Registerstudie

Saufen schadet dem Herzen so stark wie Bluthochdruck

Zu viel Alkohol ist bekanntlich schlecht fürs Herz. Dies wird vor allem bei Menschen deutlich, die sonst keine klassischen Risikofaktoren für Herzleiden haben. Doch ein Faktor ist noch gefährlicher als Alkohol.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Die Wirkung von zu viel Alkohol auf das Herz ist anscheinend groß.

Die Wirkung von zu viel Alkohol auf das Herz ist anscheinend groß.

© Sergey Nivens/ Fotolia

SAN FRANCISCO. Bei der Langzeitwirkung von Alkohol aufs Herz spricht vieles für eine U-Kurve: Wer gelegentlich ein Glas Wein oder Bier trinkt, hat möglicherweise einen Vorteil, wer zu viel trinkt einen Nachteil. Die Sache mit dem Vorteil ist jedoch umstritten, da sich der Alkoholkonsum nur schlecht von anderen Lebensstilfaktoren abgrenzen lässt.

Beim Nachteil sind sich die Experten eher einig: Jenseits des Glases Wein und Bier wirkt sich Alkohol wohl negativ auf die Herzgesundheit aus. Wie stark, lässt sich jedoch auch hier kaum sagen, da der Missbrauch in der Regel mit weiteren Risikofaktoren wie Hypertonie oder Hypercholesterinämie konkurriert. Um die jeweiligen Effekte aufzuschlüsseln, sind große Datenmengen nötig.

Dies haben sich auch Forscher um Dr. Isaac Whitman von der Universität in San Francisco gedacht und Angaben von praktisch allen 20 Millionen Patienten ausgewertet, die zwischen 2005 und 2009 in Kalifornien eine Klinik, eine Notfallambulanz oder einen ambulanten Chirurgen aufgesucht haben.

Rund fünf Millionen Patienten mit Wohnsitz außerhalb des Sunshine-States oder mit bereits bestehenden Herzleiden schlossen sie aus. Zudem schauten sie sich die ICD-Codes genauer an, als Alkoholmissbrauch definierten sie einen entsprechenden ICD-Eintrag.

Inzidenz von Herzkrankheiten verdoppelt

Von den verbliebenen 15 Millionen Patienten hatten die Ärzte bei 1,8% eine Diagnose notiert, die auf einen Alkoholmissbrauch deutet – das waren immerhin rund 270.000 Personen. Bei ihnen fanden die Forscher um Whitman auch vermehrt klassische Risikofaktoren für Herzleiden.

Sie stellten fest: Die Freunde eines zünftigen Alkoholrausches griffen vierfach häufiger zum Glimmstängel und hatten etwa 50% häufiger eine Hypertonie und einen Diabetes als Personen ohne Alkoholdiagnosen. Auch waren sie deutlich häufiger in den unteren Einkommensschichten anzutreffen.

Im Laufe der Untersuchungsperiode erkrankten knapp 360.000 Personen neu an einem Vorhofflimmern (2,5%). Bei Alkoholmissbrauch war die Inzidenz 1,9-fach höher.

Rechnete das Team um Whitman die klassischen Risikofaktoren heraus, die ja bei den Alkoholfreunden vermehrt zu finden waren, schwächte sich der Zusammenhang nicht etwa ab, sondern verstärkte sich sogar noch etwas: Nach dieser Adjustierung war die Vorhofflimmerninzidenz 2,1-fach erhöht und damit mehr als verdoppelt.

Großes Risiko ohne klassische Risikofaktoren

Bei Menschen ohne klassische Risikofaktoren scheint der Alkoholmissbrauch besonders einzuschlagen, bei solchen mit klassischen Faktoren geht sein Einfluss etwas unter. Vor allem bei Menschen unter 60 Jahren ohne Hypertonie und Dyslipidämie war der Effekt deutlich zu sehen. Sie hatten ein zwei- bis vierfach erhöhtes Risiko für Vorhofflimmern im Vergleich zu Personen ohne Alkoholdiagnose.

Ein ähnliches Bild ergab sich für die Herzinsuffizienz. Eine solche entwickelten 2,9% aller Patienten. Mit Alkoholmissbrauch war die Inzidenz vor der Adjustierung um den Faktor 2,2 und danach um das 2,3-Fache erhöht, auch hier war der Einfluss bei jüngeren Personen ohne Hypertonie am stärksten.

Etwas anders sah es beim Herzinfarkt aus. 1,1% aller Patienten erlitten einen ischämischen Infarkt. Bei Alkoholmissbrauch lag die Inzidenz vor der Adjustierung zweifach höher, danach nur noch 1,5-fach.

Hatten die Alkoholliebhaber hier noch weitere kardiale Risikofaktoren, spielte Alkohol für das Risiko, einen Herzinfarkt zu bekommen, praktisch keine Rolle mehr.

Risiko teilweise stärker als bei Hypertonie

Die Forscher um Whitman berechneten nun, wie stark die einzelnen Risikofaktoren die Inzidenz von Herzleiden erhöhen. Dabei schafft es der Alkoholmissbrauch bei Vorhofflimmern auf Platz zwei der Risikofaktoren neben einer Herzinsuffizienz und liegt mit einer Verdoppelung des Risikos in etwa gleichauf mit einer Herzklappenerkrankung.

Das Risiko für eine Herzinsuffizienz erhöht ein Alkoholmissbrauch etwas weniger als eine Herzklappen-, eine Herzgefäß- oder eine chronische Nierenerkrankung, aber noch etwas mehr als Bluthochdruck und Rauchen. Lediglich beim Herzinfarkt liegt der übermäßige Alkoholgenuss weit hinter klassischen Risikofaktoren wie Rauchen, Hypertonie und Diabetes.

Größe Gefahr: Ein vorhandenes Herzleiden

Relevant ist letztlich natürlich nicht das relative, sondern das absolute Risiko. So ist die Gefahr, eine der drei Herzkrankheiten zu bekommen, am höchsten, wenn schon ein anderes Herzleiden vorhanden ist. Alkoholmissbrauch verdoppelt das Risiko dann noch einmal.

Hat ein Patient eine Herzinsuffizienz, liegt das Dreijahresrisiko für ein Vorhofflimmern bei etwa 12%, mit Alkoholmissbrauch steigt es auf 24%. Bei Hypertonie verdoppelt der Alkoholmissbrauch das Risiko für ein Vorhofflimmern hingegen nur von 2,5 auf 5%.

Gerade Patienten mit schon vorhandenen Herzleiden sollten mit Alkohol folglich sehr vorsichtig umgehen.

Für die Entstehung von Herzerkrankungen insgesamt ist der Alkoholmissbrauch – da seltener als andere Risikofaktoren – jedoch nur wenig relevant. So lassen sich nach den Berechnungen von Whitman und Mitarbeitern weniger als 5% aller Herzleiden in der Bevölkerung darauf zurückführen, auf Bluthochdruck immerhin 20% bis 25%.

Mehr zum Thema

Möglicher Risikofaktor

Mehr Stentthrombosen nach PCI bei akuter Entzündung

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Hämatologe gibt Tipps

Krebspatienten impfen: Das gilt es zu beachten

Lesetipps
Eine pulmonale Beteiligung bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) kann sich mit Stridor, Husten, Dyspnoe und Auswurf manifestieren. Sie zeigt in der Lungenfunktionsprüfung meist ein obstruktives Muster.

© Sebastian Kaulitzki / stock.adobe.com

Morbus Crohn und Colitis ulcerosa

Wenn der entzündete Darm auf die Lunge geht

Klinisch ist die Herausforderung bei der IgA-Nephropathie ihr variabler Verlauf. In den meisten Fällen macht sie keine großen Probleme. Bei einem Teil der Patienten verläuft sie chronisch aktiv, und einige wenige erleiden katastrophale Verläufe, die anderen, schweren Glomerulonephritiden nicht nachstehen.

© reineg / stock.adobe.com

Glomerulonephitiden

IgA-Nephropathie: Das Ziel ist die Null