Eine kleine Studie verursacht großen Wirbel

Kleine Studie, große Wirkung: Keine der in der letzten Woche beim Kongress der American Heart Association (AHA) präsentierten Studien stieß auf so aufgeregte und vieltönige Resonanz wie ARBITER-6-HALTS.

Peter OverbeckVon Peter Overbeck Veröffentlicht:
Die ganze Welt der Kardiologie - dargestellt und versammelt beim Kongress der amerikanischen Herzgesellschaft AHA in Orlando.

Die ganze Welt der Kardiologie - dargestellt und versammelt beim Kongress der amerikanischen Herzgesellschaft AHA in Orlando.

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ORLANDO. Am etwas sperrigen Akronym lag es gewiss nicht, dass die ARBITER-6-HALTS-Studie in Orlando so im Blickpunkt nicht nur der wissenschaftlichen Öffentlichkeit stand. Eher schon an der Vorgeschichte. Bereits im Juli war der vorzeitige Abbruch dieser Studie bekannt gegeben worden - was sofort Spekulationen über den Grund ins Kraut schießen ließ. Schließlich handelte es sich bei ARBITER-6-HALTS nur um eine relativ kleine Studie mit einem sogenannten Surrogatendpunkt, von der im Grunde keine Erkenntnisse zur klinischen Wirksamkeit der geprüften Therapien zu erwarten waren.

Im Fokus der Studie stand die Frage, welche Option bei kardiovaskulären Hochrisikopatienten, deren LDL-Cholesterin unter einer Vorbehandlung mit Statinen bereits im empfohlenen niedrigen Zielbereich lag, als Zusatztherapie noch von Nutzen sein könnte. Dieser Nutzen wurde nicht an der Wirkung auf klinische Ereignisse, sondern stellvertretend am Effekt auf die Intima-Media-Dicke in der Karotisarterie (CIMT) bemessen.

Zwei Optionen wurden verglichen: zum Einen die weitere Reduktion des LDL-Cholesterins mit dem Cholesterinresorptionshemmer Ezetimib, zum Anderen die in ihrer Wirkung auf das Lipidprofil komplexere Behandlung mit Nikotinsäure (Niacin in Retardform), die unter anderem das protektive HDL-Cholesterin erhöht.

In Orlando präsentierte Studienleiter Dr. Allen Taylor aus Washington nun das, was viele Experten nicht unbedingt überraschte, nämlich Niacin als Sieger des Vergleichs. Wegen des vorzeitigen Studienabbruchs lagen komplette Daten nur von 208 der 363 Studienteilnehmer vor. Nach diesen Daten war es im 14-monatigen Studienzeitraum in der Niacin-Gruppe zu einer Regression der CIMT gekommen, während in der Ezetimib-Gruppe - das Ausgangs-LDL-Cholesterin lag hier bei nur 82 mg/dl - insgesamt keine Veränderung zu verzeichnen war. Der Unterschied zwischen beiden Therapien war signifikant.

Dieses Ergebnis der Studie fand, was die überlegene Wirksamkeit von Niacin betrifft, bei den Experten einmütige Anerkennung. Einige bekannten, aufgrund des dokumentierten Vorteils Niacin als Zusatztherapie zum Statin künftig wohlwollender in Betracht zu ziehen.

Weniger einmütig war allerdings die Reaktion auf weitere von Taylor präsentierte Analysen. Eine von den ARBITER-Autoren post hoc vorgenommene Auswertung hat etwa ergeben, dass in der Ezetimib-Gruppe bei Patienten mit der relativ stärksten LDL-Reduktion paradoxerweise eine Zunahme der CIMT zu beobachten war. Und auch die Zahl der aufgetretenen kardiovaskulären Ereignisse - neun versus zwei - schien gegen Ezetimib zu sprechen. Taylor jedenfalls interpretierte die Ergebnisse der Studie als "klaren" Beleg für die "überlegene klinische Wirksamkeit von Niacin im Vergleich zu Ezetimib".

Das ging einigen Experten entschieden zu weit. So musste sich Taylor die Frage gefallen lassen, was denn das Wörtchen "klinisch" an dieser Stelle zu suchen habe - wo doch die statistische Teststärke der auf einen Surrogatendpunkt ausgerichteten Studie für den zuverlässigen Nachweis von klinischen Unterschieden viel zu gering sei. Deshalb sei, so der Tenor der Kritiker, dem geringen - wenn auch signifikanten - Unterschied bei den klinischen Ereignissen keine allzu große Bedeutung beizumessen.

Auf Skepsis stieß auch Taylors Nachhinein-Analyse zur Assoziation der stärkeren Lipidsenkung mit einer Zunahme der CIMT in der Ezetimib-Gruppe. So wies Professor John Kastelein aus Amsterdam, der als geladener Diskutant die ARBITER-6-HALTS-Studie zu würdigen hatte, auf die Tatsache hin, dass sich in zwei ähnlich konzipierten Ezetimib-Studien keinerlei Hinweise auf eine solche inverse Beziehung fanden. Abgesehen vom Hauptergebnis, mit dem sich Niacin auch nach Ansicht Kasteleins Pluspunkte verdient hat, seien alle anderen Analysen bestenfalls "Hypothesen-generierend". Die entscheidenden Informationen erwartet er sich von derzeit laufenden großen klinischen Endpunktstudien.

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