bewegungsmuster werden sonografiegestützt analysiert.

Ungünstige Bewegungsmuster der Kinder müssen rechtzeitig durch Krankengymnastik und Bewegungstherapie rücktrainiert werden. Nur so lasse sich eine Mehrbelastung der Gelenke verhindern, mahnte der Orthopäde. Gerade dies vermindere das Risiko von erneuten Blutungen. Um eine gute Lebensqualität über viele Jahre zu erhalten, gelte es zudem, rechtzeitig die wesentlichen Komponenten körperlicher Fitness zu stärken: Kraft, Koordination, Ausdauer und Beweglichkeit. Im Allgemeinen eigneten sich auch für Hämophilie-Patienten Sportarten wie Schwimmen, Rad fahren, aber auch Tennis und Tischtennis oder Skilaufen.

Trotz lebenslanger Blutungsprophylaxe lasse sich aber bei vielen Patienten eine pathologische Gelenkveränderung nicht auf Dauer verhindern, sagte Oldenburg. So hätten von 50 am Bonner Hämophiliezentrum behandelten Patienten nur zehn Prozent nach 30 Jahren keine pathologische Gelenkveränderungen gehabt. Insgesamt sei bei 15 bis 20 Prozent der Hämophilen irgendwann ein künstlicher Ersatz von Knie-, Sprunggelenken, Ellbogen-, Hüft- oder Schultergelenken notwendig.

Rechtzeitige Op ermöglicht Sport

Mit den Möglichkeiten einer Blutungsprophylaxe bei der Op, etwa durch rekombinant hergestellte Faktor-VII-Präparate oder den aktivierten Prothrombinkomplex, sowie durch Weiterentwicklungen der operativen Techniken und der Implantatmaterialien ließen sich gute Langzeitergebnisse erzielen, sagte Oldenburg.

Der Orthopäde und Chirurg Professor Christian Wirtz von der Universitätsklinik Bonn rät, mit einem Gelenkersatz nicht zu warten, bis sich ausgeprägte Gelenkkontrakturen, Muskelatrophien und erhebliche Achsfehlstellungen entwickelt hätten. "Das sind denkbar ungünstige Voraussetzungen für eine zufriedenstellende Rehabilitation", so Wirtz. Bei rechtzeitiger chirurgischer Intervention sei es dagegen meist möglich und erklärtes Ziel, dass die Patienten wieder Sport treiben können.

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