Schwangere und Alkohol

Unterschätzter Vollrausch im Mutterleib

Viele Deutsche wissen nicht, wie gefährlich schon kleine Mengen Alkohol in der Schwangerschaft sind, zeigt eine Umfrage. Die Schäden reichen von leichten Konzentrationsproblemen bis zu schweren Behinderungen. Experten rufen jetzt nach mehr Prävention.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Ein Gläschen in Ehren? Es gibt keine unbedenkliche Grenze für Alkohol in der Schwangerschaft.

Ein Gläschen in Ehren? Es gibt keine unbedenkliche Grenze für Alkohol in der Schwangerschaft.

© Filiminova / fotolia.com

NEU-ISENBURG. Nach Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin trinkt fast jede fünfte Schwangere Alkohol und riskiert damit bleibende Schäden bei ihrem Kind. Die Folge: Bundesweit werden jährlich 10.000 Kinder mit Fetalen Alkoholspektrum Störungen (FASD) geboren. Die Beeinträchtigungen reichen dabei von leichten Konzentrationsproblemen bis zu starken Schäden in der geistigen und motorischen Entwicklung sowie Wachstumsstörungen und Gesichtsfehlbildungen.

Jährlich haben dabei mehr als 2000 der betroffenen Kinder ein voll ausgeprägtes Fetales Alkoholsyndrom (FAS). Das FAS ist damit die häufigste nichtgenetische Ursache für eine geistige Behinderung, konstatiert die "Stiftung für das behinderte Kind".

Behinderungen wären vermeidbar

Die Behinderungen wären vermeidbar, wenn Schwangere abstinent blieben. Politiker von Union und SPD haben daher kürzlich für Warnhinweise auf Alkoholika plädiert. Dies ist auch eine Forderung des Vereins FASD Deutschland, in dem sich mehrheitlich betroffene Pflege- und Adoptiveltern zusammengeschlossen haben. Die Hinweise müssten mindestens das halbe Etikett der Produkte bedecken, fordert die Vorsitzende von FASD Deutschland, Gisela Michalowski.

Pädiater kritisieren zudem, dass eine Reduktion des Alkoholkonsums allgemein im Präventionsgesetz nicht vorkommt und in dem Gesetz drohende Gesundheitsschäden in der Schwangerschaft überhaupt nicht angegangen werden.

Generell sind bei FASD mehr Prävention, Aufklärung, Diagnose und Behandlung nötig, wie Michalowski und die FAS-Experten Professor Hans-Ludwig Spohr (Charité Campus Virchow Klinikum), Professor Florian Heinen (Dr. von Haunersches Kinderspital) und Elke Mattern (Universität Halle-Wittenberg) im Januar im Gesundheitsausschuss des Bundestages betont haben (wir berichteten).

Nach einer aktuellen Umfrage wissen nur 44 Prozent der Deutschen über die bleibenden Schäden durch Alkohol in der Schwangerschaft Bescheid.

Betroffene Kinder früh erkennen

Ziel ist es besonders auch, betroffene Kinder früh zu erkennen, um Hilfe, Förderung und Kontrolle zu etablieren. Dafür gebe es aber viel zu wenige spezialisierte Ambulanzen und Beratungsstellen, so die Experten. Tatsächlich wird laut den Sachverständigen nur etwa ein Fünftel der Fälle sofort erkannt.

Mit Gesetz und Strafe ist dem Thema nicht beizukommen: Selbstschädigung generell ist in Deutschland nicht verboten, und eine Fremdschädigung liegt nicht vor, weil Kinder juristisch erst ab der Geburt ein eigenes Leben haben.

Die Kinderärztin Andrea Benjamins vom Sozialpädiatrischen Zentrum in Hannover warnt zudem davor, die Mütter an den Pranger zu stellen, weil sie oft selbst alkohol- oder psychisch krank seien. "Manche Frauen bemerken auch die Schwangerschaft sehr spät", sagt Benjamins. Und: Besonders fatal ist die Wirkung von Alkohol in der dritten bis zwölften Schwangerschaftswoche, wenn die einzelnen Organe angelegt werden. (mit Material von dpa)

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